„Russische Agenten haben mich vergiftet“ - Georgiens Ex-Präsident klagt Putin an

Der ehemalige Präsident Georgiens Micheil Saakaschwili erhebt aus der Haft schwere Vorwürfe. Außenministerin Annalena Baerbock reist nach Tiflis.
Tiflis - Der sich in Haft befindende ehemalige Präsident Georgiens, Micheil Saakaschwili, macht das russische Regime unter Präsident Wladimir Putin für seinen katastrophalen Gesundheitszustand verantwortlich. Im Interview mit Politico erklärte er, er glaube, er sei „von russischen Agenten vergiftet“ worden. Dabei klagte er auch seine eigene Regierung an: Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ und insbesondere ihr Gründer, der Oligarch Bidzina Iwanischwili, würden von Russland gelenkt werden, mit dem Ziel, Georgien schließlich zu „kapern“. Auch andere Kritiker werfen der Partei vor, einen Konflikt mit Moskau vermeiden zu wollen und deshalb bestehende EU-Bestrebungen des Landes zu sabotieren.
Saakaschwili sagte, die russischen Agenten hätten „die georgischen Sicherheitsdienste infiltriert. Ich erinnere mich lebhaft an den Tag, an dem das Gift verabreicht wurde und ich fast gestorben wäre.“ Die wichtigsten Entscheidungen über seine medizinische Behandlung würden von den Sicherheitsdiensten getroffen werden und nicht von den Ärzten. „Sie ernennen das gesamte medizinische Personal“, schrieb er in Antworten, die sein amerikanischer Anwalt Massimo D‘Angelo an Politico übermittelte. Sein Anwalt ist auch der Meinung, dass in Saakaschwilis Essen wahrscheinlich kleine Dosen Gift gemischt wurden. Dies sei ein klares Indiz auf russische Einflussnahme: Die Vorgehensweise sei mit den langsamen, quälenden Methoden des Kremls bei der Beseitigung politischer Gefangener deckungsgleich.
Ex-Premier Iwanischwili: Strippenzieher Georgiens
Saakaschwili verweist vor allem auf den georgischen Oligarchen Bidsina Iwanischwili, der für seinen Zustand verantwortlich sein soll. Nachdem Iwanischwili von 2012 bis 2013 Premierminister Georgiens war, hat er sich offiziellen Angaben zufolge mittlerweile aus der Politik zurückgezogen. Aber viele gehen davon aus, dass er im Hintergrund noch immer der Strippenzieher der georgischen Regierung ist. Auch das Europäische Parlament ist dieser Ansicht: Im Februar erklärte es in einem Beschluss, Iwanischwili sei für die Inhaftierung Saakaschwilis „im Rahmen eines persönlichen Rachefeldzugs“ verantwortlich. „Er kontrolliert alles - die Legislative, die Regierung, die Justiz“, so Saakaschwili.
Saakaschwili in Haft: Berichte deuten auf Vergiftung hin
Saakaschwili befindet sich derzeit in Haft, weil ihm Korruption und Anstiftung zur Körperverletzung vorgeworfen wird - eine rein politisch motivierte Anschuldigung, wie er empfindet. Seitdem verschlechtert sich sein Zustand von Tag zu Tag. Bereits mehrmals ist er in den Hungerstreik getreten, Ende letztes Jahres lagen medizinische Berichte vor, die Spuren von Quecksilber und Arsen in seinen Haaren und Nägeln zeigten. Die georgische Regierung behauptet, er und seine Anhänger gäben seinen Zustand falsch wieder, um eine vorzeitige Erlassung zu erreichen. Unter anderem der französische Präsident Emmanuel Macron und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderten Saakaschwilis Freilassung.
Der georgische Ex-Präsident war von 2004 bis 2013 im Amt und hat in dieser Zeit unter anderem pro-westliche Reformen durchgesetzt. Seit Anfang März kam es in Georgien zu landesweiten Protesten. Demonstrierende gingen auf die Straßen, um gegen ein geplantes Gesetz zu protestieren, welches bestimmte Medien und Organisationen als „ausländische Agenten“ eingestuft hätte und die Arbeit von unabhängigen Medien und Organisationen in Georgien stark eingeschränkt hätte. Experten sind der Meinung, die Proteste zeigten die Zerrissenheit des Landes zwischen der EU und Russland.
Angespannte Lage: Baerbock wirbt in Georgien für EU
Mittlerweile hat die georgische Regierung das Gesetz nach anhaltenden Protesten und enormer Kritik aus der EU zurückgezogen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock reist trotzdem für zwei Tage nach Tiflis, um im Land für eine Annäherung an die EU zu werben. Letztes Jahr wurde Georgien der Kandidatenstatus in Aussicht gestellt - anders als im Fall der Ukraine und der Republik Moldau, die beide 2022 in den Beitrittskandidatenkreis aufgenommen wurden. Georgien allerdings könne erst zum Beitrittskandidaten werden, wenn es weitreichende Reformen umgesetzt hat, ließ die EU damals verlauten.

Annalena Baerbock sagte auf ihrer Reise auch angesichts russischer Einflussversuche deutsche Unterstützung im EU-Beitrittsprozess zu und forderte Georgien zu weiteren Reformen auf. „Die Tür zum EU-Kandidatenstatus ist weit geöffnet. Jetzt gilt es, die verbleibenden zwölf Schritte zu gehen“, so die Außenministerin am Freitag (24. März). Für den Beitrittsprozess seien Rechtsstaatlichkeit, demokratische Standards sowie Medienfreiheit essenziell, führte sie weiter aus.
Baerbock in Georgien: Die große Mehrheit der georgischen Bevölkerung ist für einen EU-Beitritt
Nach der Rücknahme des schwer umstrittenen Agentengesetzes habe die Regierung in Tiflis nun die Aufgabe, „die Polarisierung zu überwinden, Vertrauen wieder zu finden und die anstehenden Reformschritte mit aller Entschiedenheit zu gehen“. Zugleich betonte sie, es könne gerade bei den europäischen Werten keine Abkürzungen geben. Bei der georgischen Bevölkerung dürfte ihr Besuch größtenteils positiv aufgenommen werden: Die neuesten Umfragen ergaben, dass 85 Prozent der Georgierinnen und Georgier einen EU-Beitritt befürworten.
Baerbocks georgischer Kollege Ilia Dartschiaschwili sagte, es sei „unerschütterlicher Wille des georgischen Volkes“, in die EU einzutreten. Der Kandidatenstatus sei dabei „ein Knotenpunkt“. Die Regierung arbeite intensiv an der Erfüllung der zwölf von der EU-Kommission dafür festgelegten Kriterien, sicherte er zu. Im Oktober will die EU-Kommission einen Bericht vorlegen, der als erste Grundlage für weitere Entscheidungen über eine stärkere Annäherung an die Europäische Union dienen soll. (ale)