Familienministerin Lisa Paus zur Istanbul-Konvention: „Ein wichtiger Meilenstein“

Frauenministerin Paus über die Erfolge der Istanbul-Konvention, was in Deutschland noch fehlt und warum nicht alle unterzeichnet haben.
Frau Paus, als Frauenministerin sitzen Sie an entscheidender Stelle, wenn es um die Erfüllung der Istanbul-Konvention geht. Wie sehr liegt Ihnen das Abkommen am Herzen?
Die Istanbul-Konvention ist das wichtigste völkerrechtliche Instrument zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und für den Schutz und die Unterstützung von Betroffenen. Die Konvention untermauert das grundlegende Menschenrecht von Frauen auf ein Leben ohne Gewalt. Für mich als Frauenministerin und Feministin ist die Umsetzung dieses Abkommens ein wichtiger Meilenstein.
Was macht für Sie den Geist und die Praxis dieses Übereinkommens entscheidend aus?
Die Istanbul-Konvention drückt aus, was in Europa breiter Konsens ist: Wir dürfen keine Gewalt gegen Frauen akzeptieren, sondern müssen sie mit allen Mitteln bekämpfen. Die Istanbul-Konvention war zudem das erste Abkommen seiner Art, das nicht nur rechtlich bindende Standards für die Bestrafung von Tätern festlegt, sondern auch für Schutzmaßnahmen und Prävention.
Die Istanbul-Konvention ist ja nicht der einzige internationale Vertrag, der versucht, geschlechtsspezifische Gewalt einzudämmen. Wie erfolgreich ist diese Konvention?
Die Konvention hat eine bemerkenswerte Wirkung, nicht nur bei der Verhinderung von Gewalt, sondern auch beim Schutz der Opfer und der strafrechtlichen Verfolgung der Täter. Das Abkommen hat geholfen, verschiedene Gewalttypen per Gesetz zu kriminalisieren, die vorher juristisch gesehen gar keine Verbrechen waren. Das ist aber noch nicht alles: Um die Konvention ratifizieren zu können, hat Deutschland 2013 das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ eingerichtet. Und seit 2016 gilt auch in Deutschland im Strafrecht der Grundsatz „Nein heißt nein“. Für Opfer von Vergewaltigung und sexuellen Übergriffen ist das ein echter Paradigmenwechsel. Ohne die Istanbul-Konvention wären wir heute vielleicht immer noch nicht so weit. Das heißt aber nicht, dass wir schon alle Ziele der Konvention erreicht hätten. Sie bleibt ständiger Antrieb für weitere Verbesserungen – in Bund, Ländern und Kommunen.
Erst kürzlich hat die Bundesregierung ihre Vorbehalte gegen die Konvention zurückgezogen, so dass sie ab 1. Februar uneingeschränkt gilt. Die Vorbehalte betrafen vor allem Regelungen zum Umgang mit Migrantinnen. Das ist kein Zufall, oder?
Im Koalitionsvertrag hatten wir vereinbart, die Istanbul-Konvention ohne jegliche Vorbehalte umzusetzen. Das haben wir erfüllt, wir haben die Vorbehalte nicht erneuert, sie laufen jetzt zum Ende des Monats aus. Das ist ein klares Zeichen auch für alle Menschen mit Migrationsgeschichte, dass sie in vollem Umfang von der Istanbul-Konvention profitieren, dass ihre Rechte geschützt sind und dass sie Zugang zu Schutz und Beratung bei Gewalt haben.
Im vergangenen Herbst ließ der Europarat untersuchen, wie gut Deutschland bei der Umsetzung der Istanbul-Vorgaben dasteht. In seinem Bericht war das Expertengremium keineswegs ganz zufrieden. Wo muss Deutschland besser werden?
Der Bericht evaluiert, welche Vorgaben der Konvention Deutschland bereits gut umgesetzt hat, zum Beispiel das Gewaltschutzgesetz, das nationale Hilfetelefon oder die Reform des deutschen Sexualstrafrechts. Der Bericht zeigt aber auch, wo noch Handlungs- und Verbesserungsbedarf bestehen. Die Expert:innen fordern, mehr Frauenhausplätze zu schaffen und die Beratung für von Gewalt betroffene Frauen weiter auszubauen. Außerdem mahnt der Bericht, dass Deutschland eine Koordinierungsstelle auf Bundesebene und eine langfristige Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen braucht. Auch soll es künftig verpflichtende Trainings für alle Berufsgruppen geben, die in Kontakt mit Opfern oder Tätern von Gewalt kommen. Außerdem kritisiert der Bericht, dass bei Entscheidungen zum Umgangsrecht die Situation und der Schutz von Gewaltopfern noch nicht ausreichend berücksichtigt werden. An diese Hausaufgaben müssen sich Bund, Länder und Kommunen jetzt machen. Ich werde hier weiterhin Druck machen.
Was kann Ihr Ministerium tun, um die Konvention auf allen Ebenen zu erfüllen – und wo sind Sie auf andere Akteure angewiesen?
Der Koalitionsvertrag sieht schon ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor, um den Schutz und die Beratung bei Gewalt bundesweit zu verbessern und die Umsetzung der Konvention sicherzustellen. Die unabhängige Berichterstat-tungsstelle zur geschlechtsspezifischen Gewalt hat bereits im November letzten Jahres ihre Arbeit aufgenommen. Wir werden zudem das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern. Dafür wollen wir auf Bundesebene einen Rechtsrahmen für die verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern schaffen. Und wir sind aktuell dabei, die Arbeit einer Koordinierungsstelle auf konzeptionelle Beine zu stellen. Ihre erste Aufgabe wird die Entwicklung einer Gesamtstrategie gegen Gewalt sein.
Längst nicht alle EU-Länder haben die Konvention unterzeichnet. Verstehen Sie, warum?
Der Einsatz für die Rechte von Frauen ist in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. In Verhandlungen über Frauenrechte in internationalen Organisationen und in der EU zeigt sich immer deutlicher ein starkes Auseinanderdriften. Die Türkei ist bereits aus der Istanbul-Konvention ausgetreten, Polen hat es angekündigt mit der Begründung, das Abkommen stelle die traditionelle Familie in Frage. Dazu kann ich nur sagen: Hier werden hart erkämpfte Frauenrechte aufs Spiel gesetzt. Der Istanbul-Konvention geht es ausschließlich darum, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu stoppen. Das muss unser aller Ziel sein. In bi- und multilateralen Gesprächen setzt sich die Bundesregierung für eine Ratifizierung der Konvention durch weitere EU-Staaten ein. Ich rufe alle Staaten dazu auf, diesem Abkommen zum elementaren Menschenrechtsschutz beizutreten.
In der EU wird an einer Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gearbeitet. Was wäre der Fortschritt gegenüber der Istanbul-Konvention?
Nicht jeder EU-Mitgliedstaat hat die Istanbul-Konvention ratifiziert, obwohl sie sich bewährt hat. Im Vorschlag der EU-Kommission werden außerdem Mindeststandards für die Mitgliedstaaten innerhalb der Zuständigkeitsbereiche der EU festgelegt, das betrifft unter anderem auch die Kriminalisierung von Cybergewalt. Die wird nicht ausdrücklich im Übereinkommen von Istanbul erfasst.
Interview: Bascha Mika