1. Startseite
  2. Politik

Entlassung revidiert: Was steckt hinter Netanjahus Rolle rückwärts?

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Maria Sterkl

Kommentare

Beugt sich zumindest teilweise dem breiten Protest in Israel beugen: Benjamin Netanjahu.
Beugt sich zumindest teilweise dem breiten Protest in Israel: Regierungschef Benjamin Netanjahu. © IMAGO/Eyal Warshavsky

Israels Premier Benjamin Netanjahu macht inmitten der Sicherheitskrise im Land die Entlassung seines Verteidigungsministers rückgängig. Umfragewerte und der massive Protest dürften eine Rolle spielen.

Von „unseren Feinden“ war am Montagabend sehr oft die Rede, als Benjamin Netanjahu in einer – wie üblich – kurzfristig angekündigten Pressekonferenz vor die Kameras trat. Anders als sonst war der Ort dafür nicht Netanjahus Residenz in Jerusalem, sondern das Hauptquartier der israelischen Streitkräfte in Tel Aviv. Fast fehlte noch, dass sich der Ministerpräsident in Uniform präsentiert hätte. Alles diente dem Ziel, Stärke zu zeigen. In seltener Gleichzeitigkeit steht Israel unter dem Beschuss von vier Seiten: Terrorgruppen in Libanon, Syrien, Gaza und im Westjordanland nehmen Israel in die Klemme. Manche, wie etwa Israels ehemaliger Verteidigungsminister und heutiger Oppositionspolitiker Benny Gantz, sprechen gar von einer fünften Front: radikalisierten israelischen Araber:innen.

Netanjahu baute seine lang anhaltende Popularität auf seinem Ruf als „Mister Security“ auf. Dass Israel in seiner schwersten Sicherheitskrise seit zwanzig Jahren steckt und das Land seit dem Antritt der neuen Regierung auch noch auf einen Bürgerkrieg zuzusteuern droht, schadet diesem Image. In einer aktuellen Umfrage bewerteten 71 Prozent der Befragten Netanjahus Arbeit als wenig zufriedenstellend.

Netanjahu: Nicht mehr „Mister Security“?

Die Israelis sind also wenig angetan von der am weitesten rechts stehenden Koalition, die das Land je hatte. Benny Gantz, dessen Partei bei der letzten Wahl nur auf zwölf Sitze in der Knesset kam, würde heute 29 Mandate erlangen – Gantz wäre damit mit hoher Wahrscheinlichkeit Israels neuer Regierungschef. Der erfahrene Generalleutnant nutzt die aktuelle Sicherheitskrise als Bühne, um sich selbst als neuen „Mister Security“ zu inszenieren. Seit Tagen wirft er Netanjahu über die Medien häppchenweise gute Tipps für einen Ausweg aus der Misere zu. Unter anderem drängte er ihn zur Rücknahme der Entlassung von Verteidigungsminister Joav Gallant. Mit dieser Forderung war Gantz nicht allein. Umfragen zeigen, dass selbst Netanjahus Wähler:innen wenig Verständnis für Gallants erzwungenen Abgang hatten. Sie hatten schließlich selbst Gallant auf Netanjahus Liste gewählt. Netanjahu blieb also nichts anderes übrig, als die – formal ohnehin nie wirksame, weil nur mündlich übermittelte – Kündigung nach zwei Wochen zu widerrufen.

Die „teils gravierenden Meinungsdifferenzen“, die es zwischen ihm und Gallant gegeben hatte, „lassen wir hinter uns“, erklärte Netanjahu. Wahr ist vielmehr, dass Gallant Netanjahu vor einer drohenden Eskalation gewarnt und dazu aufgerufen hatte, die umstrittenen Pläne zur Entmachtung der Justiz vorübergehend fallen zu lassen. Wie man zwei Wochen und Dutzende Raketenabschüsse später weiß, waren Gallants Warnungen korrekt gewesen. Dass Netanjahus Regierung die Justizreform letztlich doch aussetzte, ist der massiven Protestwelle zu verdanken, die kurz nach Gallants Entlassung ausbrach. An eine Rücknahme der Kündigung Gallants dachte Netanjahu da noch nicht. Nun lässt sich, angesichts alarmierender Umfragewerte und akuter Kriegsgefahr, auch das nicht mehr umgehen.

Netanjahu: Rechtsextreme machen Israels Premier Druck

Jeden Tag gibt es neue Schreckensnachrichten versuchter oder vollendeter Terror-Attentate. Am Sonntag mussten die Angehörigen jenes Schwesternpaars, das bei einem Schussattentat im Jordantal am Freitag getötet worden war, auch noch den Tod ihrer Mutter hinnehmen. Sie war bei dem Attentat lebensgefährlich verwundet worden und schließlich ihren Verletzungen erlegen. Netanjahu drückte den Angehörigen sein Beileid aus. „Möge Gott ihr Blut rächen“, sagte er.

Die rechtsextremen Parteien in der Regierung würden diese Rache jedoch am liebsten selbst üben, und zwar bald. Sie rufen Netanjahu im Tagesrhythmus dazu auf, mit schwereren Geschützen gegen die Terrorgruppen im Gazastreifen, im Libanon und in Syrien vorzugehen. In der Armee hingegen tendiert man zu Zurückhaltung – zu groß sei das Risiko eines neuen Libanonkriegs, heißt es. Diese unterschiedlichen Ansprüche auszuhandeln, wird nun in der Verantwortung des neuen und alten Verteidigungsministers liegen.

Netanjahu und der Effekt von Livekameras

Netanjahu selbst lässt keine Zweifel offen, wem er die Verantwortung für die aktuelle Sicherheitskrise gibt: der Vorgängerregierung. Diese habe der Hisbollah Zugeständnisse gemacht, ohne selbst etwas dafür zu bekommen, behauptet Netanjahu. Er meint damit Israels Gas-Abkommen mit der libanesischen Regierung, das unter der vorherigen Regierung unter US-Mediation ausgehandelt worden war. Das Abkommen wird übrigens auch von Netanjahus Regierung akzeptiert und eingehalten – wenn gerade keine Livekameras vor Ort sind.

Schuld an der aktuellen Eskalation würden auch die vielen Demonstrant:innen tragen, die gegen die umstrittene Abschaffung der justiziellen Unabhängigkeit auf die Straße gingen, sagte Netanjahu. Die Protestbewegung, darunter auch Hunderte Reservist:innen der Armee, hätten dem verfeindeten Ausland signalisiert, dass Israel zweigeteilt und geschwächt sei.

Eine Antwort auf diesen Vorwurf erhielt Netanjahu prompt: Nur wenig mehr als eine Stunde nach dem Ende der Pressekonferenz fanden sich rund 200 Demonstrant:innen auf der Tel Aviver Stadtautobahn Ayalon ein und blockierten sie. Es gab zwei Festnahmen.

Auch interessant

Kommentare