Fischen am rechten Rand

In Bayern versuchen AfD und CSU, sich wechselseitig das Wasser abzugraben.Die Christsozialen geben sich nur offiziell gelassen über das Erstarken einer Partei rechts von der Union. Wer hechelt wem hinterher?
Von Harald Biskup
Die Polizei ist mit mehreren Einsatzfahrzeugen vor Ort. Prophylaktisch, wie es heißt. Einzugreifen braucht sie nicht, doch ihre schiere Präsenz ist eine Steilvorlage für mehrere Redner, vor allem aber für die Stimmung im Saal. Die AfD wäre nicht die AfD, würde sie die „offenkundige Notwendigkeit des Polizeischutzes“ nicht genüsslich ausschlachten. Artig steht der Pächter des Vereinslokals vom Nürnberger „TV Glaishammer“ mit seiner Kellnerbrigade stramm, als ihn der Ortsverbands-Vorsitzende für seinen Mut lobt, die AfD in seiner Gaststätte tagen zu lassen. Und das, obwohl es bei einer Veranstaltung vor einigen Wochen Randale gegeben hatte. Und obwohl als Hauptreferent ein gewisser Stefan Räpple anreisen wird, der als ausgesprochener Hardliner gilt.
Den Anfang aber macht wie bei einer guten Inszenierung, die das Pulver nicht gleich zu Beginn verschießt, Wiebke Muhsal, stellvertretende AfD-Fraktionschefin im Thüringer Landtag. Aus einem „Nachbar-Gau“, wie der Mittfünfziger am Tischende bemerkt. Noch sind die bayerischen Rechtspopulisten nicht im Landtag vertreten, aber ihr Einzug bei der nächsten Wahl 2018 gilt als ausgemacht. Vor ein paar Monaten hatte die 30-jährige Juristin im Erfurter Parlament für einen Eklat gesorgt, als sie vollverschleiert den Plenarsaal betreten hatte, „aus Protest gegen die Entwürdigung der Frau im Islam“. Zu ihrem Auftritt in Nürnberg hat die blonde Juristin den schwarzen Niqab nicht mitgebracht – zum Bedauern mancher im Saal. Ihr Referat über Schulpolitik fällt hausbacken aus. Seitenhiebe auf die CSU-Kultusbürokratie („kein Deut besser als rot-grüne Ideologen“) mag sie sich allerdings nicht verkneifen.
Erst als Stefan Räpple, der im dunklen Anzug mit weißem Oberhemd in dem Vereinsheim wie ein Fremdkörper wirkt, das Mikrofon übernimmt, merkt man so richtig, wo man ist. Der Mann, der als Bildungsexperte der Partei vorgestellt wird, auf seiner Webseite aber unter „zertifizierter Hypnose-Therapeut“ firmiert, erfüllt die Erwartungen der Zuhörer voll. „Mutbürger“ steht auf dem T-Shirt eines 15-Jährigen.
Räpple gehörte der zuletzt der Rumpf-AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag an, die sich gegen den Ausschluss des Abgeordneten Gedeon wegen dessen antisemitischer Äußerungen gewehrt hatte. Im Plauderton berichtet der gelernte Konditor, sein Lehrerstudium habe er abgebrochen, weil er die „linke Infiltration“ an der Uni nicht mehr habe ertragen können. Es sei heute „nicht mal mehr möglich zu fragen, ob sechs Millionen Juden in den KZ umgekommen sind oder ob es nicht vielleicht doch nur viereinhalb Millionen waren“. Leichtes Raunen im Saal, viele nicken. Solche Ungeheuerlichkeiten streut Räpple mal eben so zwischendurch ein – in sein Spezialthema Sexualkunde-Unterricht. „Puff für alle“ laute noch eine der harmloseren Vorschläge in der Aufklärungs-Fibel, aus der er seitenlang zitiert. Um irgendwann zu der Feststellung zu kommen, all dies seien doch Vorboten für die „Kernschmelze unseres Systems“, dessen Untergang die AfD unter tatkräftiger Mitwirkung der Christ-Sozialen auch im Freistaat Bayern heraufziehen sieht.
Die Partei der Seehofers, Söders und Scheuers gebe sich in Bierzelten hart und kompromisslos, aber wenn es drauf ankomme, zögen sie den Schwanz ein und agierten lammfromm. Solche Wahrnehmungen, für die CSU-Strategen niederschmetternd, kann man in diesen Tagen zuhauf hören zwischen Hof und Hindelang. Auch beim Bezirksverband Nürnberg-Fürth gibt man sich offiziell gelassen über das Erstarken einer Partei rechts von der Union, von Franz Josef Strauß dereinst als Gespenst an die Wand gemalt. In Wirklichkeit haben sie Angst vor Petry, Gauland, Höcke & Co. Nur will das keiner öffentlich zugeben.
Es gehe um nichts weniger, als darum, „die hegemoniale Position der CSU im Freistaat zu verteidigen“, sagt der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. Er zählt zu den intimsten Kennern der Partei, der er selbst angehört. Sie sei sehr geübt darin, „einen engen Schulterschluss mit der Mentalität der Bevölkerung herzustellen“. Hinter dieser Strategie stecke der Versuch, der Konkurrenz von rechts „das Wasser abzugraben ohne ihr hinterherzulaufen“.
