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Verhasster Präsident: Umstrittene Rentenreform könnte Macron teuer zu stehen kommen

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Macron hat viele Franzosen gegen sich aufgebracht.
Macron hat viele Franzosen gegen sich aufgebracht. © picture alliance/dpa

Emmanuel Macron bringt mit einem Trick seine Rentenreform voran – die Quittung dafür dürfte er schon bald erhalten: Bei den Kommunalwahlen Mitte März.

Paris - Der Ausgang war zuletzt klar: Sozialisten, Kommunisten und „Unbeugsame“ kamen mit ihrem Misstrauensantrag nur auf 91 Stimmen in der 577-köpfigen Nationalversammlung. Die konservativen Republikaner vereinigten für ihren eigenen Antrag gegen die Regierung 148 Stimmen. Gegen die absolute Mehrheit der Macron-Partei „La République en marche“ (LRM) hatte die gespaltene Opposition so keine Chance.

Die beiden Vertrauensabstimmungen bedeuten nach französischem Verfassungsrecht, dass die Regierung die daran geknüpfte, hoch umstrittene Rentenreform in erster Lesung durch die Erste Parlamentskammer gebracht hat. Die Zweitkammer, der konservativ dominierte Senat, kann den Entscheid nicht mehr aus eigener Kraft kippen. Ein hoch willkommener Erfolg für Emmanuel Macron: Trotz monatelanger Proteste hat er sein Lager beisammen gehalten und sich durchgesetzt.

Rentenreform in Frankreich: Macron zahlt hohen politischen Preis

Ein Erfolg allerdings mit zwei Einschränkungen – und jede für sich schon bedeutsam: Erstens betrifft das nun erfolgte Plazet nur den Kern der Reform mit der Abschaffung der Spezialkassen für Beamte, Eisenbahner und andere Branchen sowie der Einführung eines Punktesystems für alle Beschäftigten. Völlig ungelöst bleibt die Frage der Finanzierung. Sie muss in einem weiteren Gesetz geregelt werden, und dagegen kann Macron den im Parlament just durchexerzierten Verfassungstrick „Artikels 49.3“ nicht mehr anwenden. Linke wie Rechte wollen ihre „friedliche Guerilla“ – ein Wort der Sozialistin Valérie Rabault – mit Tausenden von Zusatzanträgen fortsetzen. Um das Schlussvotum zur Rentenreform zumindest vor der Sommerpause zu verhindern.

Zweitens zahlt Macron einen hohen politischen Preis für die „institutionelle Brechstange“, wie der Verfassungsartikel oft genannt wird. Indem er eine Abstimmung über die Reform selbst umging, macht er sie nicht populärer. Die Opposition wirft Macron zudem vor, er habe die Corona-Krise ausgenützt, um sein Vorhaben an der Öffentlichkeit vorbeizuschmuggeln. Die Rechte sprach am Mittwoch von einem „Fiasko“, die Linke von einem „demokratischen Desaster“.

Rentenreform in Frankreich: Konservative genauso dagegen wie Linke

Eine erste Rate des Preises für die „Brechstange“ könnte der Präsident schon in zehn Tagen zahlen müssen. Dann stehen in Frankreich Kommunalwahlen an. Seine junge Partei ist bestenfalls flach verwurzelt in den 36.000 Gemeinden des Landes. Auch in den Großstädten, wo Macron bei der Präsidentenwahl 2017 auf die urbanen Franzosen zählen konnte, verfügt LRM über wenig Wahllokomotiven oder erfahrene Kandidatinnen und Kandidaten; das zeigte sich fast sinnbildlich in Paris, wo der Macron-Kandidat Benjamin Griveaux über eine Sexaffäre gestolpert* ist.

Der Präsident setzt wohl darauf, dass er mit seinem – in der Form, nicht in der Sache – unnachgiebigen Verhalten im Rentenkonflikt bei bürgerlichen Wählern punkten kann. Viele Konservative lehnen die Reform genau so ab wie die Linke, da sie Einbußen bei der Berechnung des Punktesystems befürchten. Macron hat zwar die wichtigste Abstimmung über seine Reform durchgebracht; indem er aber bis heute unfähig ist, die finanziellen Konsequenzen für das schwerfällige Pensionssystem anzugeben, erweist er sich als wenig souveräner Reformer, der außerdem viele Franzosen gegen sich aufgebracht hat.

Rentenreform in Frankreich: Macron ist politisch zunehmend isoliert

Sein also schaler Sieg in erster Lesung verkommt deshalb zu einem bloßen Zwischenschritt. Das überaus zähe Kräftemessen geht weiter. Und schon drängt sich ein frühes Fazit auf: Nach der Gelbwestenkrise wird Macron zumindest die Hälfte seiner fünfjährigen Amtszeit von 2017 bis 2022 in schweren Sozialkonflikten verbracht haben.

Seine Spindoctors behaupten, das sei unvermeidlich, wenn man Frankreich von Grund auf reformieren wolle, und das gereiche dem mutigen Präsidenten nur zur Ehre. Politisch ist Macron aber zunehmend isoliert, vielerorts gar verhasst. Und überall, aber vor allem in Frankreich gilt, dass ein Staatsoberhaupt nicht ewig gegen den Mehrheitswillen des eigenen Volk regiert.

Von Stefan Brändle

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