Französische Abgeordnete: Impfgegnerin und umstrittener Medienstar

Einst Mitglied von Macrons Partei, verkörpert die französische Abgeordnete Martine Wonner heute die Widersprüchlichkeit der Impfgegner.
Ihre Argumente halten einer Prüfung nicht stand. Aber vielleicht ist das gar nicht so wichtig: Martine Wonner, Frankreichs umstrittenste Abgeordnete, spricht nicht wenigen Landsleuten aus der Seele, wenn sie Dinge sagt wie: „Das Covid-Zertifikat ermöglicht es der Regierung einzig, zu machen, was sie will.“
Die 57-jährige Psychiatrieärztin sieht stets die Regierung von Emmanuel Macron als ihre Widersacherin. Wohlgemerkt, dem Staatspräsidenten, hatte sie 2017 überhaupt erst ihren Einstieg in die Politik und gleich auch ihre Wahl in die Nationalversammlung zu verdanken: Im Sog seiner Blitzkampagne wurde sie im Elsass gewählt.
Die Macron-Partei verbannt Wonner aus der Fraktion
Meist vertrat sie dort linke Positionen, etwa gegen das Chemiemittel Glyphosat oder für Flüchtlinge. Mit Beginn der Corona-Krise befürwortete sie gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse die Abgabe des umstrittenen Mittels Hydroxychloroquin. Dann warf sie Gesundheitsminister Olivier Véran vor, er wolle Patient:innen in den Intensivstationen „bewusst sterben lassen“. Einmal rief sie mit Berufung auf eine US-Studie ins parlamentarische Rund: „Die Schutzmasken nützen absolut nichts!“
Die Studie gab es indessen gar nicht: Wie sich bald erwies, war ihre vermeintliche Existenz vom Trump-nahen Verschwörungszirkel QAnon gestreut worden. Der Macron-Partei „La République en marche“ reichte es dann: Sie verbannte Wonner aus der Fraktion. Vorübergehend fand sie Unterschlupf in einer kleinen Truppe anderer Dissidenten, Liberté et territoires. Aber dort wurde sie inzwischen auch wieder rausgeworfen.
Frankreichs Ärzteverband klagt über „Desinformation“
Heute unterhält sie sich fast nur noch mit Verschwörungsfantasien befördernden Medien wie dem „France-Soir“, nachdem sie auch in dem weitgehend gefälschten Komplott-Streifen „Holdup“ aufgetreten war. Davon distanziert sie sich heute. In ihrer angestammten Branche aber nützt das nichts mehr: Das renommierte medizinische Kollektiv #NoFakeMed zerzaust jede ihrer Behauptungen und verlangt vom französischen Ärzteverband Sanktionen wegen anhaltender „Desinformation“.
Skepsis in Frankreich
Laut Umfragen ist in Frankreich nur eine Minderheit gegen die beschlossene Impfpflicht für das Pflegepersonal; 69 Prozent der Menschen im Land befürworten die obligatorische Immunisierung. Dennoch haben Impfgegner- und gegnerinnen in Frankreich eine starke Stimme, und das nicht nur auf Demos wie am Wochenende.
Das tief verwurzelte Misstrauen gegen die Regierung in Paris ist einer der Gründe dafür – neben kruden Verschwörungserzählungen und diffusen Ängsten. Aber es gab auch einige medizinische Skandale, die ihre Spuren hinterlassen haben – etwa HIV-Infektionen durch verunreinigte Blutkonserven in den 80er Jahren. Und der französische Pharmariese Servier musste – und muss – sich gerichtlich dafür verantworten, das Medikament Mediator, das im Zusammenhang mit Hunderten Todesfällen allein in Frankreich steht, trotz entsprechender Warnungen vertrieben zu haben.
Als 2009 die Schweinegrippe grassierte, orderte die französische Regierung 70 Millionen Impfdosen zu viel, was ihr den Vorwurf einhandelte, sie habe die Pharmaindustrie mästen wollen. Ähnliches gilt für die seit 2018 geltende Vorschrift, wonach für Kinder ganze elf Impfungen wie Masern oder Hepatitis B Pflicht sind. sha
Nun passt Wonner besser auf, was sie sagt. Das neue Covid-Zertifikat lehnt sie ab, „weil es gar keine Garantie für die Immunisierung gibt“. Das räumen auch politische Impfbefürworter:innen ein. Heute will die Abgeordnete auch nicht mehr kategorisch gegen die Maskenpflicht in öffentlichen Räumen sein. Bei Anti-Impf-Protesten aber schlägt sie weiter kräftig über die Stränge und ruft – manche mögen glauben: wie Jeanne d’Arc – zur Revolte auf: „Besetzt die Büros eurer Abgeordneten, stürmt sie, um ihnen zu sagen, dass Frankreich ein schönes Land ist und das alles nicht verdient!“
Hitzköpfe verwüsten die Bezirkslokale von Macron-Abgeordneten
Einige Hitzköpfe schritten darauf zur Tat und verwüsteten die Bezirkslokale von Macron-Abgeordneten in Versailles und der Bretagne. Wonner stellte schnellstens klar, sie sei gegen jede Gewalt; sie lehne sich aber dagegen auf, dass die etablierte Politik die Impfgegner wie Parias behandele und außen vor lasse.
Auf den Demos, bei denen sie auftritt, tragen einzelne einen gelben Davidstern und behaupten, man würde sie ebenso verfolgen. Der Antisemitismus ist da nicht weit. Historisch ebenso verquer, prangern die Impfgegner an ihren Umzügen auch eine angebliche „Apartheid“ zwischen Geimpften und Nichtgeimpften an.
Wonner spricht etwas moderater von „Segregation“. Inhaltlich meint sie dasselbe. Dass bei den Demos viele Rechte wie Marine Le Pen mitmachen, kontert die nach eigenen Worten linke Republikanerin mit dem Hinweis, auch Grüne, linke „Unbeugsame“ und ehemalige Gelbwesten seien dabei. Neonazis wie bei den deutschen „Querdenkern“.
Wonner ist auf den autoritären Staat, die Kehrseite der Freiheit, geradezu fixiert
Dass am Wochenende in ganz Frankreich rund 110 000 Leute gegen den Impfschutz auf die Straße gingen, hat viele überrascht. Darunter war auch viel Pflegepersonal, das nun von der Regierung unter Androhung des Jobverlustes zur Impfung gezwungen wird. Andere Teilnehmende skandierten schlicht „liberté“; sie geben an, um das höchste französischen Gut zu fürchten.
Auf die auch sehr französische Kehrseite der Freiheit, den autoritären Staat, ist Wonner geradezu fixiert. Sie meint aber, sie wisse durchaus zu differenzieren: Die elf staatlich vorgeschriebenen Kinderimpfungen halte sie für sinnvoll. Für die Corona-Vakzine gebe es aber zu wenige Studien, „zu wenig Abstand“.
Dieses Argument ist gar nicht so weit entfernt von dem, was Macrons Lager sagt: Dort werden mögliche Gefahren nicht in Abrede gestellt, aber die positiven Effekte überwiegen für viele. Man könnte sich also streiten – doch Wonners Gefolge verweigert die Debatte weitgehend. Und so verstrickt sich Martine Wonner immer weiter in Verschwörungsfantasien von Zensur und Manipulation, Impfprofiteuren und Lügenpolitikern. „Für diese Diktatur werde ich nicht Komplizin sein“, wütet die Abgeordnete.