Erdogan unter Druck

Der türkische Ministerpräsident Erdogan gerät nach dem Grubenunglück in Soma unter Druck. Tausende demonstrieren gegen seine Regierung. Ein über soziale Medien verbreitetes Foto eines Erdogan-Beraters schürt die Wut noch weiter.
Der türkischen Regierung schlägt nach dem Grubenunglück mit mehr als 280 Toten eine Welle der Empörung entgegen. Zusätzliche Entrüstung löste ein Berater von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan aus - er soll am Ort der Katastrophe in Soma auf einen am Boden liegenden Demonstranten eingetreten haben.
Auf einem am Donnerstag über soziale Medien verbreiteten Foto ist zu sehen, wie Berater Yusuf Yerkel zum Tritt ausholt, während zwei Sicherheitskräfte einen Mann am Boden festhalten. Yerkel hatte am Mittwoch Erdogan bei einem Besuch in Soma begleitet. Dabei war es zu Buh-Rufen und Protesten gegen den Ministerpräsidenten gekommen.
In der Hauptstadt Ankara und in der Metropole Istanbul hatten am Mittwochabend Tausende Menschen wegen des schwersten Grubenunglücks in der Geschichte der Türkei den Rücktritt der Regierung gefordert. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Demonstranten vor. Mehrere Gewerkschaften riefen für diesen Donnerstag zum Streik auf.
Kritiker werfen der Regierung vor, trotz Sicherheitsbedenken eine schützende Hand über das Kohlebergwerk gehalten zu haben. Yerkel bestätigte dem türkischen Dienst der BBC, dass er auf dem Bild zu sehen sei. Türkischen Medienberichten zufolge sagte Yerkel, bei dem Mann habe es sich um einen militanten Linken gehandelt, der ihn und Erdogan angegriffen und beleidigt habe.
Erdogan hatte die schlechte Sicherheitsbilanz der Kohlebergwerke in seinem Land nach einem Besuch am Katastrophenort am Mittwoch heruntergespielt. «Solche Unfälle passieren ständig», sagte er. «Ich schaue zurück in die englische Vergangenheit, wo 1862 in einem Bergwerk 204 Menschen starben.»
Die Zahl der Toten beim schwersten Grubenunglück in der Geschichte der Türkei stieg nach Angaben der Regierung auf 282. Seit Mittwochabend seien aus dem Kohlebergwerk Soma keine Kumpel mehr lebend geborgen worden, sagte Energieminister Taner Yildiz laut der Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstagmorgen. Die Bergungsarbeiten würden fortgesetzt.
Wie viele Bergleute noch unter Tage eingeschlossen sind, war am Donnerstag unklar. Am Mittwoch hatte Erdogan die Zahl auf 120 geschätzt. Am Donnerstag wurde Staatspräsident Abdullah Gül am Ort der Katastrophe erwartet. Das Grubenunglück ist zugleich das schwerste weltweit seit fast 40 Jahren.
Demonstranten und Gewerkschaften kritisierten, es habe sich nicht um einen Unfall, sondern um «Mord» an den Arbeitern gehandelt. Demonstranten forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung wegen des Unglücks. Der Ministerpräsident hatte eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Im ganzen Land wurden die Flaggen auf halbmast gesetzt.
Nach Angaben der Regierung wurden bei dem Unglück 80 Menschen verletzt. Energieminister Yildiz sagte am Donnerstag, 27 davon würden noch im Krankenhaus behandelt. Zum Zeitpunkt des Unglücks am Dienstagnachmittag waren nach Yildiz' Angaben 787 Arbeiter in der Zeche gewesen. Beim bis dahin schwersten Bergwerksunglück in der Türkei im Jahr 1992 waren 263 Menschen ums Leben gekommen.
In Soma hatte Medienberichten zufolge ein elektrischer Defekt in einem Trafo zunächst eine Explosion und dann einen Brand verursacht, der nach Angaben von Yildiz in 150 Metern Tiefe ausbrach. Türkische Medien hatten berichtet, die Regierungspartei AKP habe im vergangenen Monat Forderungen der Opposition zurückgewiesen, die Sicherheitsvorkehrungen an der Zeche Soma zu überprüfen. Die Bergwerksgesellschaft teilte mit, die letzten Sicherheitsüberprüfungen habe es vor zwei Monaten gegeben.
Das Grubenunglück in der Türkei löste weltweit Trauer aus. Mehrere Länder boten der Türkei Hilfe an. In der Türkei kommt es immer wieder zu tödlichen Grubenunfällen. Mehrfach gab es in den vergangenen Jahren Verstöße gegen Sicherheitsregeln oder es wurden veraltete Arbeitsgeräte eingesetzt. (dpa)