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Frankreich: Einsamer Wahlsieger Emmanuel Macron

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Von: Stefan Brändle

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Emmanuel Macron kann sich laut Hochrechnungen im Amt behaupten. Die Niederlage von Marine Le Pen ist nicht nur für Frankreich eine gute Nachricht.

Paris – Es war punkt 20 Uhr am Sonntagabend, als sich die Spannung eines monatelangen, aufreibenden Wahlkampfs entlud. Frenetisch feierten junge Macron-Wählerinnen und Wähler den Sieg ihres Idols auf dem Pariser Marsfeld. Als der Slogan „nous tous“ (wir alle) auf einer Großleinwand erschien, skandierte die Menge den französischen Sportruf „on a gagné“ – wir haben gewonnen. Frankreich- und Europa-Fahnen schwenkend, wartete sie auf Emmanuel Macron, der erst später am Abend für eine Rede erwartet wurde.

Die Freude und Erleichterung seiner Fans war mit Händen zu greifen. Zum Schluss hatten sie doch noch gezittert, nachdem die Wahl vor dem ersten Durchgang als Formalität für Macron geschienen hatte. In den Umfragen für den zweiten Wahlgang war die Rechtspopulistin Marine Le Pen dem Amtsinhaber bis auf 48, einmal gar 49 Prozent nahegerückt. Im Pariser Hauptquartier von „En Marche“ erinnerte man sich plötzlich, dass die französischen Wählerinnen und Wähler amtierende Präsidenten gerne in die Wüste schicken: So geschehen Nicolas Sarkozy 2012, so auch François Hollande 2017.

Frankreich-Wahl: Neue Taktik von Emmanuel Macron zahlt sich aus

Macron änderte seine Strategie darauf radikal. Er platzierte sich nicht länger über den Niederungen der Politik, sondern stieg beherzt in die Arena. Statt wie bisher die übrigen Kandidat:innen bewusst zu ignorieren, griff er Le Pen frontal an: Ihr „Rassemblement National“ sei keine Sammlungsbewegung, wie es der Name verheiße, sondern ein „Familien-Clan“, erklärte er. Im einzigen TV-Duell der beiden Kontrahent:innen tönte Macron sogar an, Le Pen könne nicht Präsidentin eines westlichen Landes werden, wenn sie vom Putin-Lager einen Millionenkredit entgegengenommen habe, der bis heute nicht zurückbezahlt sei.

Die neue Offensivtaktik zahlte sich aus, wie das Wahlresultat belegt. Le Pen war als das entlarvt, was sie ist: eine Kandidatin, die schlicht nicht das Zeug zur Staatspräsidentin hat. Macron hat es, kein Zweifel. Der 44-jährige Absolvent des Pariser Elite-Lyzeums Henri-IV, der Universität „Sciences Po“ und der Verwaltungseliteschule ENA reagierte nicht nur im TV-Duell agil und schlagfertig. Das mögen Französinnen und Franzosen an ihm: Er hat zu allem etwas zu sagen, und er sagt es mit Präzision und Stil.

Emmanuel Macron, auf einem Bildschirm vor dem Eiffelturm zu sehen, bleibt Präsident von Frankreich.
Emmanuel Macron, auf einem Bildschirm vor dem Eiffelturm zu sehen, bleibt Präsident von Frankreich. © Thibault Camus

Auf diese Art meisterte Macron unter anderem die Gelbwestenkrise, die sein Land 2019 bedrohte. In einem Normandie-Ort sprach er einmal sieben geschlagene Stunden am Stück. Nur seine Weste zog er aus, auch trank er etwas Wasser – sonst sprach er. Und nur er. Die Zuhörer:innen, beeindruckt oder erschlagen von dem Redefluss, hörten staunend zu. Le Monde kommentierte später, Macron sei ein „Casanova der Politik“, der jedes Publikum für sich einzunehmen und zu überzeugen verstehe. Mit der nationalen Gesprächstherapie seines „Grand débat“ (große Debatte) befriedete er die Nation und die Gelbwesten.

Bloß: Die dabei getätigten Ankündigungen waren rasch vergessen. So wie die Wahlversprechen seiner ersten Kampagne von 2017. Das wichtigste, eine überfällige Rentenreform, hat er bis heute nicht durchgebracht. Die Einführung des Verhältniswahlrechts: auch nicht. 15 000 neue Gefängnisplätze: auf die lange Bank geschoben. Abbau von 50 000 Beamtenstellen? Während Macrons Amtszeit entstanden zehntausende neuer Posten in der Verwaltung. Einsparungen von 60 Milliarden Euro im Staatshaushalt? Im Gegenteil: 190 Milliarden Zusatzausgaben. Und längst nicht nur covidbedingt, wie Macron behauptet. Geschafft hat der Präsident eine schwierige Arbeitsmarktreform, die Lehrstellen schaffte und Kündigungen erleichterte. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit auf 7,4 Prozent geht teilweise darauf zurück. Die Grundlage dafür hatte allerdings Hollande vor 2017 gelegt. Von einer „Révolution“, die Macron 2017 in einem Wahlkampfbuch versprochen hatte, war seine erste Amtszeit aber weit entfernt.

