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Ukrainische Drohnen: „Kontrollieren wir den Himmel, gewinnen wir“

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Von: Andrea Jeska

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Ein Soldat startet eine Drohne bei Bachmut. © Aris Messinis/afp

In der Ukraine befleißigt man sich der kriegerischen Entwicklungen der vergangenen Jahre und lehrt die Russen mit Drohnen das Fürchten.

Kiew - Dort, wo die grauen Hochhäuser von Kiew zurückbleiben, führt ein Weg durch einen Wald, Schnee auf den Ästen, Holzhäuser. Im Sommer ist dies ein Tourismushotspot. Doch nun summen dort zivile Drohnen, sogenannte Quadcopter, stapfen Männer in gefütterten Camouflage-Jacken über eine frostige Wiese, in der Hand eine Fernbedienung. Drohne hoch, Drohne runter, nach links, nach rechts. Die, die dort üben, sind künftige Drohnen-Piloten und für die Verteidigung im Ukraine-Konflikt inzwischen so unverzichtbar wie die Soldaten in ihren Schützengräben. Denn dieser Krieg, sagt Anton Frolow, sei ein Krieg der Drohnen. „Kontrollieren wir den Himmel, gewinnen wir.“

Anton Frolow, graumeliert und durchtrainiert, war einmal Reiseführer und nutzte vor dem Angriffskrieg Russlands Drohnen, um schöne Landschaften zu fotografieren. Nun ist er Pressesprecher von Kruk, einem von vier Ausbildungszentren für Drohnenspezialisten in der Ukraine. Tag für Tag steht er auf dieser kalten Wiese und wiederholt vielfach die drei B’s der Ausbildung: Bring deine Mission zu Ende, bring die Drohne nach Hause, bleib am Leben. Inzwischen integriert die Ukraine als erste Armee der Welt Drohnen-Staffeln.

Drei Kurse, jeweils fünf Tage, machen nicht nur Soldaten fit dafür, die Position russischer Stellungen und Panzer zu bestimmen, Truppenbewegungen zu dokumentieren, Verwundete zu finden. Im Anfängerkurs lernen sie, wie die Drohne Bilder von Truppenbewegungen, militärischem Gerät, Stellungen der Russen liefern kann – Luftaufklärung in Echtzeit.

Drohnen-Piloten sollen auch Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg dokumentieren

Dazu die Grundlagen der Aerodynamik, Meteorologie und Navigation, alles über nationale und internationale Flugrechte und Funktionsweise der Software. Denn die kann ein Problem sein. Die meisten Drohnen, sagt Taran, würden in China hergestellt und hätten eine Software, die es der russischen Seite ermöglicht, sie zu orten. „Wir müssen die Software verändern, damit die Drohnen für die Russen unsichtbar sind.“ Aber auch Moskau soll im Besitz chinesischer Drohnen sein.

Die Bilder, die die Drohne macht, werden an eine Kommandostelle geschickt, die die Informationen an Artillerieeinheiten übermittelt, und die wiederum greifen die Stellungen an. Bei Sonnenschein funktioniert das gut. „Aber bei Regen und Nebel,“ seufzt Frolow, „funktioniert das nicht. Und wir haben im Winter viel Regen und Nebel.“

In den weiteren Kursen erfahren die Teilnehmenden, wie man Drohnen mit Sprengstoff bestückt, damit militärische Ziele trifft, die Drohne möglichst wieder zurückbringt. Der Sprengstoff reicht zwar nicht, um Panzer zu zerstören, ist aber ausreichend, um die russischen Soldaten in den Schützengräben zu verletzen und ihnen die Nerven zu rauben. Vor einigen Tagen zerstörte eine Drohne aus der Ukraine ein wichtiges russisches Drohnen-Abwehrsystem.

Auch Zivilist:innen lernen, Drohnen zu bedienen

Auch Zivilist:innen werden geschult, sagt Frolow, allerdings nur in der Beschaffung von Informationen. Der Wunsch, diese Fähigkeiten zu lernen und damit Teil des kriegerischen Erfolgs zu werden, sei bei der Zivilbevölkerung groß. „Wir haben eine lange Warteliste.“

Doch die Drohnen-Piloten sind nicht nur Überlieferer von Informationen, sondern seit den ersten Kriegstagen auch Zeugen und Archivare von Kriegsverbrechen. Im März 2022, als russische Truppen in den Vororten von Kiew kämpften, filmte eine Drohne, wie russische Soldaten einen Zivilisten erschossen, der mit erhobenen Händen aus seinem Auto gestiegen war, und wie dessen Frau und Kind anschließend in einen Wald gebracht wurden. Diese Bilder, glaubt Frolow, seien ein wichtiges Zeugnis der russischen Verletzungen von Menschen- und Kriegsrecht. „Eines Tages werden die Schuldigen vor Gericht stehen, und dann haben wir die Beweise.“

Frolow: „Damals gab es wenige, die wussten, wie man Drohnen effektiv einsetzt“

Bereits während des Donbasskrieges von 2014 an entstanden in der Ukraine Start-ups, in denen handelsübliche Drohnen für militärische Zwecke umgebaut und mit Sprengstoff nachgerüstet wurden. Eine gefährliche Arbeit, denn dafür muss unter die Drohne in Handarbeit ein Auslösemechanismus „gebastelt“ werden. Im Juli 2022 wurde vom Generalstab der Streitkräfte das Projekt „Drohnenarmee“ ins Leben gerufen, um die damals gut 2500 Kilometer lange Frontlinie nahtlos zu überwachen. Auf Fundraising-Plattformen wurde um Spenden gebeten: Geld oder Drohnen, egal ob aus dem Supermarktregal oder selbstgebastelt.

