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Emmanuel Macron – der ungeliebte Favorit

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Von: Stefan Brändle

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Eher Hass-Figur als Charmeur: Kurz vor der Wahl in Frankreich kämpft Emmanuel Macron gegen einen Image-Absturz.

Paris – Die Atmosphäre in der La Défense Arena westlich von Paris ist euphorisch, siegesgewiss. Durch die Halle tönt die Marseillaise, dann der Solo-Auftritt – Emmanuel Macron unterhält die 35.000 ganz allein. Keine Polit- oder Kulturprominenz stellt ihn in den Schatten: „Das Programm bin ich“, so könnte man die Botschaft dieses Abends in Frankreich am vorigen Wochenende zusammenfassen.

Seinen Fans genügt das vollauf. Vor fünf Jahren hatten sie schon auf den strahlenden, damals noch nicht 40-jährigen Neuling gesetzt. Im Frühling 2022 ist die Welt einen andere geworden. Jetzt will die Nation einen erprobten Staatenlenker, der mit der EU umgehen und sich gegen Despoten wie Wladimir Putin behaupten kann, einen Profi, der weiß, wie man im Elysée regiert. Einen wie Macron. Ohne dass der Präsident den kleinen Finger gerührt hätte, führt er vor dem ersten Wahlgang am Sonntag die Umfragen an. Alles läuft wieder einmal für ihn.

Frankreich-Wahl: Emmanuel Macron wurde schon mit Eiern beworfen

Aber läuft es wirklich? Der agile Superpräsident und europäische Strahlemann hat auch einen Schwachpunkt: Emmanuel Macron. Dieser Umstand äußert sich im Titel eines Buches, das in Paris derzeit Furore macht: „Macron, warum so viel Hass?“ Die Autoren erzählen darin von einem Präsidenten, der im Land mit Eiern beworfen und von Ohrfeigen begleitet wird, der zurücktreten soll – „Démission!“ – oder besser gleich abhauen: „Dégage!“ An sich sollte das Buch eine nüchterne Bilanz von fünf Jahren Macron werden, doch als sie sich im Land umhörten, seien sie allenthalben auf Zurückweisung und offene Feindschaft gegenüber dem Staatschef gestoßen.

Emmanuel Macron ist in manchen Kreisen nicht sehr beliebt.
Emmanuel Macron ist in manchen Kreisen nicht sehr beliebt. © Francois Mori/dpa

Gewiss, Amt und Aura schützen den Staatschef – spätestens der Personenschutz sorgt dafür. Ersatzweise beschimpfen Impfgegner:innen und Gelbwesten die Abgeordneten der Macron-Partei „La République en marche“ – oder drohen, sie zu töten. Raquel Garrido von der linkspopulistischen „Unbeugsamen“ twitterte mit Bezug auf den 1793 guillotinierten Bourbonenkönig: „Ludwig XVI. wurde enthauptet. Macron, wir können nochmal.“ Garridos Parteichef Jean-Luc Mélenchon geißelt seinerseits den „Président des riches“, den Präsidenten der Reichen. Für ihn beging Macron die Erbsünde, Kapitalgewinne von der Vermögenssteuer auszunehmen, um Investitionen in die Wirtschaft anzukurbeln.

Die Politologin Chloé Morin meint, Macron gebe „ein Bild des Erfolgs“ ab – was in Frankreich nicht positiv besetzt ist. „Die Franzosen stellen fest, dass sie zum Monatsende kein Geld mehr haben, während Macron die Pariser Eliten protegiert“, erklärt es Morin. Einem Arbeitssuchenden bedeutete der Präsident, er müsse „nur über die Straße gehen“, um einen Job zu finden. Ein andermal sinnierte er, im Bahnhof begegne man Leuten, die es zu etwas gebracht hätten – „und anderen, die nichts sind“. Als Macron einmal gefragt wurde, warum er stets verspätet zu seinen Terminen komme, scherzte er: „Ich bin nie verspätet, denn ohne mich kann niemand beginnen.“

Frankreich-Wahl: Marine Le Pen holt Abstand zu Emmanuel Macron auf

Als kühl denkender Mensch – ein sozialistischer Ex-Minister sagt ihm ein „Herz wie ein Algorithmus“ nach – weiß Macron, welche Gefühle er auslöst. Er bemüht sich um schlichteres, bürgernahes Auftreten. Aber er kann nie ganz den Eindruck verwischen, dass er schauspielert. In La Défense gab sich Macron als Beschützer gegen die „planetaren Störungen“ durch Corona, das Klima, den wilden Kapitalismus und den Imperialismus. Sein Rezept: „Optimismus“. Das mag etwas vage scheinen. Nicht für seine Anhängerschaft, die rundum guter Dinge ist. In der aktuellen Soziologie nennt man sie „das Frankreich, dem es gut geht“: die obere, urbane, gebildete Mittelschicht, die mit der Zeit geht und in den Bürotürmen des Pariser Geschäftsviertels La Défense arbeitet.

Alle News und Infos zur Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022 finden Sie auf unserer Themenseite.

Dass Macron das Land nicht stärker reformiert hat, als er es im Wahlkampf 2017 versprochen hatte, das sehen ihm seine Fans nach, denn er ist vor allem ein Bollwerk gegen den Populismus, in dem die besser Situierten das Feindbild abgeben. Draußen vor der Stadt, an der ausfransenden Peripherie, da gibt es dieses andere Frankreich, dem es nicht so gut geht. Rest-Proletariat, Kleinbürgertum, Rentner:innen, Arbeitslose. Sie stimmen für „Rassemblement National“ von Marine Le Pen. Und je rasanter die Benzinpreise steigen, desto zahlreicher werden sie. Und so legt die Rechtspopulistin zum Ende in den Umfragen zu. Ihren Rückstand auf Macron hat sie bereits halbiert: 22 Prozent im ersten Wahlgang, 27 für ihn; 47 Prozent für sie im zweiten Wahlgang, 53 für ihn. Niemand wollte vorige Woche in La Défense über diese Zahlen sprechen. Aber man kennt sie. (Stefan Brändle)

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