Energie-Experte zur Klima-Zeitenwende: „Öl-Staaten werden ohne Anpassung langfristig untergehen“

Die Klimakrise macht eine globale Energiewende notwendig. Doch der Übergang könnte vor allem für Öl-Staaten schmerzhaft sein. Ein Land hat sich deshalb schon grün aufgestellt.
Bonn/Köln – Die Globalisierung ist eine Geschichte der Gewinner und Verlierer. So wird es auch in der grünen Transformation sein. Denn zweifellos neigt sich das fossile Zeitalter von Kohle, Öl und Gas dem Ende zu. Nach dem Bericht „Megatrends der globalen Energiewende II“ der Umweltorganisation WWF sind weltweit mehr als 80 Prozent der neu installierten Stromkapazitäten erneuerbar. Klarer Gewinner der Energiewende dürfte Skandinavien sein. Norwegen und Schweden werden wahrscheinlich künftig einen großen Prozentsatz des weltweiten Bedarfs an grünem Wasserstoff produzieren. Sie besitzen bereits die Infrastrukturen und haben genug Geld, diese weiter auszubauen. Aber auch der afrikanische Kontinent hat enormes Potenzial für erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wind und Wasser.
Überraschenderweise ist Saudi-Arabien ebenfalls vorne dabei. Der Golfstaat, reich durch seine Öl- und Gasvorkommen, investiert in grüne Technologien, um seine Wirtschaft zukunftssicher zu machen. Für viele der anderen Ölstaaten, etwa des Mittleren Ostens, wird die Energiewende jedoch schmerzhaft. Denn in zahlreichen dieser Länder sind die Volkswirtschaften von Erzeugung und Export fossiler Brennstoffe extrem abhängig. Mit Blick darauf konstatiert Dr. Tilman Altenburg vom German Institute of Development and Sustainability im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA: „Ohne Anpassung werden alle ölexportierenden Nationen langfristig Verlierer sein. Aber einige, die jetzt schon auf neue Sektoren umsteuern, wie eben Saudi-Arabien, können den Strukturwandel meistern, auch durch Erneuerbare und Wasserstoff.“
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Energiewende: Öl-Staaten stehen vor besonderen Herausforderungen
Ob ein Land den Strukturwandel meistert, hängt davon ab, inwiefern es heute in der Lage ist, zu investieren und seine Wirtschaft umzubauen. Skandinavische Länder und die Golfstaaten schaffen das. Sie können große Investitionen tätigen und verfügen über die notwendigen Technologien. Aber viele Öl-Länder sind arm und autokratisch regiert, beispielsweise Algerien, Angola, Äquatorial-Guinea, Nigeria oder Venezuela. „Nicht zufällig sind die Länder mit der schlechtesten Staatsführung, der sogenannten Bad Governance, häufig Ölländer. Öleinnahmen treiben die Wechselkurse so in die Höhe, dass sich nichts außer Erdöl zu exportieren lohnt. Das zementiert die Abhängigkeit. Viele Länder haben sich so korrupte Regime eingehandelt“, so der Wissenschaftler.
Das Problem: Wenn niemand mehr fossile Brennstoffe kauft, verlieren die Raffinerien und Bohr-Konzessionen ihren Wert und der Bankrott droht. Diese Länder seien in ihrer Öl-Abhängigkeit gefangen, meint Altenburg. Hohe Arbeitslosigkeit, Armut, Migration und wirtschaftlicher Zusammenbruch könnten die Folge sein. So muss es aber nicht kommen.
Erneuerbare Energien: Afrika hat durch Sonne, Wind und Wasser großes Potenzial
Um den Umstieg weltweit zu schaffen, fällt daher vornehmlich dem globalen Norden die Aufgabe zu, durch internationale Investitionen und Bereitstellung von Technologien sicherzustellen, dass bei dem nötigen Umbau nicht auf Kosten von Entwicklungs- und Schwellenländern Profit gemacht wird. Einen Vorteil gibt es klar für ärmere Länder mit reichem Potenzial für Solar- und Windenergiequellen: Gerade die Europäische Union will künftig sehr viel grüne Energie für ihren Bedarf importieren. Zudem werden bereits Investitionen in grünen Wasserstoff in afrikanischen Ländern getätigt.
Aber, warnt Altenburg: „Ob die Projekte den Menschen vor Ort zugutekommen, hängt davon ab, an welche Bedingungen die Verträge geknüpft sind – und was man mit den generierten Einnahmen macht. Versickern sie in korrupten Deals, wie das häufig in Ölstaaten zu beobachten ist, oder bleibt der Geldfluss transparent und wird für die lokale Bevölkerung verwendet?“ Der lokale Bedarf ist groß: „In Afrika herrscht aktuell noch ein riesiges Energiedefizit, in den meisten Ländern sind viele Haushalte nicht an das Stromnetz angeschlossen“, sagt Altenburg. Grüne Energien könnten diese Lücken schließen.
Globaler Süden und globaler Norden: Strafsteuer für Dekarbonisierung sorgt für Spannung
Doch der alte Gerechtigkeits-Konflikt zwischen globalen Süden und globalen Norden bleibt. Ein neuer Streitpunkt ist das sogenannte CO₂-Grenzausgleichssystem der EU. Dieses soll Strafzölle erheben auf Importwaren aus Ländern, die weniger strikte Emissionskontrollen haben als Europa. Der Grund: Wer weniger auf teure Emissionsminderungen setzt, kann generell billiger produzieren – und damit Europa preislich unterbieten. Getroffen wird durch die künftige Regel unter anderem das Exportland China. Nicht nur Peking übt daher bereits Kritik an den Plänen.
Der berechtigte Vorwurf aus dem globalen Süden: Die Industriestaaten haben jahrzehntelang unbegrenzt emittiert, um ihren Wohlstand zu steigern. Sie haben die Klimakrise verursacht, verbieten aber jetzt Entwicklungsländern, den gleichen Weg zu gehen. Und das, obwohl Länder wie China für uns produzieren, aber selbst die Emissionen dafür verbuchen müssen.
Energiewende: Chance für eine gerechtere Welt
Klar ist aber auch: Gerade der Globale Süden ist bereits sehr stark vom Klimawandel betroffen – und kann dem wenig entgegensetzen. Angesichts der Klimakrise darf unser westliches Wachstumsmodell unter keinen Umständen von allen Ländern der Welt wiederholt werden. Die Energiewende ist notwendig und nicht mehr aufzuhalten. Doch der Norden darf nicht auf Kosten des Südens weitermachen.
Trotz all dieser Hürden gibt die grüne Transformation Grund zu hoffen, dass es möglich ist, die Ungerechtigkeiten-Spirale zumindest teilweise zu durchbrechen. So ist WWF zufolge das Potenzial für eine durch die Energiewende„insgesamt gerechtere Welt“ da. Unter einer Bedingung, wie es in dem Bericht heißt: „Deutschland und der Globale Norden sind, nicht zuletzt aufgrund ihrer historischen Verantwortung für die Klimakrise, aufgefordert, diesen System- und Technologietransfer – sowie den Aufbau der Energiesysteme der Zukunft im Globalen Süden – technologisch voranzutreiben und finanziell abzusichern.“ Das Klima wartet nicht.