Ergebnis des UN-Klimagipfels: Das reicht nicht
Der UN-Klimagipfel hat klar vor Augen geführt, wie ernst die Lage ist. Nun muss auf anderer Ebene gehandelt werden.
Glasgow - Der UN-Klimagipfel in Glasgow ist zu Ende. In der Abschlusserklärung wird eine radikale Senkung der CO2-Emissionen bis 2030 gefordert, klare Festlegungen über die Wege sind allerdings Fehlanzeige. Ein Scheitern wurde in einem dramatischen Schlussplenum am Samstagabend knapp verhindert, trotzdem erzeugte der Gipfel überwiegend Enttäuschung, vor allem bei Entwicklungsländern und Umweltschützer:innen, aber auch in Industriekreisen.
Gipfelteilnehmer wie der britische Regierungschef Boris Johnson, US-Klimaemissär John Kerry und die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) lobten das Ergebnis zwar. Glasgow könne der „Anfang vom Ende des Klimawandels“ gewesen sein, sagte etwa Johnson. UN-Generalsekretär Antonio Guterres hingegen meinte: „Es ist ein wichtiger Schritt, aber es ist nicht genug. Es ist Zeit, in den Notfallmodus zu gehen.“ Und „Fridays-for-Future“-Initiatorin Greta Thunberg ätzte: „Hier ist eine kurze Zusammenfassung: Bla, bla, bla.“ Die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer sprach von „Betrug an allen jungen Menschen auf dieser Welt, die darauf setzen, dass sich Regierungen um ihre Zukunft kümmern“.
UN-Klimagipfel: China und Indien setzen sich durch
Verbreitet war bei Umweltorganisationen die Reaktion, es komme nun auf Vorreiter an, die aus eigenem Antrieb den Weg zum 1,5-Grad-Ziel beschreiten – etwa bei den Ampel-Verhandlungen in Berlin. In dem am Samstagabend nach heftigen Debatten einstimmig gebilligten „Klimapakt von Glasgow“ wird das Maximalziel des Paris-Abkommens einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad gestärkt. Die Emissionen müssten dazu bereits bis 2030 um 45 Prozent gesenkt werden. Außerdem werden die Staaten aufgerufen, ihre dafür noch unzureichenden CO2-Ziele bereits bis Ende 2022 auf den Prüfstand zu stellen – drei Jahre früher als bisher geplant.

Erstmals wird in einem Abschlussdokument eines UN-Klimagipfels ein schrittweiser Abschied von der Kohleverbrennung gefordert. Zudem heißt es darin, „ineffiziente“ Subventionen für Kohle, Erdöl und Erdgas Gas sollten gestrichen werden. Die Formulierung war allerdings in letzter Minute auf Druck Chinas und Indiens abgeschwächt worden.
UN-Klimagipfel: Glasgow gibt keine Antworten
Heftige Kritik bei den Entwicklungsländern löste die Weigerung der Industriestaaten aus, konkrete Zusagen für mehr Klimafinanzierung zu machen. So wurde weder ihre Forderung nach einem Fonds für bereits entstandene Schäden durch den Klimawandel („Loss and Damage“) noch die nach einem Ausgleich für den Rückstand bei den versprochenen Klimahilfen in Höhe von jährlich 100 Milliarden Dollar (87,4 Milliarden Euro) erfüllt.
Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) kritisierte dies. Glasgow habe zum Schutz ärmerer Länder vor den Klimafolgen keine befriedigende Antwort gegeben, sagte er. „Aus Sicht der Entwicklungsländer sind die Ergebnisse absolut unzureichend.“ Im Glasgow-Pakt werden die Industriestaaten nun aufgefordert, ihre Finanzhilfen angesichts zunehmender klimabedingter Wetterextreme zu verdoppeln. Die Klima-Expertin von Brot für die Welt, Annika Rach, sagte, der Gipfel habe für die Länder des Südens mit einer „herben Enttäuschung“ geendet.
