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Ein würdevolles Gedenken – und auch ein erschütterndes

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Petr Pavel verneigt sich vor den Toten von Lety. Foto: Imago Images.
Petr Pavel verneigt sich vor den Toten von Lety. Foto: Imago Images. © IMAGO/CTK Photo

Tschechiens Staatspräsident Petr Pavel erinnert im südböhmischen Lety an den Genozid an den Roma im Zweiten Weltkrieg – Gräuel, die dort lange nicht als solche anerkannt wurden. Von Matthias Meisner.

So trügerisch kann eine Idylle sein: Ein Storch stolziert über die sattgrüne Wiese, im nahen Wald zwitschern Vögel, am Horizont strahlender Raps. Während der tschechische Staatspräsident Petr Pavel des dortigen Genozids an Sinti und Roma gedenkt,

Nur eine planierte Fläche, abgesperrt durch einen Bauzaun, erinnert daran, dass dieser Ort, Lety in Südböhmen, rund 80 Kilometer entfernt von Prag, kein Gedenkort ist wie andere. Denn hier gab es nicht nur ein Konzentrationslager, in dem zwischen 1940 und 1943 mehr als 1300 tschechische Roma inhaftiert waren, von denen 327 starben und mehr als 500 weitere in Auschwitz und anderen KZ ermordet wurden. Viele Frauen und Kinder waren dabei, das jüngste nur zwei Tage alt. Die Nazis bezeichneten Lety als „Zigeunerlager“.

Tschechien: Babiš nannte es „ein Lager für Arbeitsscheue“

Die sozialistische Tschechoslowakei sah nach 1945 keine Notwendigkeit, dieser Bevölkerungsgruppe zu gedenken. 1973 wurde auf dem Gelände eine Schweinemastanlage für bis zu 13 000 Tiere errichtet. 40 Jahre lang betrieb man sie. Erst 2022 nach langem Gezerre wurde der Betrieb abgerissen. Zuletzt hatte es für die Massentierhaltung sogar noch Subventionen der EU gegeben. Erst 2018 wurde das Gelände dem Staat übergeben – nach jahrelangem Widerstand: Man brauche die Arbeitsplätze, hieß es auch von Parlamentsabgeordneten. Es wurde gefordert, die Roma sollten doch selbst das Geld für den Aufkauf der Schweineställe auftreiben. Der Rechtspopulist Andrej Babiš zweifelte am Genozid und sagte, Lety sei bloß „ein Lager für Arbeitsscheue“ gewesen.

An diesem Sonntag nun gab es in Lety ein würdevolles Gedenken – und auch ein erschütterndes. Angehörige der Opfer kamen zu Wort, etwa Zdenek Serinek, Enkel von Josef Serinek, der in Lety eingesessen hatte und dort seine gesamte Familie verlor, selbst aber flüchten konnte und sich den Partisanen anschloss. Er berichtete von den Schlägen der Gendarmen, von Seuchen, Hunger, brutalen Strafen: „Was Menschen einander antun können, hat mich zum Kotzen gebracht.“

Tschechien: Perfide Geschichte mit der Schweinemast

Der im März gewählte Pavel, ehedem General im Nato-Kommando, ist nach Václav Havel 1995 der erste tschechische Präsident, der in Lety sprach. Havel hatte das „kommunistische totalitäre Regime“ dafür kritisiert, dass die Roma als Opfer des Genozids vergessen worden seien. Pavels Vorgänger, Václav Klaus und Miloš Zeman, wiederum schrieben dieses Vergessen in gewisser Weise fort, indem sie auf Auftritte in Lety verzichteten. Pavel benannte nun – 80 Jahre nach einem Transport aus Lety nach Auschwitz – klar das Verbrechen an den KZ-Häftlingen in Lety. Die mehr als 1300 Roma-Männer, -Frauen und -Kinder hätten „ihre Freiheit, ihre Menschenwürde und in vielen Fällen sogar ihr Leben verloren“. Die meisten derer, die nach Auschwitz deportiert wurden, seien „dort im Geiste der perversen Ideologie der ethnischen Überlegenheit ermordet“ worden.

Auf die perfide Geschichte mit der Schweinemast geht Pavel nicht ein. Stattdessen zieht er eine Verbindung vom „dunklen Kapitel der Geschichte“ von Lety zur russischen Invasion der Ukraine: „Wenn ich die barbarischen Morde sehe, die russische Soldaten in der Ukraine verüben, und die Gründe höre, mit denen der Kreml seinen Krieg rechtfertigt, kommt es mir so vor, als würde sich die Geschichte wiederholen.“ Der Präsident spricht von „Annäherung zwischen Tschechen und Roma“, sagt aber auch, dass es da durchaus noch Spielräume gebe, das gemeinsame Leben zu verbessern. Der deutsche Botschafter in Prag, Andreas Künne, sagt, das Gedenken in Lety mit den höchsten Repräsentanten des Staates sei „ein Grund für jeden in Tschechien, stolz zu sein“.

Und doch bleibt Lety in Tschechien nicht nur ein wichtiges, sondern auch ein unpopuläres Thema – so wie der Umgang mit den Sinti und Roma überhaupt. Auch das wurde am Sonntag in Lety klar – zum Beispiel in der Rede von Jana Kokyová, Nichte des 2022 verstorbenen Roma-Aktivisten Cenek Ružicka, der über Jahrzehnte für die Zerstörung der Schweineställe kämpfte. Lety symbolisiere ein Leid, an das noch immer gedacht werden müsse, sagt sie. Und dass „die Leute Dinge leider furchtbar schnell vergessen“. Man müsse nur die Kommentare in den sozialen Medien unter Artikeln über Roma lesen, wo gefordert werde, diese „in die Gaskammern“ zu schicken oder „dorthin zurückzuschicken, wo sie hergekommen“ seien. „Aber unsere Heimat ist die Tschechische Republik.“ (Von Matthias Meisner)

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