Michel Friedman im Interview: „Maaßen ist ein Brandstifter“
Michel Friedman im Interview über das Noch-CDU-Mitglied Hans-Georg Maaßen - und Friedrich Merz’ ungewohnte Zurückhaltung.
Herr Friedman, der frühere Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, ein CDU-Mitglied, hat in einem rechtspopulistischen Portal gesagt: „Nach grün-roter Rassenlehre sind Weiße eine minderwertige Rasse.“ CDU-Chef Merz findet diese Äußerungen zwar „inakzeptabel“, ein mögliches Parteiausschlussverfahren hält er aber für offen. Wie finden Sie das?
Die Reaktion von Friedrich Merz auf die Äußerungen von Herrn Maaßen ist unbefriedigend. Ich fordere ihn ausdrücklich auf, öffentlich als Parteivorsitzender der CDU das Ausschlussverfahren zu unterstützen und voll dahinterzustehen. Maaßen steht nicht am Rand der CDU, sondern er steht außerhalb einer demokratischen Partei.
Es geht um das Fundament dieser Bundesrepublik Deutschland, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Diesen Anspruch erfüllt Herr Maaßen nicht. Er ist ein Antidemokrat. Er ist ein geistiger Brandstifter, der die Menschenwürde und Menschenrechte und damit das Grundgesetz mit Füßen tritt. Das Parteiausschlussverfahren hätte schon längst eingeläutet werden müssen. Die CDU, ihre Vorsitzenden Laschet und Merz, haben zu lange gezögert. „Wehrt den Anfängen“ sieht anders aus. Maaßen kann nicht mehr Mitglied der CDU sein.

Welche Begriffe sind das, die Maaßen verwendet – und welche Assoziationen wecken sie?
Er verwendet eine Terminologie der Rassenlehre. Und er tut so, als sei die „weiße Rasse“, wie er sie nennt, mittlerweile in der Minderheit und müsse sich deshalb wehren. Das alles entspricht nicht den Tatsachen und führt zu Assoziationen, die an die furchtbarste Zeit in Deutschland erinnern. Das Ganze auch noch in einem Publikationsorgan, das den „Reichsbürgern“ nahesteht. Daneben ist schon oft aufgefallen, dass er antisemitische Stereotype und Narrative verwendet und mit seinen Äußerungen rassistische Ressentiments triggert.
Er verwendet eine Terminologie der Rassenlehre. Und er tut so, als sei die „weiße Rasse“, wie er sie nennt, mittlerweile in der Minderheit und müsse sich deshalb wehren. Das alles entspricht nicht den Tatsachen und führt zu Assoziationen, die an die furchtbarste Zeit in Deutschland erinnern. Das Ganze auch noch in einem Publikationsorgan, das den „Reichsbürgern“ nahesteht. Daneben ist schon oft aufgefallen, dass er antisemitische Stereotype und Narrative verwendet und mit seinen Äußerungen rassistische Ressentiments triggert.
Unabhängig davon, ob ein Parteiausschluss rechtlich Bestand hat, ist es allerhöchste Zeit, ein politisches Signal der Distanzierung in die Öffentlichkeit zu senden. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, auch die der CDU. Die politische Debatte, wann „die dunkelbraune“ Linie überschritten ist, ist unverzichtbar, umso mehr die Enthemmung und Schamlosigkeit der antidemokratischen Antisemiten gewachsen ist. Die Sonntagsreden „Nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“ sind inhaltlich leer, wenn das Reden nicht endlich zum Handeln wird.
Am Freitag war der Gedenktag an die Befreiung von Auschwitz. In Kürze erinnern wir an die Machtergreifung der Nationalsozialisten vor 90 Jahren – wie empfinden Sie vor diesem Hintergrund eine Rhetorik, die wieder von „Rassenlehre“ und „Minderwertigkeit“ spricht?
