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Eine etwas andere Bergrettung

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Von: Sereina Donatsch

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Allein im vergangenen Jahr haben die Gletscher in der Schweiz sechs Prozent ihres Volumens verloren. imago images
Allein im vergangenen Jahr haben die Gletscher in der Schweiz sechs Prozent ihres Volumens verloren. © Imago

Die Schweiz stimmt im Juni über ein Klimaschutzgesetz zugunsten ihrer Gletscher ab.

Schmelzende Gletscher, grüne Skipisten, ausgetrocknete Flüsse: Die Schweiz ist besonders stark von der Klimakrise betroffen. Ein Klimaschutzgesetz soll nun die Folgekosten der Erderwärmung begrenzen. Die Vorlage sieht vor, dass das Alpenland bis 2050 klimaneutral wird. Die Schweizer:innen stimmen am 18. Juni darüber ab.

Laut Studien sind die Temperaturen in der Schweiz doppelt so stark gestiegen wie im globalen Durchschnitt. Allein im vergangenen Sommer haben die Gletscher sechs Prozent ihres Volumens verloren. Und wenn diese Eismassen schmelzen, wird das Wasser, das von diesen auftauenden Wasserspeichern bergab fließt, immer weniger. Dies habe Auswirkungen für die Landwirtschaft, Stromerzeugung durch Wasserkraft sowie die Schiffbarkeit der großen Flüsse Europas.

Der Bund will demnach schnellstmöglich handeln. Und wie in Deutschland ist in der Schweiz das Einsparpotenzial im Gebäudesektor immens. Berichten zufolge sind Heizungen für rund ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich. Hausbesitzer:innen sollen folglich ihre Öl-, Gas- und Elektroheizungen mit klimaschonenden Geräten ersetzen. Sollen sie, müssen sie nicht. Sie werden aber mit üppigen Subventionen ermutigt.

Innerhalb von zehn Jahren sind insgesamt bis zu zwei Milliarden Franken Subvention vorgesehen – etwas mehr als zwei Milliarden Euro. Zudem sollen Betriebe in Industrie und Gewerbe, die innovative Technologien zur klimaschonenden Produktion einsetzen, von Fördermitteln in der Höhe von 1,2 Milliarden Franken in den nächsten sechs Jahren profitieren.

Mit dieser Finanzspritze „können wir pro Jahr 10 000 Heizungen mehr ersetzen als bisher. Bis zum Jahr 2034 lassen sich so eine Million Tonnen CO2 einsparen“, betont der Vorsitzende der Grünen, Balthasar Glättli auf der Pressekonferenz in Bern zum Start der Kampagne für das Klimaschutzgesetz. In der Schweiz werden immer noch etwa 60 Prozent der Wohnungen mit fossilen Brennstoffen beheizt.

Eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften beziffert das Potenzial für die zusätzliche inländische Wertschöpfung bei einem „moderaten“ Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz auf 77 Milliarden Franken bis 2035. „Klimaschutz und Wirtschaftsförderung gehen damit Hand in Hand“, unterstreicht Ruedi Noser, FDP-Abgeordneter. Das Bündnis für ein Ja zum Klimaschutzgesetz in der Schweiz reicht von den Grünen über die FDP bis zu Wirtschaftsverbänden. Die Wirtschaft spricht sich jedoch trotz Subventionen nicht einstimmig für die Vorlage aus. Aufseiten der Parteien findet sie einhellige Zustimmung außer bei der rechtspopulistischen Schweizerische Volkspartei (SVP). Ihr haben die Schweizer:innen die Abstimmung zu verdanken. Sie hat das Referendum gegen den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative ergriffen. Letztere gab den Anstoß zu diesem Klimaschutzgesetz, das die Befürworter:innen jetzt mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Denn dieses Mal soll der Abstimmungskampf gelingen: Das Stimmvolk hatte 2021 einen Klimaschutzentwurf an der Urne abgelehnt. Laut der Grünliberalen Isabelle Chevallay war es ein Fehler zu glauben, dass ein „Ja“ von vornherein feststehen würde. Die Unterstützer:innen seien sich jetzt bewusst, dass sie überzeugen und die Bedeutung dieses Gesetztes erläutern müssen, erklärt die Politikerin dem Schweizer Radio RTS.

Die Kampagne sei jetzt horizontaler und bürgerlich angehaucht. Deren Verfechter:innen haben erkannt, dass sie Nähe zur Zivilgesellschaft zeigen sollten. Große Akteure wie Greenpeace gaben lediglich einen Anstoß und hielten sich danach zurück. Beobachter:innen zufolge hat die Volksabstimmung dadurch bessere Chancen. Auch weil die Kampagne nicht nur von „Ökoleuten“ getragen wird, sondern auch von Liberalen. Dem Klima-Anliegen werde automatisch mehr Glaubwürdigkeit gewährt. Nach dem Motto „Only Nixon can go to China“.

Um eine Mehrheit zu gewinnen, dürfe Umweltpolitik nicht in die grüne Ecke gestellt werden. Vertreter:innen des „Ja-Lagers“ sehen sich in der Pflicht, eine Zeitenwende im Klimaschutz zu halten. „Verluste aufgrund von wetter- und klimabedingten Extremereignissen in der Schweiz werden auf mehr als 500 Millionen Franken pro Jahr geschätzt. Je länger wir abwarten, desto größer werden die Schäden für Tourismus, Landwirtschaft und die gesamte Wirtschaft“, warnt die Vorsitzende der Evangelischen Volkspartei Lilian Studer.

Befürworter:innen des Ja haben ihre Lektion von 2021 gelernt. Sie wiederholen im Einklang mantraartig ihre Argumentation und klären Missverständnisse auf: Öl- oder Gasheizungen werden weder verboten noch entsteht ein Zwang sie zu ersetzen. Die Bevölkerung wird nicht belastet, weder mit neuen Steuern noch mit zusätzlichen Kosten. Im Gegenteil, mehr einheimische Stromproduktion entlastet das Haushaltsbudget und schützt Verbraucher:innen von Preisschocks.

Ob es ihnen diesmal gelingt, die Abstimmenden zu überzeugen, bleibt offen. Bei den letzten Umfragen lagen die Befürworter:innen deutlich vorne, aber die Schweiz ist nie vor Überraschungen gefeit. Die SVP ist die stärkste Partei. 2021 hat sie es geschafft, „allein gegen alle zu gewinnen“. Und das Argument des Geldbeutels könnte wieder ziehen. Die SVP hofft, diejenigen zu überzeugen, deren Stromrechnung in diesem Winter explodiert ist - Kleinunternehmen, aber vor allem Privatpersonen.

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