Frankreich-Wahl: Präsident Macron trifft auf harte Opposition

Für sein neues Fünf-Jahr-Mandat machte Macron vor allem soziale, das heißt finanzielle Versprechen. Daher schnellte die Staatsschuld hoch. An Strukturreformen plant der wiedergewählte Staatschef eigentlich nur noch die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 65 Jahre. Aber Macron zweifelt offenbar selbst daran, dass es beim zweiten Anlauf klappen könnte:

Schon vor dem Wahlfinale sprach er von der Möglichkeit, das Rentenalter nur auf 64 Jahre zu erhöhen; das restliche Jahr soll erst nach 2027 eingeführt werden. Da Macron verfassungsbedingt kein drittes Mal kandidieren kann, bedeutet das, dass er die heiße Kartoffel zumindest zum Teil an seinen Nachfolger weiterreicht.

So leicht wie im Jahr 2017 würde es für Macron nicht mehr werden, das stand schon vor der Wahl fest.
So leicht wie im Jahr 2017 würde es für Macron nicht mehr werden, das stand schon vor der Wahl fest. © Philippe LOPEZ/AFP

Denn auch der Staatschef sieht: Die Wahlurnen sind noch nicht verräumt, da hat sich schon eine geballte Front aus linken und rechten Kräften gegen die „Mutter aller Reformen“, wie man die Pensionsfrage in Frankreich nennt, gebildet. Die „Unbeugsamen“ des linken Volkstribuns Jean-Luc Mélenchon und die Le Pen-Anhänger:innen werden in Macrons zweiter Amtszeit die eigentliche Opposition bilden. Eine harte, radikale, vielleicht auch gewalttätige Opposition.

Die gemäßigten Altparteien – die konservativen Republikaner und die Sozialisten – sind im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022 mit 4,8 und 1,7 Stimmenprozent fast ausgelöscht worden. Das ist unter anderem Macrons Werk: Seit 2017 hatte er ihnen systematisch die Themen und die Spitzenvertreter:innen abgeluchst.

Frankreich-Wahl: Emmanuel Macron eine Hassfigur für Links- und Rechtsaußen

Schon während der Wahlen wurde indessen klar, dass sich Macron damit selber ein Problem geschaffen hat. Hinter den Republikanern kamen die Lepenisten auf, hinter den Sozialisten die „Unbeugsamen“. Sie werden Macron, den sie den „Präsidenten der Reichen“ nennen, keine Ruhe lassen. Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorherzusagen: Das durch schwere Krisen des ersten Macron-Mandates bereits stark erschütterte Frankreich steht vor weiteren politischen Verwerfungen. Macron hat letztlich die Wahl. Entweder legt er die Hände in den Schoß und tut nur noch so, als ob. Sich den hyperaktiven Macron als „lame duck“, als lahme Ente einer immobilen zweiten Amtszeit, vorzustellen, fällt allerdings schwer. Oder Macron versucht sich doch noch an seinen Reformen. Dann wird es um den zivilen Frieden im Land bald einmal geschehen sein.

Das auch, weil Macron in seinem ersten Mandat zu einer Hassfigur für Links- und Rechtsaußen geworden ist. Und er gibt diesen Ressentiments mit seinen saloppen Sprüchen auch noch reichlich Nahrung. Wie auch mit seinen Allmachtansprüchen. „Jupiter“, wie er sich einmal selber nannte duldet im Olymp des Elysée-Palastes keine Partner neben sich, nur Ausführende seines Willens. Die Verfassung der Fünften Republik beruhe nun einmal auf dem Prinzip der „Vertikalität“, dozierte er.

In einem wenig beachteten Wahlinterview spielte Macron unlängst gar mit der Idee, die fünfjährige Amtszeit des Staatschefs auf sieben Jahre zu verlängern. Mit Gültigkeit schon für ihn selbst? Politische Gegner wie der Anwalt Juan Branco verdächtigen ihn jedenfalls, er wolle damit die verfassungsmäßige Obergrenze von zwei Mandaten sprengen – wie dies ein gewisser Wladimir Putin vorgemacht habe. Seither schweigt Macron zu seinem Versuchsballon. Die Animosität, auf die er im ganzen Land stößt, wird dadurch aber zusätzlich angeheizt.

Vielleicht interessiert sich Macron auch deshalb so stark für die Weltpolitik. Mit Diplomat:innen kann Macron eher als mit dem Volk. Erfolg hatte Macron dort, wo er seine Überzeugung hat: in Europa. Frankreich, nach dem Brexit die einzig verbliebene Nuklearmacht der EU und dort auch das einzige permanente Mitglied des Uno-Sicherheitsrates, gibt in Brüssel heute den Ton vor. Und am Sonntagabend hat er Europa auch von den Lepenisten verschont. In Paris hat er seine Herausfordererin aber weiter im Nacken. Der Wahlsieger ist in seinem Palast, politisch gesprochen, einsamer denn je. (Stefan Brändle)

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