Ein neues Denken auf dem Balkan

Die EU setzt das Nachbarschaftsabkommen zwischen Serbien und dem Kosovo durch
Auch nach ihrer Absegnung des EU-Plans zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien können sich die Dauerstreithähne nicht ganz verstellen: Es sei eine „Schande“, dass die Vereinbarung nicht unterzeichnet wurde, so Kosovos Premier Albin Kurti in Brüssel: „Ich war dazu bereit, aber die serbische Seite wollte das nicht.“ Er habe gehofft, dass „wir uns auf einige Kompromisse verständigen“, beteuerte derweil Serbiens Präsident Aleksandar Vucic: „Aber Herr Kurti war dazu nicht bereit.“
Immerhin hatte der starke Druck des Westens die Nachbarn ausnahmsweise nicht nur zum üblichen Austausch von Unfreundlichkeiten an einen Tisch gebracht: Mit der Annahme des EU-Plans haben die einstigen Kriegsgegner einen ersten Schritt in Richtung eines Ausgleichs und des von Brüssel geforderten Nachbarschaftsabkommens gemacht. „Ein Fortschritt ist erzielt. Aber es ist noch viel Arbeit nötig, um das Vereinbarte auch umzusetzen“, fasst der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den Etappenerfolg zusammen.
Vertragspapier hat sich auf dem Balkan zwar oft als geduldig erwiesen. Doch falls die abgesegnete EU-Vorlage umgesetzt wird, könnte sie das labile Nebeneinander tatsächlich fester machen. Beide Seiten müssen dafür gehörig Zugeständnisse machen. Aber beide Seiten könnten davon auch profitieren.
Die von Belgrad strikt abgelehnte Anerkennung von Kosovos Eigenstaatlichkeit wird in dem EU-Plan nicht direkt angesprochen. Doch mit dem Vertragspassus, dass beide Seiten ihre Pässe, nationalen Hoheitssymbole, Zollstempel und Berufsabschlüsse akzeptieren, wird Serbien zur faktischen Anerkennung des seit 2008 unabhängigen Kosovo gezwungen. Bisher hatte Belgrad den UN-Beitritt Kosovos zur „roten Linie“ erklärt. Nun ist in dem Vertragswerk ausdrücklich vermerkt, dass sich Serbien Kosovos Zutritt zu internationalen Organisationen nicht widersetzt.
Trotz der Angst vor einem Staat im Staat wird sich aber auch Pristina bei der bisher verweigerten Schaffung eines Verbands der serbischen Kosovo-Kommunen bewegen müssen. So sieht der EU-Plan nicht nur „ein angemessenes Niveau von Selbstmanagement“ für die serbische Minderheit im Kosovo vor, sondern auch die Möglichkeit von Finanzhilfen Belgrads in der Ex-Provinz. Auch die serbisch-orthodoxe Kirche im Kosovo soll mit einem geregelten Status künftig besser geschützt werden.
Der Teufel steckt im noch nicht ausgearbeiteten Vertragsdetail: Auf einen Anhang zur konkreten Umsetzung des Abkommens müssen sich Pristina und Belgrad erst noch verständigen. Die EU drückt da jedoch aufs Tempo: Bis Ende März soll das Abkommen unter Dach und Fach – und unterzeichnet – sein. Doch in beiden Staaten regt sich neben Kritik auch Widerstand.
In Pristina wurde bereits eine Demonstration gegen die vereinbarte Schaffung eines serbischen Kommunalverbands mit Kürzel ZSO angekündigt: Oppositionelle werfen Kurti vor, dem Land statt der angestrebten Anerkennung durch Serbien den bisher abgelehnten Minderheitenverband eingehandelt zu haben.
Noch härteren Vorwürfen von Verrat sieht sich sein Belgrader Gegenüber ausgesetzt. „Keine Kapitulation: Vucic hat Kurti erneut zerlegt!“, pries am Dienstag zwar das Regierungsblatt „Informer“ den Staatschef. So sehen das aber nicht alle: Die Annahme des Abkommens durch Vucic sei eine „offene Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo“, schäumt Bosko Obradovic, der Chef der rechtsklerikalen Dveri-Partei: „Entweder wird der Willen des Volkes erhört – oder jemand muss gehen.“