„Es wird Krieg geben“ – Militärische Eskalation von Russland erwartet
Nachdem Russland seine Forderungen gegenüber der Nato und den USA veröffentlicht hat, rechnen Fachleute mit weiteren Schritten Moskaus – auch militärischen.
Frankfurt/Moskau – Wenn nichts dabei herauskomme, das habe man der Nato schon signalisiert, werde Russland Gegendrohungen aufbauen, erklärte Russlands Vizeaußenminister Alexander Gruschko am Samstag (18.12.2021). „Aber dann wird es zu spät sein, uns zu fragen, warum wir das entschieden haben, warum wir diese Waffensysteme in Stellung gebracht haben.“
Russlands Diplomatie geht im Attackemodus in die Verhandlungen mit dem Westen über ein neues Sicherheitssystem in Europa. Am Freitag (17.12.2021) hatte das Außenministerium zwei russische Vertragsentwürfe veröffentlicht, die die USA und die Nato verpflichten sollen, Moskaus neue rote Linien anzuerkennen. Linien, die wieder bis zur Oder-Neiße-Linie reichen.

Forderungen an die USA: Russland verlangt Nato-Aufnahmestopp ehemaliger Sowjetstaaten
Moskau verlangt von den USA, dass es keine Staaten mehr in die Nato aufnehme, die einst zur Sowjetunion gehört hätten. Amerika solle außerdem auf jede militärische Zusammenarbeit mit postsowjetischen Nicht-Nato-Mitgliedern verzichten. Aber vor allem sollen die USA sämtliche Atomwaffen aus Europa abziehen. Schließlich hätten beide Seiten darauf zu verzichten, politische Aktivitäten zu unterstützen, die darauf zielten, „die politische und soziale Ordnung“ des Vertragspartners zu verändern.
Die Nato aber soll sich in einer zweiten Vereinbarung verpflichten, Truppen und Waffen aus allen Staaten abzuziehen, in denen am 27. Mai 1997 noch keine Streitkräfte des Bündnisses standen. Betroffen wäre ganz Osteuropa, bis zur deutsch-polnischen Oder-Neiße-Grenze. Die Nato-Mitglieder haben zudem auf jede militärische Aktivität in „anderen Staaten Osteuropas, des Südkaukasus und Zentralasiens“ zu verzichten.
Russland gegen eine Osterweiterung: Nato-Forderungen sorgen für Kritik
Die russische Seite hat ihre ursprüngliche Forderung, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen, zu einem eurasischen Regelwerk erweitert, das es auch neutralen Ländern diktieren will. „Ein Gruß an Finnland, das bei den USA 64 Kampfjets vom Typ F-35 A und dazu 200 JASSM-ER-Präzisionsraketen mit einer Reichweite von tausend Kilometern gekauft hat“, schreibt Außenpolitikexperte Wladimir Frolow vom Carnegie-Zentrum. Ein Gruß auch an das ebenfalls neutrale postsowjetische Aserbaidschan, dessen Streitkräfte Militärhilfe des Nato-Mitglieds Türkei in Anspruch nehmen.
Es gibt in den russischen Texten durchaus diskutable Passagen, etwa den Vorschlag, keine Mittel- und Kurzstreckenraketen an Orten aufzustellen, von wo aus sie das Gebiet der Gegenseite erreichen. Er könnte den von den USA wie Russland gekündigten INF-Vertrag über das Verbot nuklearer Mittelstreckenraketen neu beleben. Trotzdem wird ein großer Teil der russischen Maximalforderungen nicht nur in Brüssel und Washington als „unannehmbar“ bezeichnet. Auch Moskauer Beobachter staunen. Der oppositionelle Politologe Gleb Pawlowski spricht von einem „banausenhaften Ultimatum“.
Russlands Forderungen an die Nato und die USA: Politikexperte erwartet militärische Eskalation
Zuvor hatte Vizeaußenminister Sergei Rjabkow vor der Presse erklärt, nur mit den USA zu verhandeln. „Wenn wir andere Länder einbeziehen, ertrinken wir in Diskussionen und leerem Geschwätz.“ Ansonsten müsste die Gegenseite nur noch unterschreiben, das könnte sie in wenigen Tagen erledigen.
Andrej Baklizki, Experte für internationale Politik, kommentierte das wenig begeistert: „Es macht sich wohl niemand Illusionen darüber, dass man ein knappes Vierteljahrhundert gegenseitiger Beziehungen nicht in derart kurzer Zeit umschreiben kann.“ Auch sein kremlnaher Kollege Sergej Lukjanow spricht von „Forderungen, die offenkundig nicht erfüllbar“ seien. Andererseits seien nach solch ultimativen Worten weitere Schritte des Kremls unvermeidbar. Gleb Pawlowski erwartet eine militärische Eskalation, etwa gegenüber der Ukraine. „Es wird Krieg geben, unbedingt, vielleicht nur einen kleinen Krieg.“ Nur ein Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin oder andere direkte Kontakte der beiden könnten das noch verhindern. (Stefan Scholl)