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Extinction Rebellion - etablierte Protestform des zivilen Ungehorsams

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Von: Fridolin Skala

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Extinction Rebellion macht in Berlin mit Straßenblockade von sich reden.
Extinction Rebellion macht in Berlin mit Straßenblockade von sich reden. © dpa

Konfliktforscher Haunss spricht mit der FR über die Protestformen von Fridays for Future und Extinction Rebellion und über gelungene Medienstrategien.

Sebastian Haunss leitet die Forschungsgruppe Soziale Konflikte am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Darüber hinaus hat der Protestforscher im August zusammen mit Moritz Sommer, Dieter Rucht und Sabrina Zajak die Studie „Fridays for Future. Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland“ am Institut für Konfliktforschung publiziert.

Herr Haunss, in Ihrer jüngsten Studie zu Fridays for Future beschreiben Sie die Teilnehmer der Demonstrationen als jung, gut gebildet, weiblich und politisch links. Ist das tatsächlich eine so homogene Gruppe?

Nein, natürlich ist die Bewegung sehr divers. Das sind Durchschnittsangaben aus unseren Befragungen. Die Jugendlichen haben sehr unterschiedliche Motive geäußert, warum sie protestieren. Für viele war die größte Motivation, die eigene Zukunft in die Hand zu nehmen und dafür aktiv zu werden. Einige waren aber auch nur dabei, weil ihre Freunde zu den Protesten gegangen sind, und sie nicht die Einzigen sein wollten, die in der Schule bleiben.

Unterschiede von Extinction Rebellion und Fridays for Future

Extinction Rebellion hat mit Straßenblockaden für Aufmerksamkeit gesorgt. Ist das als erste Abspaltungserscheinung von Fridays for Future zu werten?
Das sehe ich momentan noch nicht. Natürlich gibt es Streit bei Fridays for Future um die Ausrichtung, die Ziele und die Aktionen, aber das sind keine unfruchtbaren Fraktionierungskämpfe. In sozialen Bewegungen gibt es immer Streit über Ziele und Aktionsformen, weil es sich dabei eben nicht um festgefügte Organisationen handelt. In manchen Städten gab es ja auch schon gemeinsame Aktionen der beiden Gruppen. Extinction Rebellion ist vielmehr ein Ausdruck der Diversifizierung der gesamten Klimabewegung.

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Sebastian Haunss

Inwiefern unterscheiden sich Fridays for Future und Extinction Rebellion?
Sie unterscheiden sich in ihren Protestformen und ähneln sich in ihren relativ moderaten Forderungen, die darauf hinauslaufen, die auf internationalen Konferenzen verabschiedeten Beschlüsse umzusetzen – wobei die Forderungen bei XR recht allgemein gehalten sind. Fridays for Future setzt vor allem auf zwei Dinge: einerseits auf die großen Demonstrationen wie zuletzt sehr erfolgreich am 20. September, also das klassische Mittel des Protestmarsches. Andererseits halten sie regelmäßig eher kleinere Mahnwachen und Kundgebungen ab, an denen in erster Linie Schülerinnen und Schüler teilnehmen. Extinction Rebellion setzt auch auf ein schon lange etabliertes Protestrepertoire des zivilen Ungehorsams.

Extinction Rebellion wird immer wieder als radikale Protestgruppe bezeichnet. Trifft diese Zuschreibung zu?

Ich finde es eher überraschend. Sie benutzen eine Protestform, die in der Umweltbewegung tradiert ist, egal ob es in der Vergangenheit um Atomkraft oder Kohle ging. Nur der Ort der Blockaden ist heute ein anderer, die Innenstädte. Bei den Anti-Atomkraftprotesten gehörten diejenigen, die sich von der Polizei wegtragen ließen, eher zum gemäßigten Flügel. Insofern würde ich das nicht zu hoch hängen oder als Ausdruck politischer Radikalität einordnen.

Fridays for Future hat mediale Aufmerksamkeit

Das Klimapaket der Bundesregierung wird nach und nach verabschiedet. Auch wenn es vielen nicht weit genug geht, ist es gut möglich, dass auf Dauer weniger Menschen an den Großdemonstrationen teilnehmen. Hat Fridays for Future Ihrer Meinung nach vorgesorgt, dass die Bewegung nicht wieder verschwindet?
Die Forschung zum Erfolg sozialer Bewegungen liefert nicht das eine richtige Rezept. Es werden aber immer wieder eine Reihe von Faktoren genannt, die den Erfolg begünstigen. Die zwei relevantesten sind eine langanhaltende Mobilisierung und die Fähigkeit, eine Bevölkerungsmehrheit oder die politische Elite hinter sich zu bringen. Soziale Bewegungen sind auf mediale Aufmerksamkeit angewiesen und dabei muss man beachten, dass die mediale Aufmerksamkeit innovationsgetrieben ist. Wenn immer wieder das Gleiche kommt, hat es für die Medien keinen Aufmerksamkeitswert. Die Strategie von Fridays for Future mit kleineren wöchentlichen Aktionen und zeitlich weiter auseinanderliegenden Großdemonstrationen mit steigenden Teilnehmerzahlen ist also gut. Selbst, wenn die irgendwann stagnieren, ist aktuell eine Größe erreicht, die für ausreichend mediale Aufmerksamkeit sorgt.

Also müssen die Jugendlichen nichts ändern?
Fridays for Future hat eine gute Strategie und diversifiziert seine Protestformen ja auch. Es gab Aktionen zusammen mit Ende Gelände in Aachen, den Sommerkongress von Fridays for Future in Dortmund und weitere Bildungsveranstaltungen und Podiumsdiskussionen. Und mit all dem erreichen sie noch immer das, was sie wollen und brauchen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen: politische Aufmerksamkeit.

Interview: Fridolin Skala

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