„Zerstört diesen Moment nicht“
Der Verabschiedung der Abschlusserklärung waren dramatische Stunden vorangegangen. Um den Gipfel nach den zweiwöchigen Verhandlungen und einer Verlängerung in den Samstag hinein überhaupt durchzubringen, hatte Gipfelpräsident Alok Sharma am Ende quasi zur Brechstange gegriffen. Am Samstagfrüh hatte die britische Gipfelpräsidentschaft zunächst die dritte Fassung der Abschlusserklärung veröffentlicht. Im Vergleich zur Version vom Vortag fanden sich darin aber nur relativ wenig Änderungen. Besonders die Begriffe „Kohle“ und „fossile Energien“ waren noch immer im Text enthalten – zum Erstaunen nicht weniger Beobachter.
Am Samstagnachmittag begann eine Plenarversammlung. Dort lobte Sharma den Text als „umfassend, ehrgeizig und ausgewogen“ und bat die Staaten, von Wortmeldungen abzusehen. Dieser Wunsch blieb ihm verwehrt. Die Statements dauerten über drei Stunden. Viele Entwicklungsländer kritisierten, dass nur wenig Geld für die Bewältigung von bereits heute auftretenden Klimaschäden zur Verfügung gestellt werden solle.
Wirklich gefährlich für Sharmas Plan, die Konferenz am Samstag zu beenden, wurde aber etwas anderes: Wichtige Länder wie China und Indien ließen nicht von ihrer Forderung ab, den Ausstieg aus der Kohleverstromung und die Abschaffung von Subventionen für fossile Energien aus dem Text zu streichen. Dem schlossen sich dann Südafrika, Nigeria, Iran und andere Länder an. Viele Staaten plädierten aber auch für die Annahme des Textes. EU-Klimakommissar Frans Timmermans warnte vor dem „Risiko, wenige Meter vor der Zielgeraden zu stolpern“, und bat die Vertreter der anderen Staaten in einem dramatischen Appell: „Zerstört diesen Moment nicht.“
UN-Klimagipfel: Der Pakt wurde in der entschärften Variante angenommen
Gegen sechs Uhr abends machte Sharma klar, dass er nicht geneigt sei, erneut in Verhandlungen über den Text einzusteigen. Ein Zugeständnis machte er allerdings den Kohlefreunden: Der Kohleausstieg und das Ende fossiler Subventionen sollten „in Anerkennung des Bedarfs an Unterstützung für einen gerechten Übergang“ erfolgen. Das konnte als Rücksichtnahme auf die Bedenken China und Indiens interpretiert werden.
Bei der Verabschiedung des Glasgow-Pakts kam es dann zu einem kleineren Eklat: Indien war mit dem Zusatz noch immer nicht zufrieden und setzte eine weitere Abschwächung durch: Statt aus der Kohleverstromung „auszusteigen“, soll diese nur noch „langsam beendet“ werden. Ob sich Indien mit diesem Manöver Freunde gemacht hat, darf allerdings bezweifelt werden. Im Anschluss kritisierten die Schweiz, Mexiko und mehrere Inselstaaten das Vorgehen heftig. Dennoch wurde der Pakt dann in der entschärften Variante angenommen.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert ein Klimaschutz-Sofortprogramm
Umweltverbände sehen nach Glasgow nun die geplante Ampel-Koalition in Deutschland in der Pflicht, durchgreifende Schritte zu beschließen. Der Chef von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, befand, der Kohleausstieg sei „bis 2030 zwingend notwendig“. „Ab heute dürfen unsere Steuergelder nicht mehr für Kohle, Öl und Gas eingesetzt werden.“ Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte, die Staatengemeinschaft habe in Glasgow die Bedrohung angesichts der Nutzung von Kohle zwar anerkannt, „aber noch lange nicht gebannt“. Für Deutschland forderte sie mit Blick auf die künftige Regierung ein Klimaschutz-Sofortprogramm im Jahr 2022. Darin müssten der Kohleausstieg 2030 und das Ende des Verbrennungsmotors und auf den Weg gebracht werden.
Der deutsche Industrieverband BDI hingegen befand, es sei nach dem mageren Ergebnis in Glasgow „gefährlich“ und schade dem Klima, „wenn die Unterschiede im Ehrgeiz für Klimaschutz bestehen oder gar zunehmen“. Dies verlagere die Emissionen in Länder mit weniger strengem Klimaschutz und belaste einseitig Unternehmen, die, etwa in der Europäischen Union, bereits große finanzielle Belastungen stemmen müssten. (Christian Mihasch, Jörg Staude und Joachim Wille)