Bald kamen Spenden aus den USA, Japan, Australien, den europäischen Ländern, der Soros-Stiftung. „Auch ganz normale Leute kauften für uns eine Drohne und schickten sie per Post.“ Doch damals gab es kaum jemanden, der wusste, wie man die Drohnen effektiv einsetzt. „Wir haben sie in Scharen verloren. Die Lebensdauer einer Drohne war nicht einmal ein Tag. Jetzt überleben sie eine Woche,“ sagt Frolow.

Begründet wurde Kruk im April 2022 von dem Geschäftsmann und Generalleutnant der Streitkräfte, Viktor Taran. „Viele Leute wollten helfen und ließen Drohnen fliegen, um Informationen an das Militär weitergeben zu können. Sie brachten sich damit in Gefahr, und sie hatten keine Ahnung von militärischen Erwägungen. Eine Familienfeier zu filmen, ist etwas anderes, als im Rahmen der Artillerie zu operieren.“ Taran beschloss, die Ausbildung zu professionalisieren.

Drohnen-Ausbilder: „Selbst Leute, die wenig Geld haben, spenden für uns“

In Zusammenarbeit mit dem Militär entwickelte er ein Ausbildungsprogramm, das kriegstauglich ist. Ein Jahr nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs hat Kruk gut 1000 Drohnen-Piloten ausgebildet, in diesem Jahr sollen es weitere 1000 sein. „Wir haben mehr Bewerber, als wir ausbilden können“, so Frolow. Die Armee der Drohnen sei ein sehr gutes Beispiel für den Widerstandswillen der ukrainischen Zivilgesellschaft. „Selbst Leute, die wenig Geld haben, spenden für uns.“

Für die künftigen Drohnenpilot:innen ist die Ausbildung kostenlos. Die ukrainische Regierung bezuschusst diese pro Mann oder Frau mit umgerechnet etwa 50 Euro, der Rest ist spendenfinanziert. Die Ausbildenden arbeiten ehrenamtlich. „Es geht nicht um Geld, es geht um Sieg“, sagt Frolow.

An diesem Tag sind nur Männer auf dem Übungsfeld, die meisten sind Soldaten. Einer sagt, die Ausbildung sei für ihn Grundlage einer weiteren Karriere als Drohnen-Pilot. Seine Einheit kämpft bei Bachmut, dorthin wird auch er in ein paar Tagen zurückkehren. Und sich dort weiter ausbilden lassen, um auch die türkische Kampfdrohne Bayraktar TB2 fliegen zu können.

Drohnen werden in Kriegen immer wichtiger

Der Einsatz von Drohnen ist keine neue Kriegsführung. Die USA haben diese im Irak und Afghanistan zur Überwachung und Terrorismusbekämpfung eingesetzt, auch in Libyen, Syrien und in Äthiopiens Krieg in Tigray kamen Drohnen zum Einsatz. Der Krieg Aserbaidschans gegen Armenien um Berg-Karabach wurde mithilfe der türkischen Drohnen entschieden, die Aserbaidschan einsetzte. Die Vorteile der Drohnen sind günstige Beschaffung, vergleichsweise einfache Handhabung und schwer nachvollziehbare Herkunft.

Die massive Verwendung von Drohnen in Kriegen wirft schon länger Fragen nach einem internationalen juristischen Rahmen auf. Vor Kurzem sorgte ein Drohnen-Zwischenfall über dem Schwarzen Meer für Aufsehen. Weltweit beginnen Drohnenbauer damit, die Technologie mit künstlicher Intelligenz zu verbinden. Diese würde ermöglichen, dass Drohnen auch ohne menschliches Kommando Ziele identifizieren und zerstören können. Im 2017 von Aktivisten gedrehten Video „Slaughterbots“ nutzen Schwärme preiswerter Mikrodrohnen künstliche Intelligenz und Gesichtserkennung, um Menschen anhand vorprogrammierter Kriterien zu töten.

Auf der Übungs-Wiese ist noch menschliche Intelligenz gefragt. „So verlierst du die Drohne“, ruft Frolow, „bleib tiefer.“ Wie gefährlich ist der Job? „Sehr gefährlich.“ „Wie viele ukrainische Drohnen-Piloten sind schon ums Leben gekommen?“ Frolow lächelt ein wenig schief. „Das unterliegt der Geheimhaltung.“ (Andrea Jeska)

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