1. Startseite
  2. Politik

Wolodymyr Selenskyj: „Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort“

Erstellt:

Von: Claus-Jürgen Göpfert

Kommentare

Die Psychotherapeutin Ingrid zu Solms-Wildenfels stiftet einen Preis für den ukrainischen Präsidenten Selenskyj – und hilft jungen geflüchteten Frauen.

Frankfurt – Als Kind ist sie selbst Opfer eines Luftangriffs geworden, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs. „Auf der Landstraße zwischen Friedberg und Bad Nauheim wurden wir von einem Flugzeug attackiert, wir warfen uns in den Straßengraben und überlebten.“ Heute wird Ingrid zu Solms-Wildenfels von solchen Erinnerungen übermannt. „Es erfüllt mich eine tiefe Traurigkeit, weil wir wieder Krieg in Europa haben.“

Die Frankfurter Psychotherapeutin unterstützt seit vielen Jahren mit ihrer Stiftung insbesondere junge Frauen weltweit, die Opfer von Verfolgung und Unterdrückung werden. Jetzt sammelt sie Geld für weibliche Geflüchtete aus der Ukraine, um ihre Integration in Deutschland zu fördern. Und sie hat einen Sonderpreis für Menschenrechte und Völkerverständigung für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gestiftet.

Ukraine-Kieg: Selenskyi hat nicht gezögert

„Wenn das alles zu Ende ist, hoffe ich, ihm den Preis persönlich übergeben zu können in Frankfurt“, sagt die Medizinerin beim Besuch in ihrem Wohnsitz am südlichen Mainufer. In der Nähe glitzern die Türme der Europäischen Zentralbank. Solms-Wildenfels ist nicht oft hier, sondern immer noch viel unterwegs. Mal tritt sie bei der ersten Konferenz zur Aufarbeitung des westlichen Afghanistan-Debakels auf, mal für den Deutschen Ärztinnenbund oder die Steuben-Schurz-Gesellschaft für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Sie schätzt Selenskyj als den „richtigen Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Er habe „ohne jedes Zögern den Konflikt angenommen“ mit dem übermächtigen russischen Gegner.

Schonungslos offenbare der ukrainische Präsident die Schwäche und das Taktieren der Bundesregierung. „Er hat uns die Meinung gesagt im Bundestag“. Dass das deutsche Parlament im Anschluss routinemäßig zur Tagesordnung überging, sei „ein Skandal gewesen, respektlos und unerzogen“. Dass der russische Präsident Wladimir Putin gerade jetzt angreife, ist für die Menschenrechtsaktivistin kein Zufall. Putin habe 1991 als KGB-Agent Deutschland verlassen, „mit dem Gedanken, wiederzukommen.“ Er attackiere nun in einer „brandgefährlichen Zeit“, in einer Phase der Schwäche des westlichen Verteidigungsbündnisses. Und Deutschland mit einer heruntergewirtschafteten Bundeswehr bilde gleichsam „das Loch in der Nato“. Deshalb ist sie froh über den hartnäckigen militärischen Widerstand Selenskyjs: „Die Ukraine kämpft unseren Kampf.“

Ingrid zu Solms-Wildenfels ist ein Kriegskind

Die langjährige frühere Chefärztin formuliert ihre Analyse gestochen scharf und druckreif, das ist sie seit Jahrzehnten gewohnt. Zu Solms-Wildenfels, die in die traditionsreiche deutsche Adelsfamilie eingeheiratet hat, tritt öffentlich durchaus verbindlich auf, doch unter der Oberfläche bleiben stets eine gewisse Härte und Durchsetzungsfähigkeit spürbar. Darüber spricht die Frau von hagerer, geradezu asketischer Gestalt nicht gerne. „Ich bin ein Kriegskind“, sagt sie nur knapp. Und: „Selbstdisziplin, ja, die habe ich.“

Ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg sind für Ingrid zu Solms-Wildenfels ein Antrieb weiterzuarbeiten. Monika Müller
Ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg sind für Ingrid zu Solms-Wildenfels ein Antrieb weiterzuarbeiten. © Monika Müller

25 Jahre lang praktizierte sie als Psychotherapeutin, führte zuletzt eine Klinik in Bad Soden. 1993 gründete sie ihre Stiftung. Zunächst zielte sie nur auf die Wissenschaften. „Wir unterstützen die Frauen, die auf dem Weg zur geistigen Elite sind, damit sie nicht aufgeben, um an den Herd zurückzukehren“, heißt es im Gründungstext der Stiftung. 1998 erweiterte sie die Stiftung um die Sparten Naturwissenschaften, Kultur und Menschenrechte. Alljährlich werden Preise an Frauen verliehen, gibt es Stipendien. Die erste Auszeichnung galt dem Kampf gegen die Beschneidung von Mädchen, für die Ärztin schlicht „ein Verbrechen“. Ohne zu zögern, greift zu Solms-Wildenfels ein, wenn es gilt, Menschenleben zu retten. So half sie im Jahre 2021 etwa Zarifa Ghafari, einer jungen Bürgermeisterin in Afghanistan, die eine besondere Hassfigur der Taliban war und ist. Die 30-Jährige entkam schließlich im August 2021 mit einem der letzten westlichen Flugzeuge aus Kabul und lebt heute in Nordrhein-Westfalen. Gerade versucht die Medizinerin, ihr eine wirtschaftliche Perspektive zu eröffnen.

Ingrid zu Solms-Wildenfels verlangt nach mehr Gemeinschaftssinn

Die rastlose Aktivistin ist hervorragend vernetzt in Wissenschaft und Politik. „Ich bin selbst reifer und klüger geworden“, sagt die Frau, die ihr Alter hartnäckig verschweigt. Ihr Engagement will sie nicht weiter erklären. „Es gibt Dinge, die muss man machen“: Wieder so ein karger Satz wie er typisch ist für die Adlige. Sie beklagt einen Verfall der Werte in der deutschen Gesellschaft. „Anstand und Respekt und Würde“ zählten immer weniger. An ihre Stelle sei „ein Laissez-faire“ getreten. Immer mehr Eltern versagten bei der Erziehung ihrer Kinder. „An ihre Stelle sollen dann die Schulen treten, aber die Schulen sind überfordert.“

Energisch verlangt sie, dass es wieder „mehr Gemeinschaftssinn“ geben müsse in der Gesellschaft, mehr soziales Denken und Einsatz für Schwächere. Doch die Ärztin erlebt Deutschland als zutiefst gesättigt. In diesen Tagen denkt sie intensiv darüber nach, wer tatsächlich kämpfen würde für die Freiheit des Landes, so, wie es jetzt viele Menschen in der Ukraine tun. Ihr ernüchterndes Fazit: „Meine Generation würde kämpfen, die Generation meiner Kinder nicht, die Generation meiner Enkel? Ja!“

Wir kehren in unserem Gespräch zur Gegenwart zurück. Für die Medizinerin ist es zutiefst belastend, dass es gerade ihrer Generation, der Generation der Kriegskinder, nicht gelungen sei, den Frieden in Europa zu erhalten. „Das ist ein schlechtes Gefühl.“ Vor ihrem geistigen Augen tauchen die Bilder wieder auf, die ihr als Mädchen vor Augen standen: Das brennende Frankfurt am Horizont, die „Christbäume“, die Leuchtmunition, mit der die alliierten Flugzeuge in der Dunkelheit ihre Ziele vor dem Bombenabwurf markierten. „Das Entsetzen meiner Mutter ist auf mich als Kind übergegangen“, erinnert sie sich. Für Ingrid zu Solms-Wildenfels sind diese Erinnerungen aber auch ein Antrieb, weiterzuarbeiten. (Claus-Jürgen Göpfert)

Auch interessant

Kommentare