FDP unter Filz-Verdacht: Lindner wegen „hochproblematischer“ Entscheidung in der Kritik
Nach der „Trauzeugen-Affäre“ steht nun auch Christian Lindner in der Kritik. Ein Parteifreund soll in den Commerzbank-Aufsichtsrat.
Berlin – Seit Anfang Mai steht Robert Habeck (Grüne) wegen möglicher Vetternwirtschaft rund um seinen Staatssekretär Patrick Graichen in der Kritik. Nun scheint auch auf die FDP in die Schusslinie zu geraten. Das Finanzministerium von Christian Lindner hat einen engen Vertrauten für den Aufsichtsrat der Commerzbank vorgeschlagen. Lobby-Kontrollverbände halten die Entscheidung für „hochproblematisch“. Die FDP kontert.
Lindner und sein Ministerium schlagen Ex-FDP-Mann der Commerzbank vor – nach Ausstiegsspekulationen
Harald Christ heißt der Mann, um den sich die Diskussionen drehen – ein millionenschwerer Unternehmer und bis April 2022 Schatzmeister der FDP. Lindner und Christ dürften sich gut kennen. Der Finanzminister hatte bereits zwei exklusive Rede-Auftritte auf Christ-Veranstaltungen, wie der Tagesspiegel schreibt. Ende Mai soll Christ nun in den Aufsichtsrat der Commerzbank einziehen, an der der Bund mit über 15 Prozent beteiligt ist. Vorgeschlagen habe den Unternehmer die Bundesregierung, teilte die Commerzbank mit.
Die Commerzbank und die Bundesregierung
Die Bundesregierung ist mit einem 15,6-prozentigen Anteil der größte Einzelaktionär der Commerzbank. Die Beteiligung ist ein Überbleibsel der Finanzkrise 2008/2009, als die Bundesregierung gemeinsam mit der Europäischen Kommission die Bank mit einer Finanzspritze von 8,2 Milliarden Euro stütze.
Als größter Einzelaktionär hat die Bundesregierung die Möglichkeit, zwei Mitglieder des Aufsichtsrats vorzuschlagen. Sie müssen anschließend von der Hauptversammlung bestätigt werden, was jedoch als Formsache gilt. In den letzten Jahren wurden die Mitgliedsvorschläge meist vollständig angenommen.
Bereits im November war die Personalie bekannt geworden. Der Spiegel hatte damals über Lindners geplante Neuausrichtung der Commerzbank berichtet. Die Nachricht kam überraschend, denn bislang drehten sich die Spekulationen eher um die Frage, ob der Bund aus der Commerzbank aussteigt. Die geplante Berufung Christs deutet zumindest nicht konkret darauf hin.

FDP-Finanzministerium mit Partei-Freund-Vorschlag: Verbände mahnen – „hochproblematisch“
Kurz vor der Bestätigung der neuen Aufsichtsratsmitglieder in der Hauptversammlung üben Verbände Kritik an Lindners Vorgehensweise. „Wir halten Christian Lindners Entsendung eines engen persönlichen Vertrauten ohne öffentliches Amt in den Vorstand der Commerzbank für hochproblematisch“, sagte beispielsweise Aurel Eschmann vom Verein Lobbycontrol dem Tagesspiegel. Auf Seiten Christs fürchtet Eschmann „immense Interessenkonflikte“. Die Kontakte durch den Aufsichtsrat könne der Unternehmer auch für sein eigenes Beratungsunternehmen nutzen.
Der Anti-Korruptionsverein Transparency International prangerte an, es hätte ein „neutrales, nachvollziehbares Auswahlverfahren“ für eine wichtige Position im Staatsauftrag geben müssen. Auch wenn der Bundesregierung offiziell eine freie Besetzung erlaubt sei, hätte dies den „Anschein eines Interessenkonflikts“ vermeiden können.
Vetternwirtschaft bei der FDP: Ministerium kontert Vorwürfe
Das Finanzministerium betonte, dass ein besonderes Auswahlverfahren bei der Commerzbank nicht vorgesehen sei. Stattdessen sei es wichtig, auch „Persönlichkeiten mit wirtschaftlichem Sachverstand aus dem Privatsektor zu gewinnen“, rechtfertigte es die Personalentscheidung.
Ob der Vorschlag, Christ in das 80.000-Euro-Amt zu heben, direkt von Christian Lindner kam, verriet das Finanzministerium der Zeitung nicht. Auch ob beide Unternehmer befreundet seien, blieb unklar. Christ soll jedoch nicht auf der Lindner-Hochzeit im letzten Jahr gewesen sein.
Dass Christian Lindner Privates und Geschäftliches vermischt, war auch im Januar 2023 vermutet worden. Anfang des Jahres drohten dem Finanzminister Korruptionsuntersuchungen. Die Vorwürfe drehten sich um einen hohen Privatkredit bei einer Bank, bei der Lindner ein Grußwort gehalten hatte. Die Justizbehörden sahen darin aber keinen Anfangsverdacht strafbaren Verhaltens. Der Prüfvorgang wurde Ende Januar geschlossen. Anfang Mai sah sich auch Volker Wissing, FDP-Verkehrsminister, mit Vorwürfen konfrontiert – Lindner beschwichtigte. (chd)