1. Startseite
  2. Politik

Der Bundespräsident am Polarkreis

Erstellt:

Von: Gerd Braune

Kommentare

Letzter Gruß vorm Abflug nach Übersee: Elke Büdenbender nebst Gatte Frank-Walter Steinmeier auf Schönefeld.
Letzter Gruß vorm Abflug nach Übersee: Elke Büdenbender nebst Gatte Frank-Walter Steinmeier auf Schönefeld. © dpa

Kanadas Generalgouverneurin Mary Simon empfängt Frank-Walter Steinmeier. Die Reise des Deutschen führt von Ottawa über Vancouver an den Arktischen Ozean.

Mary Simon, Generalgouverneurin von Kanada, bezeichnet sich gerne als „Kind zweier Welten: der Welt der Inuit und der anderen, südlichen Welt“. So sagte sie es vor eineinhalb Jahren auf ihrem ersten Staatsbesuch nach Ernennung zur Generalgouverneurin, der sie nach Deutschland führte. Sie ist stolz darauf, die erste Inuk, die erste Persönlichkeit aus dem indigenen arktischen Volk der Inuit zu sein, die das höchste Staatsamt Kanadas innehat. Nun empfängt sie in Kanada und in ihrer arktischen Heimat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Steinmeier wurde am Sonntagabend mitteleuropäischer Zeit zu einem viertägigen Staatsbesuch erwartet. Mit seinem Besuch auf Gegeneinladung der Generalgouverneurin will Steinmeier „die enge Partnerschaft von Kanada und Deutschland und die Zusammenarbeit zweier liberaler Demokratien“ würdigen, erklärt das Bundespräsidialamt. Nach politischen Gesprächen, Diskussionen und kulturellen Begegnungen in Ottawa steht in Vancouver die wirtschaftliche Kooperation in der Umwelttechnologie im Vordergrund. Der letzte Tag des Besuchs führt Steinmeier dann nach Tuktoyaktuk am Arktischen Ozean, wo er sich ein Bild von des Folgen des auftauenden Permafrostbodens machen will. Der Klimawandel macht sich dort auch mit dem Rückzug der Meereisfläche und Küstenerosion besonders deutlich bemerkbar.

Steinmeier in Kanada: Zeit des Umbruchs

Kanadas Premierminister Justin Trudeau ernannte Mary Simon im Sommer 2021 zur Generalgouverneurin. Dass erstmals eine Indigene dieses Staatsamt übernahm, war ein historischer Schritt in einem Land, dessen Geschichte lange von Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten gegenüber der Urbevölkerung geprägt war. In den vergangenen Jahren wurden an mehreren früheren Residential Schools, den vom Staat eingerichteten und überwiegend von Kirchen geführten Internaten, Hinweise auf Gräber der in ihrer Schulzeit verstorbenen indigenen Kinder gefunden. „Ich kann mit Zuversicht sagen, dass meine Ernennung ein historischer und inspirierender Augenblick für Kanada und wichtiger Schritt auf dem langen Weg zur Versöhnung ist“, sagte Simon noch vor ihrer Ernennung. Das Land bemüht sich um eine neues Verhältnis zu seinen First Nations, den Inuit und den in der frühen Kolonisierung entstandenen Métis.

Kanada hat als Commonwealth-Mitglied und parlamentarische Monarchie Charles III. als Staatsoberhaupt, als „König von Kanada“. Sein Vertreter vor Ort ist die Generalgouverneurin, die auf Vorschlag des lokalen Premiers vom Monarchen ernannt wird. Ihre Pflichten gleichen denen des Bundespräsidenten, sind also vornehmlich moralischer und repräsentativer Art. Die Generalgouverneurin kommandiert auch offiziell die Streitkräfte.

Simon, Tochter einer Inuk-Frau und eines aus dem Süden Kanadas kommenden Pelzhändlers, der für die Hudson’s Bay Company arbeitete, wurde im Norden Québecs, einem als Nunavik bekannten Gebiet, geboren. Sie wuchs auf traditionelle Weise auf. In den abgelegenen Gemeinden Kanadas sind Jagd und das Sammeln von Beeren und Kräutern ein wichtiger Teil des Lebens. In Kuujjuaq, dem früheren Fort Chimo, besuchte sie die Schule. Dort „wurde ich bestraft, wenn ich meine Sprache Inuktitut sprach“, berichtete sie im Herbst 2022 bei einem Vortrag in Kanada. „Heute können indigene Kinder in Schulen in ihren Gemeinden gehen und in ihren eigenen Sprachen lernen und leben.“ Französisch konnte sie in der von der Bundesregierung geführten Schule nicht lernen. Gewöhnlicherweise müssen Generalgouverneur:innen fließend in den beiden offiziellen Amtssprachen des Landes sein, Englisch und Französisch. „Mein Bilingualismus ist Englisch und Inuktitut“, sagt Simon. Sie bemüht sich, ihr brüchiges Französisch zu verbessern. In ihre Reden lässt sie gerne einige Sätze Inuktitut einfließen, so auch bei ihren Auftritten im Herbst 2021 in Deutschland, als sie anlässlich der Buchmesse nach Berlin und dann nach Frankfurt kam.

Arktisrat verwaist

Die heute 75 Jahre alte Inuk kann auf eine lange Karriere als Repräsentantin ihres Volkes und ihrer Nation blicken. Ihre Karriere führte sie nach dem Schulabschluss zum kanadischen Rundfunk CBC und dann in Führungspositionen verschiedener Inuit-Organisationen. 1994 ernannte sie Kanadas Premierminister Jean Chrétien zur ersten Botschafterin für die Arktis und Repräsentantin Kanadas im Arktischen Rat der acht Vertragsstaaten. Nun hat der Krieg Russlands gegen die Ukraine die jahrelange erfolgreiche Kooperation des Rates vorerst beendet. Mehrere Jahre leitete Simon zudem den Inuit Circumpolar Council, die Interessensvertretung der Inuit von Kanada, der USA, Grönlands und der russischen Tschuktschen-Region, sowie Inuit Tapiriit Kanatami, den Verband der Inuit Kanadas. Sie war auch als Botschafterin in Dänemark. Sie ist hoch angesehen, wird im Netz aber immer noch frauenfeindlich und rassistisch attackiert.

Nun reist die Generalgouverneurin mit Steinmeier nach Inuit Nunangat, das sich von Labrador und dem Norden Quebecs über Nunavut und die Nordwest-Territorien bis zum Yukon und die Grenze zu Alaska erstreckt. Es ist „ein Land voller Schönheit und Gegensätze“, sagt Mary Simon.

Auch interessant

Kommentare