Erschreckend, bedrohlich, gefährlich. Bedenkt man, dass nach wissenschaftlichen Umfragen zwischen zehn bis 20 Prozent der deutschen Bevölkerung strukturell Judenhasser sind, ist es gerade für Menschen jüdischen Glaubens eine unerträgliche und gefährliche Realität. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesrepublik Deutschland, Felix Klein, hat dies mit den Worten beschrieben, dass man nicht überall und jederzeit mit einer Kippa – also als Jude erkennbar – spazieren gehen könne.
Die Anzahl der antisemitischen Gewalttaten wächst bedrohlich, und jüdische Kinder müssen massiv von der Polizei in ihren Institutionen geschützt werden im Jahre 2023. Normalität? Nicht die Spur davon. Oder können Sie sich vorstellen, dass vor den Schulen Ihrer Kinder und Enkelkinder mit Polizeipräsenz die realistische Gefahr für Ihre Familie sichtbar wird? Und dass Kinder dies als ihren Alltag verinnerlichen?
Nein. Was folgt daraus?
Eine der Lehren, die wir gelernt haben wollten, ist ja, dass der Endpunkt der Gewalt viele Anfangspunkte voraussetzt. In Deutschland sind seit den 1950er Jahre viele Anfänge nicht abgewehrt worden. Ob das die NPD war, ehemalige Nazis, die sich in politischen Institutionen und Verwaltungen versteckt haben. Holocaust-Leugner.
Ob das die Entwicklung der AfD ist, der Rechtsterrorismus, der seit Jahrzehnten in der offiziellen Rhetorik nicht stattfinden durfte. Erst seit zwei Jahren – seit zwei Jahren! – ist die Bundesregierung in der Lage zu bekennen, dass die größte Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland der Rechtsterrorismus ist: „NSU“, Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Rostock. Hunderte Menschen, die seit den 80er Jahren durch Rechtsextremismus ermordet wurden? All diese furchtbaren Ereignisse sind Anfänge, die nicht abgewehrt wurden. Um es klar zu formulieren: Deutschland ist nicht mehr am Anfang, sondern in einem strukturellen Mittendrin von Hass und Hetze gegen Minderheiten.
Was bedeutet das für Parteien, die ja große Bandbreite an Meinungen repräsentieren wollen?
Verdrängungen bis in die Gegenwart sind Anfänge, die nicht abgewehrt wurden. Dass eine Person wie Herr Maaßen mit dem Schutzschild einer Partei unterwegs ist, obwohl er die Speerspitze des Antidemokratischen ist, zeigt, dass weitaus früher, aber dann spätestens jetzt, die richtigen Konsequenzen gezogen werden müssen. Ich erwarte, dass Friedrich Merz, der ja auch sonst nicht zimperlich ist mit Worten, sich öffentlich an die Spitze setzt.
Ein Parteiausschlussverfahren kann allerdings bei rassistischen Äußerungen, wie bei Thilo Sarrazin in der SPD, oder eben Hans-Georg Maaßen in der CDU, lange dauern und ist kompliziert.
Sie haben da einen wichtigen Punkt. Wenn sich ein Mitglied einer Partei dem Grundgesetz zuwider äußert, ist es offenbar nicht so leicht, ihn aus der Partei auszuschließen. Das ist empörend, zumal wenn nachweisbar ist, dass ein Mitglied kontinuierlich die Grundlage unserer bundesrepublikanischen Identität angreift – nämlich so, wie es George Tabori gesagt hat: Jeder ist jemand. Wenn man Herrn Maaßen hört, sind einige niemand. Und auch die SPD war lange zögerlich, sich von Sarrazin zu trennen. Die Wölfe haben ihren Schafspelz längst ausgezogen, und auch Maaßen hat seinen Schafspelz längst ausgezogen.
Interview: Martin Benninghoff
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Auch zu anderen Themen bekennt Michel Friedman Meinung: Er findet zum Beispiel, dass Auslandsjournalismus „unsere Gehirn-Erweiterung ist“.