Bloß: Die dabei getätigten Ankündigungen waren rasch vergessen. So wie die Wahlversprechen seiner ersten Kampagne von 2017. Das wichtigste, eine überfällige Rentenreform, hat er bis heute nicht durchgebracht. Die Einführung des Verhältniswahlrechts: auch nicht. 15 000 neue Gefängnisplätze: auf die lange Bank geschoben. Abbau von 50 000 Beamtenstellen? Während Macrons Amtszeit entstanden zehntausende neuer Posten in der Verwaltung. Einsparungen von 60 Milliarden Euro im Staatshaushalt? Im Gegenteil: 190 Milliarden Zusatzausgaben. Und längst nicht nur covidbedingt, wie Macron behauptet. Geschafft hat der Präsident eine schwierige Arbeitsmarktreform, die Lehrstellen schaffte und Kündigungen erleichterte. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit auf 7,4 Prozent geht teilweise darauf zurück. Die Grundlage dafür hatte allerdings Hollande vor 2017 gelegt. Von einer „Révolution“, die Macron 2017 in einem Wahlkampfbuch versprochen hatte, war seine erste Amtszeit aber weit entfernt.
Für sein neues Fünf-Jahr-Mandat machte Macron vor allem soziale, das heißt finanzielle Versprechen. Daher schnellte die Staatsschuld hoch. An Strukturreformen plant der wiedergewählte Staatschef eigentlich nur noch die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 65 Jahre. Aber Macron zweifelt offenbar selbst daran, dass es beim zweiten Anlauf klappen könnte:
Schon vor dem Wahlfinale sprach er von der Möglichkeit, das Rentenalter nur auf 64 Jahre zu erhöhen; das restliche Jahr soll erst nach 2027 eingeführt werden. Da Macron verfassungsbedingt kein drittes Mal kandidieren kann, bedeutet das, dass er die heiße Kartoffel zumindest zum Teil an seinen Nachfolger weiterreicht.
Denn auch der Staatschef sieht: Die Wahlurnen sind noch nicht verräumt, da hat sich schon eine geballte Front aus linken und rechten Kräften gegen die „Mutter aller Reformen“, wie man die Pensionsfrage in Frankreich nennt, gebildet. Die „Unbeugsamen“ des linken Volkstribuns Jean-Luc Mélenchon und die Le Pen-Anhänger:innen werden in Macrons zweiter Amtszeit die eigentliche Opposition bilden. Eine harte, radikale, vielleicht auch gewalttätige Opposition.
Die gemäßigten Altparteien – die konservativen Republikaner und die Sozialisten – sind im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022 mit 4,8 und 1,7 Stimmenprozent fast ausgelöscht worden. Das ist unter anderem Macrons Werk: Seit 2017 hatte er ihnen systematisch die Themen und die Spitzenvertreter:innen abgeluchst.
Schon während der Wahlen wurde indessen klar, dass sich Macron damit selber ein Problem geschaffen hat. Hinter den Republikanern kamen die Lepenisten auf, hinter den Sozialisten die „Unbeugsamen“. Sie werden Macron, den sie den „Präsidenten der Reichen“ nennen, keine Ruhe lassen. Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorherzusagen: Das durch schwere Krisen des ersten Macron-Mandates bereits stark erschütterte Frankreich steht vor weiteren politischen Verwerfungen. Macron hat letztlich die Wahl. Entweder legt er die Hände in den Schoß und tut nur noch so, als ob. Sich den hyperaktiven Macron als „lame duck“, als lahme Ente einer immobilen zweiten Amtszeit, vorzustellen, fällt allerdings schwer. Oder Macron versucht sich doch noch an seinen Reformen. Dann wird es um den zivilen Frieden im Land bald einmal geschehen sein.
Das auch, weil Macron in seinem ersten Mandat zu einer Hassfigur für Links- und Rechtsaußen geworden ist. Und er gibt diesen Ressentiments mit seinen saloppen Sprüchen auch noch reichlich Nahrung. Wie auch mit seinen Allmachtansprüchen. „Jupiter“, wie er sich einmal selber nannte duldet im Olymp des Elysée-Palastes keine Partner neben sich, nur Ausführende seines Willens. Die Verfassung der Fünften Republik beruhe nun einmal auf dem Prinzip der „Vertikalität“, dozierte er.
In einem wenig beachteten Wahlinterview spielte Macron unlängst gar mit der Idee, die fünfjährige Amtszeit des Staatschefs auf sieben Jahre zu verlängern. Mit Gültigkeit schon für ihn selbst? Politische Gegner wie der Anwalt Juan Branco verdächtigen ihn jedenfalls, er wolle damit die verfassungsmäßige Obergrenze von zwei Mandaten sprengen – wie dies ein gewisser Wladimir Putin vorgemacht habe. Seither schweigt Macron zu seinem Versuchsballon. Die Animosität, auf die er im ganzen Land stößt, wird dadurch aber zusätzlich angeheizt.
Vielleicht interessiert sich Macron auch deshalb so stark für die Weltpolitik. Mit Diplomat:innen kann Macron eher als mit dem Volk. Erfolg hatte Macron dort, wo er seine Überzeugung hat: in Europa. Frankreich, nach dem Brexit die einzig verbliebene Nuklearmacht der EU und dort auch das einzige permanente Mitglied des Uno-Sicherheitsrates, gibt in Brüssel heute den Ton vor. Und am Sonntagabend hat er Europa auch von den Lepenisten verschont. In Paris hat er seine Herausfordererin aber weiter im Nacken. Der Wahlsieger ist in seinem Palast, politisch gesprochen, einsamer denn je. (Stefan Brändle)