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Vorsätzliche Tötung: Juristen zeigen Erdogan nach Erdbeben an

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Von: Alexander Eser-Ruperti

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Nach dem Erdbeben in der Türkei wächst die Kritik an Präsident Erdogan. Über 60 Anwältinnen und Anwälte haben auch ihn nun angezeigt – unter anderem wegen Tötung.

Ankara – Die Debatte um die Verantwortung der türkischen Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan für die hohe Zahl an Erdbebenopfern geht weiter. Noch immer geht es vor allem um Bausicherheit, bei der die Administration des türkischen Präsidenten eine unrühmliche Rolle zu spielen scheint: Im Jahr 2019 hatte Erdogan eine Amnestie für zahlreiche fehlerhafte Bauten durchgesetzt. Von der nun aufflammenden Kritik will die Regierung nichts hören.

Nun geraten der türkische Präsident und sein politisches Umfeld auch durch eine Gruppe von Anwältinnen und Anwälten unter Druck – denn die haben Anzeige erstattet.

Erdbeben in der Türkei: Mehr als 60 Juristen und Juristinnen erstatten Anzeige gegen Erdogan

Verschiedenen Medienberichten zufolge hat eine Gruppe von über 60 Jurist:innen Strafanzeige gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und andere Amtsträger erstattet. Die Anzeige betrifft Gouverneure, Minister und Bauunternehmer.

Es geht um das Erdbeben, aktuell mehrt sich in der Türkei der Vorwurf, die Regierung trage erhebliche Verantwortung für die hohe Zahl an Opfern. Das Kollektiv von Juristen und Juristinnen erhebt seinerseits entsprechend schwere Anschuldigungen: Sie haben Anzeige wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Tötung erstattet, ebenso wie wegen Amtsmissbrauchs.

Erdogan besucht das von einem Erdbeben zerstörte Stadtzentrum von Kahramanmaras. Hätte die Regierung das Ausmaß der Katastrophe verhindern können?
Erdogan besucht das von einem Erdbeben zerstörte Stadtzentrum von Kahramanmaras. Hätte die Regierung das Ausmaß der Katastrophe verhindern können? © Uncredited/Turkish Presidency/dpa

Die Anwältin Pinar Akbina erklärt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Als Juristen dieses Staates können wir unsere Augen nicht vor so einer Ungerechtigkeit verschließen“. Bisher hätten 61 Juristinnen und Juristen unterzeichnet, so Akbina. Insgesamt waren nach Angaben der türkischen Katastrophenschutzbehörde Afadin mindestens 42.310 Menschen in der Türkei Opfer des Erdbebens geworden. Nach zwei weiteren starken Beben wurden sechs weitere Opfer in der Provinz Hattay gemeldet.

Schwarzbauten und die Türkei nach dem Erdbeben: Von Amnestien und fehlerhaften Gebäuden

Aus der Opposition gibt es in der Türkei nach dem Erdbeben klare Vorwürfe: Die Erdbebensicherheit von Gebäuden sei zu kurz gekommen und auch die Antwort auf die Katastrophe sei mangelhaft. Tatsächlich wurden in der Türkei mit einem „Baufrieden“ offenbar auch fehlerhafte Gebäude nachträglich genehmigt. Nach einer Amnestie erklärte Präsident Erdogan im Wahlkampf 2019: Wir haben mit dem ‚Baufrieden‘ die Probleme von 144.556 Bürgern in Kahramanmaras gelöst. In Hatay von 205.000 Bürgern.“ 

Nach dem Erdbeben betonte der Präsident dann, es seien vor allem Bauten aus der Zeit vor 1999 eingestürzt – damit wäre er aus der Verantwortung. Von Tezcan Karakuş Candan aus der Architektenkammer Ankara erntet er diesbezüglich Widerspruch: „Die Aussagen des Präsidenten, 98 Prozent der eingestürzten Bauten seien vor 1991 gebaut worden, sind nicht wahr. Die Wohngebiete wurden falsch ausgesucht. Es wurden Gebiete ausgesucht, deren Grund flüssig ist, es wurden Moorgebiete ausgesucht“. Hinzu kommt der Vorwurf von verschiedenen Seiten, Gelder aus der Erdbebensteuer seien nicht dort angekommen, wo sie benötigt wurden. Die Administration des Präsidenten gerät weiter in Bedrängnis.

Das Erdbeben in der Türkei und der Fall der Stadt Erzin: Was hätte verhindert werden können?

Das Beispiel der Stadt Erzin zeigt indes, wie es hätte laufen können: Hier hatte es im Zuge des Erdbebens nicht einen Todesfall gegeben, obwohl die Stadt inmitten der betroffenen Region liegt. Der Bürgermeister Erzins, Ökkeş Elmasoğlu, hatte keine Schwarzbauten zugelassen. Auch er glaubt, es hätte vieles verhindert werden können, hätten andere ebenso gewissenhaft gehandelt. An gewissenhaftem Handeln des Präsidenten beim Thema Bausicherheit gibt es berechtigte Zweifel, die auch ihm nun eine Strafanzeige einbringen, nur: Die Erfolgsaussichten sind wohl gering – längst kann von einer unabhängigen Justiz nicht mehr gesprochen werden. (Alexander Eser-Ruperti)

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