Nicht der Wirtschaftslogik auf den Leim gehen
Immer mehr Frauen sind berufstätig, aber nur wenige in Führungspositionen. Und wer geht weiter nach Feierabend einkaufen?
Vorstellungsgespräch in einem deutschen Weltkonzern. Es geht um eine mittlere Managementposition mit Aufstiegspotenzial. Die Kandidatin, Ende 30, zwei Kinder, ist aus Norddeutschland angereist. Sie hat sich bereits im Unternehmen bewährt und wäre perfekt für den Job, denken ihre Vorgesetzten in spe. Doch im Gespräch hakt es: Würde sie ihren Wohnsitz in die Nähe verlegen? Und auch mal eine Weile ins Ausland wechseln? Die Kandidatin verneint, auch die üblichen, aber gut bezahlten Überstunden sagen ihr nicht so zu. Am Ende winkt sie ab und lässt durchblicken, dass sie eben andere Prioritäten habe. Zurück bleibt ein konsternierter Abteilungsleiter.
Er ist ein guter Freund von mir, ich nenne ihn hier Markus. „Was will die denn?“ klagt Markus ein paar Tage später beim Spaziergang. „Wir fördern doch Frauen schon ohne Ende, Männer haben ja bei uns kaum noch eine Chance. Was sollen wir denn noch anbieten?“ Teilzeit vielleicht, antworte ich, oder Jobsharing, da ist doch die Arbeitsproduktivität laut Studien sowieso höher. Und das komme auch gut an bei Fachkräften. Ich ernte ein ratloses Schulterzucken. So weit ist der Weltkonzern noch nicht.
Was hat die Episode mit Feminismus zu tun? Sehr viel. Chancengleichheit im Arbeitsleben ist immer noch fern. Immer mehr Frauen sind berufstätig, aber nur wenige in Führungspositionen. Und wer geht weiter nach Feierabend einkaufen? Wer organisiert den Pflegedienst für die Schwiegermutter oder springt selbst ein? Fast immer wir. Deshalb arbeiten vor allem Frauen Teilzeit. Viele müssen es, viele gehen voll darin auf, finden auch Sinn in Ehrenamt und Engagement. Die Karriereleiter steht aber woanders, bei den Vollzeit- oder Fast-Vollzeitkräften. Das trifft übrigens auch die wenigen Männer, die so mutig und klug sind, sich auf Teilung von Sorgearbeit einzulassen.
Zwar schreiben Unternehmen Frauenförderung heute groß. Aber sie wollen dafür nichts ändern. Vielmehr sollen eben jetzt auch Frauen in der Firma so funktionieren wie Männer schon immer: Berufsarbeit geht vor, Vollzeit ist Norm. Kinder und Alte? Gern wegorganisieren.
Ich wünsche mir einen Feminismus, der das ändert. Einen, der dieser Wirtschaftslogik nicht mehr auf den Leim geht, der nicht das gleiche phantasielose Loblied auf Berufsarbeit als Hort der Selbstverwirklichung singt. Einen, dem mehr einfällt, als mehr Kitaplätze zu fordern, weil Teilzeit bloß in die Armut führe. Wo ist der feministische Arbeitsbegriff, der auch Familienarbeit und gesellschaftliches Engagement für voll nimmt? Wo bleibt die feministische Kampagne für gesetzliche Jobsharingquoten auf allen Führungsebenen, für ein Recht auf Teilzeit auch in Topjobs? Ich bin sicher, das würde nicht nur vielen Frauen aus der Seele sprechen.
Ursula Rüssmann, 61, Ressort Politik