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Ein eklatanter Bruch des Völkerrechts

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Von: Heidemarie Wieczorek-Zeul

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Heidemarie Wieczorek-Zeul, ehemalige Entwicklungshilfe-Ministerin.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, ehemalige Entwicklungshilfe-Ministerin. © Bernd Elmenthaler/Imago

Der Krieg gegen den Irak hat die Region noch unsicherer gemacht. Er zeigt: Der Sicherheitsrat der UN muss reformiert werden. Der Gastbeitrag von Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Am 20. März 2003 begann der angekündigte Krieg unter maßgeblicher Führung der USA gegen den Irak. Zwanzig Jahre sind seit dieser Zeit vergangen. Ich habe der damaligen Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer angehört. Ich habe damals diesen Krieg als ein Verbrechen bezeichnet und ich bin heute stolz darauf, dass wir als Bundesregierung aus SPD und Bündnis-Grünen alles uns Mögliche versucht haben, diesen Krieg zu verhindern. Wir haben auch erreicht, zusammen mit UN-Generalsekretär Kofi Annan, dass der Sicherheitsrat seine Zustimmung zu diesem angeblichen „Präventivkrieg“ verweigerte.

Das Vorgehen der US-Regierung unter George W. Bush war ein eklatanter Bruch des Völkerrechts unter Vorlage gefälschter Beweise für angebliche Massenvernichtungswaffen, die aber auch nachträglich niemals durch UN-Kontrolleure gefunden werden konnten. Der damalige US-Außenminister Colin Powell hat dieses betrügerische US-Vorgehen bei der UN-Sicherheitsratssitzung später voller Scham eingeräumt.

Wie auch immer man Gerhard Schröder heute bewertet, in der Frage der Ablehnung des Krieges gegen den Irak hat er in all den Monaten, in denen massiver Druck auf ihn ausgeübt wurde, Kurs gehalten. Für uns in der Bundesregierung blieb letztlich die Bewertung stehen, dass Saddam Hussein natürlich ein Regime führte, das wir alle ablehnten, aber ein Angriffskrieg nicht zu rechtfertigen sei und Deutschland ihn daher nicht unterstützen könne.

Und all das, was wir damals als Konsequenz des Vorgehens der US-Regierung einwandten, trat ein: In der Zeit bis zum Abzug der US-Kampftruppen im Jahr 2011 verloren Hunderttausende von Irakern und Irakerinnen ihr Leben. Die Region zerfiel in unterschiedliche Interessengruppen und terroristische Gewaltaktionen breiteten sich aus. Al-Kaida im Irak war Folge des Krieges und nicht, wie die US-Regierung vorgab, die Ursache. Und die Rolle des Iran wurde stärker. Die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf die Situation in Afghanistan wurde abgelenkt. Das spätere Erstarken des IS kann als weitere Folge der fundamentalen Erschütterung der Region gewertet werden, zumal es den USA und ihren Verbündeten unmittelbar nach ihrer Eroberung nicht gelang, eine für die Menschen im Irak und in der Region überzeugende Regierungs- und Gesellschaftsordnung mit zu verwirklichen, die als Leuchtturm für Zusammenarbeit mit dem Westen getaugt hätte.

Der 20. Jahrestag des Beginns des Krieges gegen den Irak sollte all denen, die damals den Krieg unterstützten in Deutschland, in Europa insgesamt, all denen, die den Krieg aktiv führten, wie die Regierungen der USA und Großbritanniens, Anlass sein, ihre folgenreichen Fehleinschätzungen, ihre Schuld vor der Weltgemeinschaft einzuräumen. Das wäre gerade heute wichtig, um deutlich zu machen, dass der Westen eben nicht nach doppelten Standards handelt. Es wäre wichtig, um ein Zeichen der Glaubwürdigkeit gegenüber all den Ländern zu setzen, vorwiegend im Globalen Süden, die sich weigern, eine klare Position der Verurteilung des russischen Völkerrechtsbruchs zu beziehen, weil sie hier doppelte Standards ins Feld führen.

Die Kritik am Bruch des Völkerrechts des Jahres 2003 mindert nicht, sondern stärkt die uneingeschränkte Kritik am Bruch des Völkerrechts durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Für die Zukunft des internationalen Rechtes wäre es wichtig, dass die Weltgemeinschaft einräumt: Die Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrates ist historisch überholt. Alle Regionen, insbesondere Afrika, müssen angemessen in diesem Gremium vertreten sein, und das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat muss endlich fallen, damit Großmächte mit ihrem Veto das Handeln der UN nicht mehr blockieren können.

Dies immer wieder zu fordern, ist nicht naiv. Es ist die folgerichtige Konsequenz aus der Beobachtung, dass große Mächte ihre Macht auch missbrauchen. Institutionen und das Recht dürfen nicht dazu beitragen, diesen Zustand abzusichern, sondern sollen dazu beitragen, ihn zumindest abzumildern und am besten zu verhindern. Natürlich gibt niemand Privilegien ohne weiteres auf. Aber ohne dass wir Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen benennen, geschieht es erst recht nicht.

Heidemarie Wieczorek-Zeul ist Sozialdemokratin und war von 1998 bis 2009 Entwicklungshilfe-Ministerin.

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