Lage für Geflüchtete in Bosnien weiter katastrophal – Schwere Vorwürfe gegen IOM
Seit Monaten sind die Bedingungen im Flüchtlingslager Lipa katastrophal. Die Kantonsverwaltung vor Ort wirft der Internationalen Organisation für Migration (IOM) nun vor, Unwahrheiten zu verbreiten.
- Die Lage für Geflüchtete in Bosnien ist katastrophal.
- In den Lagern sind viele Menschen nicht vor dem Wintereinbruch geschützt.
- Lokale Verantwortliche machen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) nun Vorwürfe.
Lipa – Schneefälle und ein Temperatursturz haben am Wochenende die Lage in Bosniens ausgebrannten Flüchtlingslager Lipa verschärft. Die bosnischen Streitkräfte haben neue Zelte errichtet - somit haben 200 weitere der bisher unter freiem Himmel biwakierenden Migranten:innen ein provisorisches Lager erhalten.
Es handelte sich um eine „zeitliche Lösung“, die derzeit die bestmögliche sei, erklärte Senahid Godinjak, Kabinettschef in Bosniens Sicherheitsministerium, bei der Lagervisite. Bereits in der vergangenen Woche hatte die Armee für einige hundert der obdachlos gewordenen Lagerbewohner:innen Notzelte errichtet. Zuvor hatte sich die Stadt Bihac der von der Regierung in Sarajevo angeordneten Wiedereröffnung eines vor wenigen Monaten geräumten Lagers im Stadtgebiet zur Unterbringung von 1200 Geflüchteten aus Lipa verweigert.
Geflüchtete in Bosnien: Menschen leben in provisorischen Verschlägen
Während viele der im Kanton Sana-Una gestrandeten Migrant:innen weiter in provisorischen Verschlägen ohne festes Unterdach bibbern, eskalieren in Bosniens Flüchtlingsdrama die Schuldzuweisungen zwischen der Stadt, dem Kanton, der Zentralregierung und der von der EU finanzierten Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Laut Mustafa Ruznic, dem Chef der Kantonsverwaltung, deuteten „alle Indizien darauf hin“, dass es keineswegs wie von der IOM behauptet Geflüchtete gewesen seien, die das Lager bei dessen Räumung am 23. Dezember in Brand steckten. Der IOM und der Regierung sei der Brand für die beabsichtigte Verlagerung der Flüchtlinge nach Bihac gelegen gekommen: Er hoffe, dass die Staatsanwaltschaft den „Mut“ aufbringe, die wahren Verantwortlichen für den Brand „zu bestätigen“.
Flüchtlingslager Lipa in Bosnien: IOM forderte vor Monaten Strom- und Wasseranschluss
Vor der Schließung des Lagers hatte sich die IOM monatelang bei Bosniens Behörden vergeblich um einen Strom- und Wasseranschluss in dem 30 Kilometer von Bihac entfernten Lager Lipa bemüht, um es winterfest zu machen. Empört hat sich IOM-Missionschef Peter van der Auweraert gegenüber dem Webportal „klix.ba“ nun gegen den Vorwurf gewehrt, dass die IOM die tatsächlichen Verantwortlichen für den Brand verschweige: Mit derartigen Anschuldigungen setze der Kanton die IOM-Mitarbeiter:innen „großen Risiken“ aus. Van der Auweraert wehrte sich zudem gegen die Behauptung Ruznics, dass es im 2020 geschlossenen Lager Bira in Bihac zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen gekommen sei.
Für unbegründet hält der IOM-Missionschef auch die Klage der Stadt und des Kantons, dass die Region von den Brüsseler Millionenhilfen keinen Euro sehe und sowohl von der Regierung als auch von der als „scheinheilig“ kritisierten EU bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems im Stich gelassen werde: Die an Bosnien gezahlten EU-Hilfsgelder kämen gerade auch dem Kanton zugute.
Geflüchtete in Bosnien: Kanton ist Flaschenhals auf Balkanroute
Seit 2017 ist der grenznahe Kanton zum Flaschenhals der Balkanroute geworden. Einerseits ist es die Nähe zu Sloweniens Schengengrenze, die Migrant:innen Bosniens Nordwestzipfel ansteuern lässt. Andererseits werden sie dort von Kroatiens Grenzpolizei rigide zurückgedrängt. 2020 sind laut Behörden 16 000 Flüchtlinge zumeist über Serbien nach Bosnien gelangt. Die Zahl der dort gestrandeten Personen wird derzeit auf 8000 geschätzt. Nur zwei Drittel von ihnen sind in Lagern in der Region Sarajevo und im Kanton Una-Sana untergebracht. Der Rest biwakiert in Ruinen oder unter freiem Himmel. (Thomas Roser)