Ein Jahr nach der „Zeitenwende“: Scholz sichert Ukraine weiter Unterstützung zu
Vor einem Jahr kündigte Bundeskanzler Scholz im Angesicht des russischen Einmarschs in die Ukraine im Bundestag eine „Zeitenwende“ an. Genau ein Jahr später zieht er in einer Regierungserklärung eine Zwischenbilanz.
Ein Jahr nach seiner „Zeitenwende“-Rede hat Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Regierungserklärung der Ukraine Deutschlands Unterstützung versichert. Die Unterstützung des Landes gegen den russischen Angriff sei ein Beitrag zur Verteidigung der internationalen Sicherheit, so Scholz am Donnerstagmorgen im Bundestag. „Was für eine fatale Ermutigung des Angreifers wäre es, wenn der Bruch des Völkerrechts und der europäischen Friedensordnung belohnt würde“, sagte der SPD-Politiker. „Unsere europäische Friedensordnung ist wehrhaft“, betonte er und fügte auch mit Blick auf Lehren aus den Weltkriegen hinzu: „Unser ‚Nie wieder‘ bedeutet, dass der Angriffskrieg niemals zurückkehrt als Mittel der Politik.“
Scholz machte deutlich, dass aus seiner Sicht im Moment nichts dafür spreche, dass der russische Präsident Wladimir Putin bereit sei, über die Rückkehr zu solchen Grundsätzen und einen gerechten Frieden zu verhandeln. Es gelte aber: „Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln - außer über die eigene Unterwerfung.“ Zuletzt habe die Weltgemeinschaft bei der UN-Generalversammlung die klare Botschaft an Putin gesandt: „Ziehen Sie Ihre Truppen zurück - dann ist dieser Krieg augenblicklich vorbei!“

Regierungserklärung: Scholz bekräftigt 2-Prozent-Ziel
Scholz bekräftigte, Deutschland werde das 2-Prozent-Ziel der Nato bei den Verteidigungsausgaben dauerhaft erreichen. „Diese Zusage, die ich hier am 27. Februar vergangenen Jahres gegeben habe, gilt“, sagte er. Er sprach von einem „Aufwuchs des Verteidigungshaushalts insgesamt“, um dieses Ziel zu erreichen. In der Ampel-Koalition und auch innerhalb der SPD wird noch diskutiert, ob zusätzlich zum 100-Milliarden-Euro-Topf für die Bundeswehr - einem sogenannten Sondervermögen - auch der reguläre Verteidigungshaushalt um weitere Milliarden erhöht werden soll.
Kritik äußerte der Kanzler in seiner Rede an China. Er rief die Regierung in Peking dazu auf, sich gegenüber Moskau für einen Truppenabzug im Nachbarland einzusetzen. „Nutzen Sie Ihren Einfluss in Moskau, um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen! Und: Liefern Sie keine Waffen an den Aggressor Russland!“, sagte Scholz.
Scholz fordert von China klare Kante im Ukraine-Krieg
Der Bundeskanzler lobte zwar, dass sich Chinas Präsident Xi Jinping «unmissverständlich gegen jede Drohung mit Atomwaffen oder gar deren Einsatz im Krieg Russlands gegen die Ukraine» gestellt habe. Das habe zur Deeskalation beigetragen. Es sei gut, dass China die klare Botschaft gegen den Einsatz von Nuklearwaffen jüngst in seinem 12-Punkte-Plan wiederholt habe. Er nannte es aber „enttäuschend“, dass Peking beim jüngsten Treffen der G20-Finanzminister in Indien nicht mehr bereit gewesen sei, zu bekräftigen, was noch beim G20-Gipfel im vergangenen Jahr auf Bali Konsens gewesen sei: „Eine klare Verurteilung des russischen Angriffs.“
Bei der Energieversorgung blickte Scholz zuversichtlich auf den kommenden Winter: „Wir sind gut durch diesen Winter gekommen - auch ohne russische Gaslieferungen.“ Es sei zuvor die Rede von kalten Wohnungen gewesen, von der Zwangsabschaltung ganzer Industriezweige, von Produktionsstillstand, einem „heißen Herbst“ und „Wutwinter“, so der Kanzler: „Nichts davon ist eingetreten.“
Scholz optimistisch bei Energieversorgung
Die Gasspeicher seien derzeit noch zu mehr als 70 Prozent gefüllt. „Das ist ein gutes Polster, um sicher auch durch den nächsten Winter zu kommen“, sagte der Kanzler.
Die Bundesregierung habe geschlossen gehandelt. Scholz verwies auf umfangreiche Entlastungspakete oder den Bau von Terminals zum Import von Flüssigerdgas in Deutschland - in „Rekordtempo“. Der Kanzler sagte, er habe von der neuen „Deutschland-Geschwindigkeit“ gesprochen. „Ich wünsche mir, dass wir diese ‚Deutschland-Geschwindigkeit‘ beibehalten - als Fortschritt, den unser Land aus der Zeitenwende mitnimmt. Besonders wichtig ist das mit Blick auf die industrielle Transformation und den Ausbau der erneuerbaren Energien.“
CDU-Chef Merz kritisiert Bundesregierung
Der Ausbau der erneuerbaren Energien solle verdreifacht werden, zu Wasser, zu Land und auf dem Dach. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien produziert werden, derzeit ist es knapp die Hälfte. „All das war schon vor der Zeitenwende richtig. Jetzt aber sind all diese Aufgaben noch wichtiger, noch dringlicher“, so Scholz.
Die Opposition äußerte sich kritisch zum Stand der „Zeitenwende“. Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) warf der Regierung fehlendes Tempo beim Ausbau der Bundeswehr vor. Der Verteidigungsetat sei trotz der Ankündigung, mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben zu wollen, gesunken. Vom 100-Milliarden-Euro-Sondertopf, dem sogenannten Sondervermögen für die Bundeswehr, seien erst 600 Millionen ausgegeben. „Was ist eigentlich im zweiten Halbjahr 2022 geschehen, dass diese Zusagen, die sie gegeben haben, auch umgesetzt werden?“
Kritik an Wagenknecht und Schwarzer für Kundgebung
Merz fügte mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine hinzu, man werde „Jahre, wenn nicht Jahrzehnte“ Sicherheit in Europa nicht mehr mit, sondern gegen Russland organisieren müssen. „Und dazu, Herr Bundeskanzler, müssen Entscheidungen getroffen werden und nicht nur Regierungserklärungen abgegeben werden.“
Der Unionsfraktionschef kritisierte auch die von Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer am Samstag am Brandenburger Tor veranstaltete Kundgebung gegen den Krieg. Für den Frieden einzutreten, sei aller Ehren wert, sagte Merz. Er warf Teilnehmern von AfD und Linken aber vor, vorsätzlich Täter und Opfer zu verwechseln. „Es gibt nur einen, der ganz allein für diesen Krieg verantwortlich ist. Und der Mann heißt Wladimir Putin. (...) Wenn Russland heute die Waffen schweigen lässt, dann ist morgen der Krieg zu Ende. Wenn die Ukraine heute die Waffen niederlegt, dann ist morgen das ukrainische Volk und die Ukraine als Staat am Ende. Das ist der Unterschied.“ (jaba/dpa)