Drohnenangriff auf Moskau geplant: Was trotzdem gegen eine Beteiligung der Ukraine spricht

Nach dem vermeintlichen Drohnenangriff auf den Kreml sind die Hintergründe weiterhin unklar. Diverse Experten vermuten eine russische Inszenierung.
Kiew – Wolodymyr Selenskyj wählte am Mittwoch klare Worte. „Wir greifen weder Putin noch Moskau an, wir kämpfen auf dem eigenen Territorium und verteidigen unsere Dörfer und Städte“, sagte der ukrainische Präsident auf einer Pressekonferenz. Zuvor hatte der Kreml Kiew vorgeworfen, einen „Terroranschlag“ auf die russische Hauptstadt verübt zu haben. Das Ziel dabei soll kein Geringeres als die Ermordung von Präsident Wladimir Putin gewesen sein. Selenskyj antwortete seinerseits mit Vorwürfen. Moskau habe den Anschlag inszeniert, um die kriegsmüde Bevölkerung zu motivieren.
Doch wäre die Ukraine überhaupt in der Lage, eine solche Operation durchzuführen? Die Antwort darauf ist nicht eindeutig. Der Ukraine-Krieg ist seit der russischen Invasion im vergangenen Februar auch ein Informationskrieg. Die russische Propagandamaschine arbeitet seitdem Tag und Nacht, um die Regierung in Kiew zu verunglimpfen. Selenskyjs Regierung dementiert und schweigt als Reaktion.
Kiew soll bereits früher Drohnenangriffe auf Moskau geplant haben
Klar ist, dass die Ukraine im laufenden Krieg immer wieder Drohnen eingesetzt hat, um russische Stellungen anzugreifen. Handelsübliche Drohnen wurden mit Granaten oder Sprengstoff bestückt, der dann auf die russischen Truppen abgeworfen wurde. Videos davon teilte das ukrainische Verteidigungsministerium wiederholt stolz auf Twitter. Erst am Wochenende war ein Treibstofflager in der ukrainischen Hafenstadt Sewastopol auf der Krim nach einem Drohnenangriff in Brand geraten. Beschränkten sich die Drohnenangriffe anfangs noch auf das Staatsgebiet der Ukraine, sind mittlerweile auch diverse Angriffe in Russland gemeldet worden.
Die Washington Post berichtete Ende März von mindestens 27 Drohnenangriffen auf russischem Boden. Die Ziele waren dabei hauptsächlich Militärstützpunkte, Flugplätze und Energieanlagen. Auch ein Angriff auf die russische Hauptstadt Moskau soll dabei in Erwägung gezogen worden sein. Kyrylo Budanow, der Direktor des Militärnachrichtendienstes HUR der Ukraine, soll die Möglichkeit von Angriffen auf die russische Metropole im Februar geäußert haben. Das berichtet die Washington Post mit Verweis auf einen vertraulichen Bericht der NSA, welcher der Zeitung vorliegt.
Explosion im Kreml: USA verhinderte im Februar wohl Drohnenangriff auf Moskau
Budanows Plan sei es gewesen, am 24. Februar, dem Jahrestag der russischen Invasion, einen großangelegten Angriff auf mehrere Ziele zu starten – darunter auch Moskau. Zwei Tage vor dem Stichtag meldete die CIA in einem vertraulichen Bericht, der HUR habe „auf Wunsch Washingtons zugestimmt, die Angriffe zu verschieben“. Die genauen Gründe für die Schritte sind nicht bekannt. Die entsprechenden Berichte waren im Rahmen des „Pentagon-Leaks“ ins Internet geraten. Präsident Selenskyj wollte die Echtheit der veröffentlichten Dokumente bisher weder bestätigten noch dementieren.
Kiew verfügte also über das nötige Wissen für einen Angriff auf Moskau. Auch eine Motivation für den Angriff auf das russische Machtzentrum hätte die Regierung von Präsident Selenskyj. Schließlich greift Russland seit Monaten ukrainische Großstädte mit iranischen Shahed-Drohnen an und sorgt für Zerstörung und zivile Todesopfer.
Drohnenangriff auf den Kreml – Zweifel an russischem Narrativ werden laut
Dennoch sind sich viele Experten einig. Kiew steckt nur sehr unwahrscheinlich hinter dem Angriff am Mittwoch. Ein Grund dafür sind vor allem die unwahrscheinlich geringen Erfolgsaussichten einer solchen Offensivaktion. „Selbst wenn sie (die Drohnen, Anm. d. Red.) bewaffnet waren, war die Wahrscheinlichkeit, Putins Aufenthaltsort innerhalb des Kreml-Komplexes zu lokalisieren, ziemlich gering“, erklärte Militärexperte Mark N. Katz gegenüber dem Portal Newsweek. In der Tat soll sich Putin zum Zeitpunkt des Angriffs nicht einmal im Kreml aufgehalten haben. Das berichteten russische Medien.
Auch die Militärexperten vom US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) bezweifeln eine ukrainische Beteiligung. Die russischen Behörden hätten demnach in letzter Zeit Schritte unternommen, um die Luftverteidigung zu verstärken, auch innerhalb Moskaus selbst. Geolokalisierte Bilder vom Januar 2023 zeigten demnach, dass die russischen Behörden Panzir-Luftabwehrsysteme in der Nähe von Moskau platziert haben, um Luftverteidigungskreise um die Stadt zu schaffen.
Steckt Kiew hinter dem Drohnenangriff auf Putin? Militärexperten glauben an russische Inszenierung
Es sei daher äußerst unwahrscheinlich, dass zwei Drohnen mehrere Luftverteidigungsringe hätten durchdringen und direkt über dem Herzen des Kremls detoniert oder abgeschossen werden können - und das laut Bericht auf eine Art und Weise, die von einer Kamera gut eingefangen werden konnte, um spektakuläre Bilder zu liefern.
Hinzu kommt, dass die im Internet kursierenden Aufnahmen von dem Angriff nicht unabhängig verifiziert werden können. Die Videos stammen offenbar von einer Überwachungskamera am Roten Platz. Die Aufnahmen könnten also auch manipuliert worden sein. Das ISW hält daher eine Inszenierung durch die russische Regierung für wahrscheinlicher, bei der der Ukraine die Verantwortung zugeschoben werden sollte – einer sogenannten False-Flag-Operation.
Nach Drohnenangriff auf den Kreml – Russische Politiker fordern Konsequenzen für Selenskyj
Als weiteren Anhaltspunkt nannten die ISW-Experten in ihrem Bericht die koordinierte Reaktion des Kremls und der russischen Öffentlichkeit auf den Angriff. „Die sofortige, kohärente und koordinierte Reaktion des Kremls auf den Vorfall legt nahe, dass der Angriff intern so vorbereitet wurde“, hieß es in dem Bericht. So forderten auch diverse russische Politiker Konsequenzen, Selenskyj für den Angriff zur Rechenschaft zu ziehen. Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew forderte die „leibliche Eliminierung“ des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj „und seiner Clique“. Der Vorsitzende des russischen Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin, rief als Reaktion dazu auf, die Regierung in Kiew zu „vernichten“. (fd mit dpa)