Israel stuft sechs Bürgerrechtsgruppen als terroristisch ein

Amnesty International und Human Rights Watch protestierten. Schon oft habe Israel palästinensischen Organisationen Missbrauch vorgeworfen, ohne stichhaltige Indizien zu liefern, so die EU.
Jerusalem – Der Befehl, abgezeichnet von Israels Verteidigungsminister Benny Gantz ging Freitagnachmittag, kurz vorm Sabbat raus. Gleich sechs palästinensische NGOs werden darin als Teil eines Netzwerks eingestuft, das der terroristischen PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine) diene. Die linksradikale Volksfront, eine Minifraktion der PLO, unterhält sowohl einen politischen als auch einen militärischen Arm, der vor allem in den siebziger Jahren mit Flugzeugentführungen von sich reden machte.
Die in dem Papier genannten Gruppen sollen Fördergeld, das sie von europäischen Staaten oder auch den UN zur Finanzierung meist humanitärer Projekte erhalten, der PFLP zuschustern. Die Vorwürfe betreffen Organisationen wie Al Haq und Addameer, die palästinensische Sektion von Defense for Children International sowie das sozial engagierte Bisan-Center, außerdem einen Verband, der palästinensische Farmer im Westjordanland unterstützt und die Union palästinensischer Frauen-Komitees.
NGOs über Israel: „Erschreckende und ungerechte Entscheidung“
Der Aufschrei folgte prompt. Amnesty International und Human Rights Watch protestierten gegen „diese erschreckende und ungerechte Entscheidung“, die darauf abziele, die Arbeit prominenter zivilgesellschaftlicher NGOs in Palästina zu beenden. Auch besatzungskritische Stimmen in Israel stellten sich an ihre Seite. Menschenrechtsgruppen als ungesetzlich zu deklarieren, „ist eine bekannte Taktik autoritärer Regime, die Kritik fürchten“, twitterte Breaking the Silence. Ähnlich äußerte sich B’Tselem. Man stehe solidarisch zu „unseren palästinensischen Partnern“, mit denen man seit Jahren kooperiere und dies auch weiterhin zu tun gedenke.
Siedlungsbau
Die israelische Regierung hat am Sonntag den Bau von 1355Siedler-Wohnungen im Westjordanland angekündigt. Die Siedlungen in dem seit 1967 besetzten Gebiet sind völkerrechtlich illegal, oft kommt es zu Konflikten mit der palästinensischen Bevölkerung. (afp)
Gehörigen Erklärungsbedarf weckte der israelische Beschluss derweil auch in Washington. Und das nicht nur, weil die US-Regierung offenbar nicht vorgewarnt war, wie Außenamtssprecher Ned Price wissen ließ. Dem widersprach ein israelischer Offizieller. Price merkte ebenso an, man erachte den „Respekt für Menschenrechte, Freiheitsgrundsätze und eine starke Zivilgesellschaft als essenziell wichtig für verantwortliches und reaktionsfähiges Regieren“.
Anti-Terror-Gesetz in Israel ist nicht konkret
Dass einige Ex-PFLP-Aktive in den inkriminierten Organisationen tätig sind, ist kein Geheimnis. Auch sollen zwei palästinensische NGO-Mitarbeiter in ein Bombenattentat verwickelt sein, bei der 2019 eine junge Israelin getötet worden war. Das beweist jedoch noch nicht die generelle Beschuldigung, die der Verteidigungsminister gegen besagte sechs Gruppen erhebt: nämlich, dass sie „von der PFLP-Führung kontrolliert“ würden, die deren Geld dann zu ihren „Terrorzwecken“ nutze.
Viel konkreter wird es nicht in der Begründung, was das 2016 von der Knesset verabschiedete Anti-Terror-Gesetz auch nicht verlangt. Auf dessen Basis soll der Inlandsgeheimdienst Schin Beth monatelang Erkenntnisse über NGOs gesammelt haben. Eine Offenlegung des unter Verschluss gehaltenen Materials, für die sich linke Koalitionsparteien stark machten, lehnt die Regierung Naftali Bennett bislang indes ab.
Politischen Stiftungen sehen Arbeit in palästinensischen Autonomiegebieten gefährdet
Schon oft habe Israel palästinensischen Organisationen Missbrauch vorgeworfen, ohne stichhaltige Indizien zu liefern, hieß es dazu in Brüssel. Die EU halte daher an ihrem NGO-Sponsoring fest. Trotzdem sehen die politischen Stiftungen ihre Arbeit in den palästinensischen Autonomiegebieten gefährdet. Zumal offen ist, ob ihren Partnerorganisationen nun Schließungen oder gar Gefängnisstrafen drohen.
Die jedenfalls geben sich kämpferisch. „Die Israelis können uns dichtmachen, sie können unsere Mittel beschlagnahmen, sie können uns festnehmen“, so Al Haq-Direktor Shawan Jabarin. „Aber sie können uns nicht von unserem unverrückbaren Glauben abbringen, dass die Besatzung für ihr Unrecht zur Verantwortung gezogen werden muss.“ (Inge Günther)