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Marine Le Pen: Wenn die Rechtsextremistin wirklich in den Elysée einzöge

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Von: Stefan Brändle

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Das Programm Le Pens ließe sich unter dem Schlagwort „Frankreich zuerst“ zusammenfassen. Joel Saget/afp
Das Programm Le Pens ließe sich unter dem Schlagwort „Frankreich zuerst“ zusammenfassen. Joel Saget/afp © AFP

Im Schlussspurt der Präsidentschaftswahl fragt sich Frankreich, wie es wäre, wenn die Rechtsextremistin in den Elysée einzöge. Ihr Programm ist in mancher Hinsicht bedrohlich.

Paris - In den letzten Umfragen vor der Stichwahl am Sonntag hat Emmanuel Macron seinen Vorsprung auf Marine Le Pen leicht erhöht – ihm werden nun 55 bis 57 Prozent der Stimmen gutgeschrieben. Zugleich häuften sich besorgte Appelle an die Wählerschaft. Einhelliger Tenor: Es gebe am Amtsinhaber sicher viel auszusetzen, doch die Alternative wäre bedeutend schlimmer.

Der Grünen-Kandidat Yannik Jadot rief dazu auf, „ohne Zögern, ohne Ambivalenz, in aller Klarheit“ für Macron zu stimmen. Der Chefredakteur der Zeitung „La Croix“, Jérôme Chapuit, wandte sich direkt an seine katholischen Leser, die laut der Analyse des ersten Wahlgangs fast ebenso häufig für die Rechtsextremistin wie für den Präsidenten gestimmt hatten. Le Pen liege auf der gleichen Linie wie Donald Trump und Wladimir Putin, sagte Chapuit per Video; doch spätestens seit dem Ukraine-Krieg wüssten nun alle, dass Nationalismus nur zu „Spaltung und Gewalt“ führe.

Frankreich-Wahl: TV-Duell ohne eindeutigen Sieg

Das TV-Duell von Mittwochabend hatte zwar keinen eindeutigen Sieg ergeben. Publikumsreaktionen legen dagegen die Annahme nahe, dass einige Französinnen und Franzosen gemerkt haben, welche Gefahr Le Pens Vorschläge für den zivilen Frieden im Land darstellen würden.

Der bekannte Verfassungsrechtler Dominique Rousseau geht am weitesten: „Was Marine Le Pen vorschlägt, ist eine Art Staatsstreich“, sagte er. „Die Umsetzung ihres Wahlprogamms würde das Kulturerbe der Aufklärungsphilosophie und der französischen Revolution über den Haufen werfen.“

Rechtsstreit würde Frankreich monatelang blockieren

Im Blick hat Rousseau das zentrale Versprechen Le Pens, die „préférence nationale“ einzuführen. Dieser „nationale Vorrang“ für Französinnen und Franzosen gegenüber Ausländer:innen gälte für die Arbeitssuche, Sozialwohnungen und andere Sozialhilfen. Er wäre nicht nur ein Verstoß gegen die „égalité“ (Gleichheit), sondern auch gegen Völker- und EU-Recht. Im besten Fall würde er zu jahrelangem internationalem Rechtsstreit führen, im schlimmsten Fall zum EU-Austritt Frankreichs.

Warum das? Le Pen will die Neuerung per Volksabstimmung absegnen lassen und in die Verfassung schreiben. Damit das Pariser Verfassungsgericht das Vorhaben mit Verweis auf das Gleichheitsgebot nicht stoppen kann, will Le Pen zuvor eine weitere Bestimmung in die Verfassung aufnehmen lassen: Der „Conseil constitutionnel“ soll Volksabstimmungen in keinem Fall für verfassungswidrig erklären können.

Dafür müssten aber die beiden Parlamentskammern ihr Plazet geben. Das scheint sehr unrealistisch: Selbst wenn Le Pens „Rassemblement National“ im Juni die Wahlen für die Nationalversammlung gewänne, könnte der konservativ dominierte Senat – wo derzeit keine Wahlen anstehen – die Verfassungsänderung verhindern.

Sicher ist, dass der Rechtsstreit Frankreichs Politik auf Monate hinaus blockieren würde. Und dazu auch die EU. Denn der nationale Vorrang für französische Arbeitnehmer:innen widerspricht auch europäischem Recht. Deshalb will Le Pen generell den Vorrang des nationalen Rechts vor europäischem oder internationalem Recht in der französischen Verfassung festschreiben.

Frankreich-Wahl: Offiziell will Le Pen keinen „Frexit“ mehr

Das ist der zweite Kernpunkt Le Pens. Als Präsidentin Frankreichs ginge sie damit noch weiter als Polen, wo das Verfassungsgericht einzelne europäische Bestimmungen für unvereinbar mit der polnischen Verfassung erklärt hat. Le Pen bekämpft das ganze völkerrechtliche Prinzip, das einmal ratifiziertes internationales Recht über nationales Recht stellt.

Die Folgen wären unabsehbar. Die Rechtsunsicherheit wäre vollkommen, die EU kaum mehr handlungsfähig. Es sei denn, Frankreich träte aus der EU aus. Doch auch wenn das schwergewichtige Gründungsmitglied Frankreich den Rückzug anträte, gefolgt vielleicht von Ungarn und Polen, wäre die EU am Ende.

Offiziell will Le Pen keinen „Frexit“ mehr. Proeuropäer wie Macron werfen ihr aber vor, sie strebe den Austritt auf Umwegen an. So will sie auch die Europäische Menschenrechtskonvention nicht mehr voll befolgen. Dabei ist dieser Text eine offizielle Bedingung für die Mitgliedschaft in der EU.

Le Pen will Kopftuchverbot - Macron befürchtet für diesen Fall „Bürgerkrieg“

Die Pariser Zeitung „Le Monde“ nennt mit Blick auf die Entmachtung des Verfassungsgerichts Le Pens Wahlprogramm einen „coup de force“, einen Gewaltstreich. Und für die EU ist es politisches Dynamit. Schwerste Spannungen zwischen Paris und Brüssel wären nur der Anfang. Die Wirtschaft des Kontinentes würde zweifellos noch mehr leiden als heute schon.

In Frankreich selbst wäre Feuer im Dach, wenn Le Pen ihre Idee umsetzen wollte, das islamische Kopftuch ganz aus dem öffentlichen Raum – inklusive Straße – zu verbannen. Macron befürchtet für diesen Fall einen „Bürgerkrieg“, wie er im TV-Duell sagte.

Vorbei wäre es auch mit der mühsam aufrechterhaltenen EU-Einheit gegenüber Moskau. Le Pen schlägt dem Westen eine „Partnerschaft mit Russland“ vor, „wenn der Krieg in der Ukraine vorbei ist“. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versagte sich zwar eine Wahlempfehlung, sagte aber, er wolle seinen Gesprächspartner Macron „nicht verlieren“. (Stefan Brändle)

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