Ein offenes Ohr für russische Propaganda

In Lateinamerika zählen RT und Sputnik zu den beliebtesten Informationsquellen – für die Bevölkerung wie auch für die Medien selbst.
Die Tageszeitung „La Jornada“, so etwas wie das Zentralorgan aller mexikanischen Linken und der Regierung von Präsident López Obrador, bemühte sich gar nicht erst um Objektivität. „Russland fordert die UN auf, sich mit der Inszenierung des Massakers in der Ukraine zu befassen“, machte die Zeitung am 4. April in fetten Lettern auf der Titelseite auf. Das Blatt übernahm damit die russische Position zu den Gräueltaten in Butscha, auch wenn sie das Wort „Inszenierung“ kursiv setzte. Aber in den Tagen danach gab die Zeitung weiterhin teils ungefiltert in ihren Aufmachern die russische Version der Ereignisse wieder. Vereinzelt regte sich Kritik in den sozialen Netzwerken: „La Jornada“ berichte tendenziös über den Krieg in Osteuropa, hieß es dort.
Doch in Mexiko tun sich nicht nur die Medien bisweilen mit Distanz zu Russland schwer. Während die Mitglieder der Regierungspartei Morena gar ihre Nähe zu Moskau beschwören, bemüht sich der linksautoritäre Staatschef immerhin um ein Mindestmaß an Objektivität. Aber den Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat trug auch Mexiko nicht mit, ebenso wenig wie Brasilien oder El Salvador. Kuba und Nicaragua stimmten sogar gegen den Rausschmiss Moskaus.
Aber nicht nur bei den Medien und Machthabenden Lateinamerikas findet Kriegsherr Wladimir Putin Milde, sondern auch in der Bevölkerung. Das liegt auch an der Expansion von Moskaus Auslandssender RT und dem Nachrichtenportal Sputnik. „RT en Español“ ging in Lateinamerika 2009 an den Start und hat seither massiv an Reichweite zugelegt. Die Kanäle machten sich dabei zunutze, dass Russland in der Region als Gegenspieler der ungeliebten USA wahrgenommen wird. Sie würden als „Alternative zum westlichen Narrativ“ gesehen, unterstreicht die argentinische Medienforscherin Adriana Amado.
Der Markt potenzieller Nutzer:innen ist bei einer Bevölkerung von rund 500 Millionen Menschen der lateinamerikanischen Länder extrem groß; und das Ziel Russlands dabei klar: Übernahme der Meinungsführerschaft in einer wichtigen Weltregion und so Verbündete schaffen und Unterstützung gewinnen für Kreml-Politik – und besonders jetzt für den Kreml-Krieg gegen die Ukraine. Für die RT und Sputnik ist Information letztlich eine Waffe und das Publikum ihr Ziel.
Die Facebook- und Twitter-Seiten von „RT en Español“ haben insgesamt fast 30 Millionen Follower:innen. RT auf Spanisch folgen bei Facebook über 18 Millionen Nutzende, während es bei der englischsprachigen Version nur 7,4 Millionen sind. RT wird in der Region häufiger geteilt als die spanische Tageszeitung „El País“, oder die regionale Präsenz des US-Mediums „CNN en Español“. Andere internationale spanischsprachige Medien wie etwa „BBC Mundo“ oder „Deutsche Welle Español“, die ebenfalls ganz oder teilweise staatlich finanziert werden, haben ebenfalls deutlich weniger Reichweite. Laut der Nachrichtenagentur AP sind „RT en Español“ und Sputnik die am häufigsten konsultierten Kanäle für Informationen über den Ukraine-Krieg in spanischer Sprache. Online verzeichneten die Moskauer Plattformen seit Beginn des Angriffskriegs einen Anstieg in der Nutzung, der vor allem von den russischen diplomatischen Vertretungen und Bot-Farmen gesteuert werde.
Die beiden Plattformen zeichnen sich somit vor allem auch in Lateinamerika als Agitprop-Sprachrohr Moskaus aus. Noch immer sind die Worte „Invasion“ und „Krieg“ im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine verboten. Es wird weiterhin von einer „militärischen Spezialoperation“ gesprochen.
Spätestens seit Putins Besuch 2014 in der Region haben die russischen „Medien“ auch in den Machtzirkeln von Argentinien bis Kuba fest Fuß gefasst. „Es gab Fälle wie den von Cristina Fernández de Kirchner. Als Argentiniens Präsidentin gab sie eher Russia Today Interviews als Medien aus dem eigenen Land“, sagt Medienforscherin Amado.
Auch die Bevölkerung misstraut oft den eigenen und internationalen Medien: „Wir wissen, dass RT und Sputnik von der Moskauer Regierung gesponsert werden, aber auch US-Medien oder die BBC sind nur scheinbar unabhängig, weil sie wirtschaftliche Interessen ihrer jeweiligen nationalen Unternehmen vertreten“, gibt die Schmuckdesignerin Marifer Castro im Gespräch eine weit verbreitete Meinung in Mexiko wieder.
Hier und in vielen anderen Ländern Lateinamerikas sitzt zudem die Skepsis gegenüber nationalen Zeitungs- und TV- sowie Radioimperien tief, weil sie oft Eigentum von Konglomeraten und reichen Familien sind und mit ihnen Interessen vertreten werden oder Politik gemacht wird. Oder sie sind wie „La Jornada“ regierungsnah und als solche oft abhängig von staatlicher Werbung. Jedenfalls garantieren die Latino-Medien nur selten eine umfassend unabhängige und objektive Berichterstattung.
Aber bei den russischen Informationskanälen sind die Menschen da kaum besser aufgehoben. „El País“ schrieb bereits vor drei Jahren, dass RT-Redakteure in Lateinamerika die Anweisung von russischen Vorgesetzten befolgen und schreiben müssten, dass die Vereinigten Staaten die Ursache für fast alle negativen Ereignisse in der Welt seien. Und Ende Februar machte RT seinem Publikum unter Bezugnahme auf die USA klar: „Vergesst nie, wer die wirkliche Bedrohung für die Welt ist“. Der Satz wurde nicht nur von diplomatischem Personal aus China geteilt, sondern auch unzählige Male von lateinamerikanischen Userinnen und Usern.