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Frankreich: Mélenchon will es wissen

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Von: Stefan Brändle

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Gilt vielen als unfähig zum Kompromiss: Jean-Luc Mélenchon bei einer Wahlkampfveranstaltung in Villeurbanne.
Gilt vielen als unfähig zum Kompromiss: Jean-Luc Mélenchon bei einer Wahlkampfveranstaltung in Villeurbanne. © AFP

Der ebenso populäre wie radikale französische Linkspolitiker will Premierminister werden. Scheitern könnte er vor allem an sich selbst.

Wenn noch einer die Revolution ausrufen wird, dann Jean-Luc Mélenchon. „Mut! Aktion! Entschlossenheit!“ peitschte der 70-jährige Linksradikale nach der verlorenen Präsidentschaftswahl seine Anhänger:innen auf. Er nannte sie den „Dritten Stand“, wie das Volk in der französischen Revolution von 1789. „Ihr könnt Macron schlagen!“ donnerte er im April. „Die präsidiale Monarchie ist am Ende!“

Im Mai schaffte Mélenchon das Unmögliche: Er vereinte die Grünen, Kommunisten, Sozialisten und seine Partei „La France insoumise“ (Das unbeugsame Frankreich) in einem Wahlbündnis. Sollte seine linke „Volksunion“ (Nupes) im Juni die Parlamentswahlen gewinnen, verlangt er, dass ihn der wiedergewählte Präsident Emmanuel Macron zum Premierminister ernennt. Das wäre schon fast ein Bruch mit der Verfassung. Ihr zufolge ist der Staatschef frei, seine Regierung zu ernennen.

Doch Mélenchon will seine Nominierung erzwingen. Er will endlich Chef sein – zumindest Regierungschef, wenn schon nicht Staatschef. Beim Präsidentschaftsrennen im April hatte er den Finaleinzug um ein Stimmenprozent hinter der Rechtspopulistin Marine Le Pen verpasst; einmal mehr blieb dem Caudillo der französischen Politik nur der undankbare dritte Platz. Er, der autoritäre, aber kultivierte Volkstribun, der lauteste Meckerer der Nation, der flammende Reden hält und die Massen mitreißt – er will mehr als die ewige Opposition. Er träumt von einer Rolle wie seine großen Vorbilder Fidel Castro oder Hugo Chavez, früher auch Wladimir Putin.

Über ein halbes Jahrhundert ist Mélenchon schon im Politbetrieb. Mit 17 Jahren agierte er bei den Studentenunruhen des Mai 68. Er neigte den Trotzkisten zu, aber nicht etwa der Hauptströmung, sondern der kleinen, sektiererischen „Organisation communiste internationaliste“ (OCI). Dieser elitäre Geheimbund propagierte die reine Lehre und unterwanderte die moderate Linke: Prominente Sozialisten wie der nachmalige Premier Lionel Jospin oder Parteichef Jean-Christophe Cambadélis waren verdeckte OCI-Mitglieder mit Pseudonymen. Auch Mélenchon (in der OCI trug der den Namen „Santerre“) trat in die Parti Socialiste ein, ohne seiner linksextremen Vergangenheit auch nur im Ansatz abzuschwören. Er wurde Senator, Minister, doch die lauen Sozialisten konnte er nie ausstehen. 2009 trat er aus und gründete nach dem Vorbild von des Deutschen Oskar Lafontaine eine eigene Linkspartei.

Die ersten Anläufe bei den Präsidentschaftswahlen brachten nichts. Mélenchon hatte den Blues und immer wieder cholerische Anfälle. Als die Finanzermittler einmal an seine Tür klopften, um eine Hausdurchsuchung vorzunehmen, schrie er sie wutentbrannt an: „Die Republik, das bin ich!“ – eine unfreiwillige, aber viel sagende Reminiszenz an das monarchische Diktum „L‚Etat c’est moi“.

Bei den Präsidentschaftswahlen verlor er zwar, aber nur knapp; und mit 22 Prozent der Stimmen lag er zudem weit vor der Sozialistin Anne Hidalgo, die auf für sie katastrophale 1,7 Prozent abfiel. Jetzt hatte Mélenchon die Sozialisten endlich im Sack: Als er für die Parlamentswahlen ein linkes Wahlbündnis – unter seiner Führung – vorschlug, konnten die Sozialdemokraten nicht mehr Nein sagen.

Jetzt beherrscht der bekennende Marixist endlich die einst so stolzen Mainstream-Sozis, die er vor 46 Jahren infiltriert hatte. Das im Mai ausgehandelte Programm der Wahlallianz entspricht weitestgehend seinem Programm: ein Mindestlohn von 1500 Euro (derzeit 1303 Euro), Rente mit 60 (heute 62), ein Grundeinkommen für junge Menschenvon knapp 1000 Euro, Einstellung von 860 000 Beamtinnen und Beamten, Verstaatlichungen, Preissperre für Grundnahrungsmittel.

Dazu kommen noch: Atomausstieg, Reichensteuer, Rückzug aus der Nato; eine Sechste Republik ohne präsidiale Allmacht und eine EU ohne Stabilitätspakt. Letzteres ist nur logisch: Die vorgesehenen 300 Milliarden Euro an Mehrausgaben würden das französische Defizit binnen kurzem auf zehn Prozent hochschnellen lassen und die EU in Alarm versetzen.

Der Thinktank Sapiens nennt Mélenchons Programm „eine Art Sowjetisierung“ der französischen Wirtschaft. Sein radikal-autoritäres Vorgehen könnte ihn einen Wahlsieg kosten, der an sich durchaus möglich schiene. Denn Macron ist unpopulär, der inflationsbedingte Kaufkraftverlust verleiht der Linken Auftrieb.

Doch Mélenchon bleibt unfähig zu Mäßigung und Kompromiss. Deshalb machen prominente Sozialisten bei dem linken Schulterschluss unter Mélenchons Ägide nicht mit. Die populäre Präsidentin der Region Occitanie, Carole Delga, meinte zur Begründung, der Chef der „Unbeugsamen“ betreibe seine Politik „außerhalb der Republik“.

Ohne die moderateren Linkswähler:innen kann Mélenchon aber im französischen Mehrheitswahlsystem nicht gewinnen. Viele bedauern dies, da „Méluche“ ein Sympathiepotenzial hat und französische Missstände wie etwa den verkapppten Monarchismus anprangert. Zugleich ist er unfähig, über seinen trotzkistischen Schatten zu springen. Am lautesten müsste der große Schimpfer über sich selber herziehen: Mélenchons schärfster Gegner ist er selbst.

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