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Fronteinsatz mit Fragezeichen

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Von: Stefan Scholl

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Kremlsprecher Peskow: Sein Sohn war bisher nicht gerade für patriotische Heldentaten bekannt.
Kremlsprecher Peskow: Sein Sohn war bisher nicht gerade für patriotische Heldentaten bekannt. © Imago

Hat der Sohn von Kremlsprecher Dmitri Peskow wirklich als Wagner-Söldner gekämpft? Die russische Heldenpropaganda hat Tradition – besitzt aber auch wenig Glaubwürdigkeit.

Dmitrij Peskow habe ihn gebeten, seinen Sohn als einfachen Artilleristen zu nehmen, versicherte Jewgenij Prigoschin, Inhaber der Söldnertruppe Wagner, unlängst in einem Interview. Und Peskow Junior habe als einfacher Artillerist gedient, „bis zu den Knien im Dreck“.

Nikolaj Peskow, alias Nikolay Choles, ältester Sohn des Kremlsprechers, stürzte sich schon vorher gerne in Dreck – am Steuer seines Offroad-Quads. Das zeigen Fotos und Videos des 33-Jährigen, der in seiner Jugend zehn Jahre in England lebte, einen britischen Stiefvater hat und nach Medienangaben bis 2019 dessen Nachnamen trug. Andere Aufnahmen zeigen Nikolaj Peskow Arm in Arm mit seinem Vater in teurer Freizeitkleidung am Strand, als Springreiter, am Steuer von Sportflugzeugen, auf den Kühlerhauben von Mercedes-Sportwagen oder Parkett-Jeeps thronend. Oder er räkelt sich auf einem Deck einer Segelyacht. Die Aufnahmen, die zum großen Teil über Peskows-Choles’ Instagram-Kanal an die Öffentlichkeit gerieten, demonstrieren den typischen Lebensstil der „goldenen Jugend“, wie die Russen die sorglosen Kinder der Reichen und Mächtigen in Moskau nennen.

Umso mehr Erstaunen rief Prigoschins Erklärung hervor, der jüngere Peskow habe in der Ukraine unter falschem Namen ein halbes Jahr an der Front einen Uragan-Raketenwerfer bedient. So mutig sei er gewesen, dass man ihn dafür mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet habe.

Dabei verdächtigten Exil-Medien den jungen Peskow noch vor kurzem, er sei ein Drückeberger. Vergangenen September, als Russland teilmobil machte, hatte er in einem von sogenannten Prankern inszenierten Telefonat eine angebliche Einladung zu einem Gespräch auf dem Kriegskommissariat abgelehnt. „Ich bin Herr Peskow, Sie müssen verstehen, dass es nicht richtig wäre, wenn ich mich dort befände.“ Er werde die Frage auf anderer Ebene lösen. Und nach Angaben des Telegramkanals WTschK-OGPU wurde ein Tesla-Sportwagen, der Nikolaj Peskow gehörte, in Moskau zweimal bei Verstößen gegen die Verkehrsregeln geblitzt – in der Zeit, als der Fahrzeuginhaber eigentlich an der Front gewesen sein soll. Hat Peskow Junior vielleicht gar nicht sechs Monate ganz vorne im ukrainischen Dreck gelegen?

Auch ein Interview mit der kremlnahen „Komsomolskaja Prawda“ über seinen Frontdienst räumte die Zweifel nicht aus. Er schwieg sich darüber aus, wo genau er gekämpft hatte und wofür er konkret ausgezeichnet worden war. Er erzählte, er reite, fische und jage in seiner Freizeit gerne, „einen Teil in mir“ aber ziehe es zu den Jungs an die Front zurück.

Die Russen müssen sich an einen neuen Typ von Helden gewöhnen. Jahrzehntelang zeigte man ihnen Weltkriegsfilme, in denen verwundete Rotarmisten ihre letzten Patronen verschossen und sich mit blankem Bajonett auf den Feind stürzten. Helden hatten zu sterben, wie die 84 Fallschirmjäger, die im Tschetschenienkrieg 2000 in der Abwehrschlacht an der „Höhe 776“ umkamen.

Tod ist nicht mehr Pflicht. Inzwischen scheint schon Dabeisein alles zu sein – jedenfalls für Promis. Im Januar interviewte TV-Propagandist Wladimir Solowjow in einer nächtlichen Reportage von einem angeblichen Brennpunkt der Schlacht um Bachmut maskierte Athleten in Kampfanzügen, darunter angeblich auch Peskow Junior. Wieder im Moskauer Studio, deutete Solowjow die Wichtigkeit ihrer Eltern an: „Das sind keineswegs ganz einfache Kinder aus ganz einfachen Familien.“

Stars als neue Helden

Ganz einfache Soldaten kommen als Helden immer weniger vor. Russlands neue Helden sind gleichzeitig VIPs und seltsam anonym. Oder es sind schon vorher Stars, Leute, die sich vor laufender Kamera am wohlsten fühlen: Moderatoren, Kriegsberichterstatter, Blogger oder Schauspieler. Auch Peskow Junior hat eine Zeitlang für Russia Today gearbeitet. Und der Kinokomiker Iwan Ochlobystin erklärt als Held der Trickfilmserie „ABC der Kriegsspezialoperation“ der Nation, wie ein Profi in der Ukraine zu kämpfen hat: „Betrete jedes Gebäude zu zweit: erst deine Granate, dann du!“

Nikolai Peskows so lautstark propagierter Einsatz als Wagner-Söldner aber stellt offenbar auch eine PR-Aktion dar. Zum einen unterstreicht sie den Kriegspatriotismus seines Vaters, der, so Prigoschin, „schon als kompletter Liberaler gegolten hatte“. Zum anderen mildert der springreitende und englisch sprechende Peskow das üble Image von Prigoschins Söldner-Truppe, das zuletzt durch Mordvideos und die massenhafte Rekrutierung von Strafgefangenen geprägt worden war. „Ich bin wahnsinnig stolz auf alle, die jetzt dort sind, sie arbeiten kolossal“, erklärte Prigoschin Junior der „Komsomolskaja Prawda“ staatstragend. „Alle gestellten Aufgaben werden erfüllt.“ Das hätte genau so auch sein Vater sagen können.

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