Frieden im Sudan kann es nur ohne die Militärs geben

Wenn Sudans Generäle in Gespräche für eine Lösung des am Wochenende eskalierten Konflikts einbezogen werden, wird es keinen Fortschritt geben. Eine Analyse von Johannes Dieterich.
Der Ausbruch schwerer Gefechte im Sudan mag weltweit auf Bestürzung stoßen – für die Bevölkerung der nordostafrikanischen Militärdiktatur kam die Katastrophe nicht überraschend. In den vergangenen Wochen hatten sich die Spannungen zwischen den beiden Protagonisten, Streitkräftechef Abdel Fattah al-Burhan und Milizenführer Mohammed Hamdan Daglo (alias Hemeti), zunehmend verschärft: Prominente Analyst:innen des Landes warnten vor der Gewalteskalation, so auch Kholood Khair. Die Gründerin der Khartumer „Denk- und Mach-Fabrik“ Confluence Advisory sagte: „Wieder einmal drohen die beiden Generäle, den demokratischen Übergang unseres Landes zu zerstören.“
An dem sudanesischen GAU waren ausländische Regierungen allerdings nicht unbeteiligt. Sowohl die von dem deutschen Diplomaten Volker Perthes im Sudan repräsentierten Vereinten Nationen als auch die Afrikanische Union und die Arabische Liga hatten die Unterzeichnung des Rahmenvertrags lauthals gefeiert, mit dem die Militärs und einige zivilgesellschaftliche Gruppierungen Anfang Dezember die Diktatur der Generäle einmal mehr beenden wollten – obwohl das Abkommen entscheidende Mängel aufwies und von den wichtigen oppositionellen Stadtteilkomitees abgelehnt wurde.
Sudan: Das Militär als Zeitbombe
Nicht nur, weil Details der zu bildenden Zivilregierung auf die Zukunft verschoben wurden und die Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen seitens der Militärs ganz unberücksichtigt blieb: Vor allem stellte sich die offene Frage des Verhältnisses zwischen Militärchef al-Burhan und Milizenchef Hemeti sowie die Integration ihrer Truppen als Zeitbombe heraus. Al-Burhan sah sich vor den Kopf gestoßen, weil seine Position nicht mehr wie bisher der von Hemeti übergeordnet sein sollte: Die beiden Generäle sollten sich künftig aus der ausschließlich Zivilist:innen überlassenen Politik heraushalten – den Uniformträgern wurde lediglich noch ein Vetorecht bei umstrittenen Entscheidungen der Regierung eingeräumt.
Offenbar war über diese Bestimmungen vor allem al-Burhans Gönner, Ägyptens Präsident Abdel Fattah Sisi, erbost. Er ist an den Vorgängen im Sudan besonders interessiert, weil er von einer Demokratisierung im Nachbarstaat nichts Gutes zu erwarten hat. Sisi schickte im Januar seinen Geheimdienstchef nach Khartum und lud Sudans Militärregierung anschließend zu einer achttägigen Konferenz nach Kairo ein. Berichten zufolge wurde dort ein zum Khartum-Prozess alternativer Kairo-Prozess ausgeheckt, der die erneute Sabotage der Demokratisierung vorsah – schon im Oktober 2021 hatte al-Burhan einen ersten Öffnungsversuch durch einen Militärputsch beendet. Wer deshalb in dem aktuellen Konflikt den Streitkräftechef als Bösewicht und Hemeti als den guten General sieht, wird von Kholood Khair allerdings eines Schlechteren belehrt. Auch der mit dem Völkermord in Darfur und späterer Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebrachte Milizenführer sei mit unlauteren Absichten in die Verhandlungen gegangen, heißt es.
Sudan: katastrophale wirtschaftliche Lage
Hemeti wollte seine rund 100 000 Kämpfer plötzlich erst in zehn Jahren in die Streitkräfte integrieren und rechnete sich von dem Rahmenabkommen offensichtlich Chancen auf eine Wiedergeburt als Politiker und künftiger Staatschef aus. Hemeti überschätze seine Beliebtheit bei der Bevölkerung gewaltig, ist Khair überzeugt. Immer mal wieder schiebt der begüterte Sudanese, der seinen Reichtum unter anderem illegalen Goldgeschäften im Darfur sowie der Verleihung seiner Milizionäre an den saudischen König für dessen Feldzug im Jemen verdankt, der Zentralbank in Khartum einige Hundert Millionen US-Dollar zu, um eine Kernschmelze des sudanesischen Pfunds zu vermeiden.
Überhaupt war die katastrophale wirtschaftliche Lage ihrer Heimat die eigentliche Motivation der Generäle, einer kontrollierten Demokratisierung ihres Landes zuzustimmen: Sowohl westliche Sanktionen wie die seit eineinhalb Jahren anhaltenden Proteste der Bevölkerung haben den Zusammenbruch der Volksökonomie nahe gerückt. Das Schlimmste, was jetzt passieren könne, meint Analystin Khair: Dass Sudans Bevölkerung in dem Konflikt der Generäle vom Ausland zu einem „faustischen Pakt“ mit einem der beiden Generäle gezwungen wird. Wer das vermutlich sein wird, ist schon abzusehen: Neben seinen ägyptischen hat al-Burhan auch Freunde in den Arabischen Emiraten.
Dagegen hat es Hemeti alleine schon wegen seiner Verbindungen zur russischen Söldnertruppe „Wagner“ mit dem Westen verdorben. Auf der anderen Seite sieht es jedoch kaum besser aus: Längst hat al-Burhan wieder die Verbindung zu den islamistischen Kreisen aufgenommen, die den Diktator Omar al-Baschir unterstützen. Wie man es auch dreht und wendet: Der Ausgangspunkt der internationalen Gemeinschaft, dass im Sudan ohne die Einbeziehung der Generäle – welcher Provenienz auch immer – kein Fortschritt erzielt werden kann, muss angesichts der jüngsten Entwicklungen aufgegeben werden. Andernfalls wird der von Militärs ruinierte Staat niemals zur Ruhe kommen.