Tut sie das aber nicht längst, wie der SPD-Fraktionschef im Münchner Landtag, Markus Rinderspacher, nicht müde wird zu behaupten? „Wer die AfD permanent regelrecht salonfähig macht, ihre Rhetorik übernimmt, ihr vorauseilt oder hinterherläuft“, dürfe sich nicht wundern, wenn das Original in Umfragen zulege. Und: Das Konzept, „Rechtspopulismus mit Rechtspopulismus besiegen zu wollen“, werde am Ende nicht aufgehen.
Als der CSU-Vorstand jüngst bei einer Klausur im oberpfälzischen Schwarzenfeld ein 15-Punkte-Papier verabschiedete, in dem etwa ein Burka-Verbot, das Ende der doppelten Staatsbürgerschaft und die Aufnahme der „Leitkultur“ in die Landesverfassung verlangt wurden, war das natürlich Wasser auf die Mühlen der AfD. Deren Berliner Spitzenkandidat Georg Pazderski frohlockte, bei dem Forderungskatalog handle es sich um „populistische Piraterie“.
Ist der Eindruck falsch, dass die Partei der Unzufriedenen, mit der auch mehr und mehr bisherige Wähler der Christsozialen sympathisieren, dabei als Einflüsterer und Stichwortgeber fungiert habe? Das lasse sich nicht bestreiten, räumt im Gespräch der jüngst zum Bundestagskandidaten für Deggendorf gekürte Thomas Erndl ein. Zum Beispiel sei die Burka „zu einem Schein-Problem hochstilisiert worden“. Er fände es für seine Partei fatal, „wenn wir beim Fischen am rechten Rand überdrehen würden“.
Sein Geld verdient der 42-jährige Ingenieur in der Autoelektronik im weltoffenen München, seine politische Bühne aber ist die niederbayerische Provinz mit einer deutlich konservativeren Klientel. Um seinen Wahlkreis muss er sich nicht sorgen, der gilt, wie hier sagt, als „g’mahd Wiesn“. Sein Vorgänger, Bartholomäus Kalb, ein politisches Urgestein, hatte zuletzt sagenhafte 61,4 Prozent eingefahren. Da war die Welt in Deggendorf noch in Ordnung. Gerade kommt er aus München zurück und schaltet innerlich um in den Niederbayern-Modus. Die AfD sieht er als reine Protestpartei. Von einem „Wettbewerb um Parolen“ oder gar von einer Kursbestimmung der CSU als „eine Art Petry-Partei light“ hält Erndl rein gar nichts: „Das wär’ a rechter Schmarrn.“
So ungewiss derzeit ist, wie lange die Wiederannäherung der zerstrittenen C-Schwesterparteien Bestand hat – die bayerische AfD nutzt den neuen Kurs aus, um auf die CSU einzudreschen. „Wo CSU draufsteht, ist Merkel drin“, tönt es aus den Reihen der Rechtspopulisten. „Die neue Obergrenze-Rhetorik bleibt Makulatur.“ Unter der Überschrift „200 000-facher Irrsinn“ meldet sich im rechtslastigen Internetportal „Metropolico“ ein Christian Jung zu Wort. Die CSU gaukele dem Publikum einen „Gegenkurs zum Aberwitz der Kanzlerin“ vor. Tatsächlich aber wolle Seehofer doch bloß „denselben Irrsinn mit leicht verminderter Geschwindigkeit“ .
Derweil versuchen an der CSU-Basis Männer wie Bundestagskandidat Erndl oder der junge Rechtsanwalt Bastian Bohn im niederbayerischen Abensberg wacker gegen den drohenden Verlust der absoluten Mehrheit anzukämpfen. Das beeindruckt die Rechtspopulisten wenig. Beflügelt durch die jüngsten zweistelligen Wahlerfolge in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, machen sie Front gegen die selbst ernannte Staatspartei. AfD-Vize Albrecht Glaser, einst mit CDU-Parteibuch Kämmerer der Stadt Frankfurt, droht: „Wenn die AfD in Bayern Fuß fasst, ist es mit der Alleinherrschaft der CSU für immer vorbei.“
Was aber tun, um die AfD nicht noch stärker werden zu lassen? Zu vorgerückter Stunde, nach ein paar Hellen und einem „Prosit der Gemütlichkeit“ von einem scheppernden Kassettenrekorder platzt auf einem Hoffest irgendwo zwischen Straubing und Passau ein paar gestandenen Gemeinderäten der Kragen: „Schleunigst raus aus der großen Koalition!“ Die CSU müsse sich „endlich wieder was trauen“ und die Petry-Populisten übertrumpfen. „AfD? Das erledigen wir selber.“ Die Besonneneren wie zum Beispiel der Abensberger Fraktionsvorsitzende Bohn raten zum Kurshalten, auch auf die Gefahr, Stammwähler zu verlieren. „Die AfD rechts zu überholen, das wäre ein Irrweg.“
Die neuesten Umfrage-Höchstwerte der AfD sorgen freilich für weitere Unruhe bei den Christsozialen. „Lassen Sie uns den Weg gemeinsam gehen. Sie können alles erreichen“. So liest sich das vollmundige Versprechen von Hypnose-Coach Stefan Räpple auf seiner Webseite. Seine Gegner attestieren ihm auch die Fähigkeit zum politischen Hypnotiseur. In Trance geraten sind die Leute nach seinem Auftritt im Vereinsheim des TV Glaishammer nicht. Aber wie jedes Mal packt Räpple anschließend einen Stapel unterschriebener Beitrittserklärungen in seinen Businesskoffer.