Artikel 13 bedroht die Meinungsfreiheit im Netz

Die mit der EU-Urheberrechtsreform einher gehenden Uploadfilter sind eine Gefahr für die Netzkultur und die Meinungsfreiheit im Netz. Eine Analyse.
Die viel kritisierte EU-Urheberrechtsreform steht kurz vor dem Abschluss. Am Mittwochabend haben sich die Verhandler auf einen Kompromiss geeinigt, der in den kommenden Wochen noch vom Europaparlament endgültig abgesegnet werden muss. Darin enthalten sind – trotz heftiger Kritik– so genannte Uploadfilter. Die werden im umstrittenen Artikel 13 zwar nicht explizit erwähnt, doch darauf läuft es letztendlich hinaus.
Tritt die Urheberrechtsreform in Kraft, sind Plattformen für Rechteverletzungen haftbar – und zwar ab dem Moment, in dem ein Inhalt hochgeladen wird. Bisher muss ein Anbieter auf eine Rechteverletzung hingewiesen werden, erst dann ist er dafür haftbar.
Um das Risiko einer Rechteverletzung zu vermeiden, bleiben Plattformbetreibern in Zukunft zwei Möglichkeiten: Sie können sich sämtliche Lizenzen von allen Inhalten, die auf der Plattform hochgeladen werden könnten, besorgen – das dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Oder sie filtern vorab jedes Video, jedes Bild und jede Tonaufnahme, die Nutzer hochladen. Eine Plattform, die das bereits seit 2007 tut, ist YouTube. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben bisher mehr als 100 Millionen Dollar in die Technologie namens „Content ID“ gesteckt. Das System identifiziert automatisch urheberrechtlich geschützte Inhalte und bietet dem Rechteinhaber die Möglichkeit, mit dem Video Geld zu verdienen oder den Upload zu blockieren. Auch Facebook hat einen Uploadfilter im Einsatz, der verhindert, dass illegale Inhalte wie Kinderpornografie oder Hinrichtungsvideos überhaupt hochgeladen werden können.
Lesen Sie dazu auch: Frankfurt demonstriert gegen Upload-Filter
Doch so einfach und zuverlässig, wie das klingt, ist es längst nicht: Läuft im Hintergrund eines Youtube-Videos – und sei es nur ganz leise – urheberrechtlich geschützte Musik, schlägt „Content ID“ möglicherweise an. Es gibt allerdings zahlreiche Fälle, in denen das System fälschlich Copyright-Verstöße gemeldet hat – dabei ging es unter anderem um Vogelzwitschern im Hintergrund oder auch um „weißes Rauschen“.
Algorithmen unterscheiden nicht zwischen legaler und illegaler Verwendung
Auch bei Facebook werden immer wieder Fälle bekannt, in denen der Filter-Algorithmus daneben liegt. So wurden in der Vergangenheit bereits Bilder von Kunstwerken – beispielsweise nackte Statuen – gelöscht und auch eine der wichtigsten Kriegsfotografien der Welt blieb nicht verschont: Auf dem Bild zu sehen sind Kinder, die vor Napalm-Bomben in Vietnam fliehen, in der Mitte rennt ein nacktes Mädchen. Das Bild wurde von Facebook gelöscht, die Person, die das Bild hochgeladen hatte, wurde vorübergehend gesperrt.
Lesen Sie auch: 24 Stunden ohne Wikipedia
Bei Facebook geht es bei solchen falschen Löschungen in erster Linie nicht um Urheberrechtsverletzungen, sondern um Verstöße gegen die Facebook-Richtlinien – doch hier wird ein grundsätzliches Problem von Uploadfiltern deutlich: Sie können nicht unterscheiden zwischen einem legalen Inhalt (im Fall von Facebook einem nackten Kind, das auf einer Kriegsfotografie zu sehen ist) und einem illegalen Inhalt (beispielweise einem kinderpornografischen Bild). Übertragen auf das Urheberrecht: Uploadfilter tun sich schwer damit, legale Verwendung (beispielsweise eine Parodie oder Filmausschnitte im Rahmen einer Filmbesprechung auf Youtube) von illegaler Verwendung (Upload eines urheberrechtlich geschützten Werkes) zu unterscheiden.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass typische Internetinhalte wie Memes, Parodien oder Mashups den Uploadfiltern zum Opfer fallen werden. Das bedroht die Netzkultur in Europa massiv.
Uploadfilter können zur Zensur missbraucht werden
Von Artikel 13 sind alle kommerziellen Plattformen betroffen, die älter als drei Jahre sind, mehr als 10 Millionen Euro Jahresumsatz machen und mehr als 5 Millionen Nutzer im Monat haben. Trifft bereits eins der Kriterien auf eine Plattform zu, gilt für sie Artikel 13 und sie müssen Uploadfilter einsetzen. Das führt direkt zum nächsten kritischen Aspekt: Durch die weit verbreitete Installation von Uploadfiltern wird in Europa quasi ein riesiger Filterapparat im Internet geschaffen – der auch zur Zensur missliebiger Inhalte missbraucht werden kann. Hier ist die Meinungsfreiheit im Netz bedroht. Eine Petition auf change.org, die bereits mehr als 4,7 Millionen Menschen unterschrieben haben, fordert deshalb auch: „Stoppt die Zensurmaschine – Rettet das Internet!“.
Lesen Sie dazu auch: Die EU einigt sich auf ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger
Zugegeben: Einige Youtuber nutzen das Thema zur Panikmache (Das Video „Youtube geht 2019 unter!“ wurde mehr als 755.000 Mal abgerufen). Doch das Thema ist tatsächlich sehr ernst. Die Einrichtung von Uploadfiltern ist für kleinere Anbieter teuer und schwer umzusetzen, während sich große Unternehmen die Filter leisten können (siehe Youtube). So werden kleine Anbieter in Europa benachteiligt, und die Platzhirsche aus dem Silicon Valley dürften noch größer werden.
Gänzlich ungeklärt ist, wie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in die Sache hineinspielt. Der EuGH entschied 2012, dass Anbieter sozialer Netzwerke nicht zur Vorkontrolle im Internet gezwungen werden können. Eine belgische Verwertungsgesellschaft wollte einen Plattformbetreiber zur Einführung eines Filtersystems zwingen. Das Gericht sah darin jedoch einen Verstoß gegen das Verbot der allgemeinen Überwachungspflicht. Außerdem würde die unternehmerische Freiheit des Unternehmens durch das teure und komplizierte System beeinträchtigt. (AZ C-360/10)