„Die Zerrissenheit gibt es noch“

Politologin Kropp über die Lage beim AfD-Bundestreffen in Riesa
Frau Kropp, die AfD hat sich seit ihrer Gründung bei jedem Parteitag radikalisiert. Wird sich dieser Trend in Riesa fortsetzen?
Man muss bei dem Parteitag die sachliche und die personelle Ebene unterscheiden. Der Rücktritt von Jörg Meuthen hat bestehende Radikalisierungstendenzen der Partei bereits beantwortet – sie waren der Anlass für seinen Rücktritt. Man könnte zwar vermuten, dass die Partei nun eine eindeutigere Besetzung mit zwei Personen vornehmen kann, die stärker rechts positioniert sind. Aber selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, besteht die Möglichkeit, dass Björn Höcke durch sachliche Anträge die Partei weiter nach rechts rückt.
Höcke will für den Vorsitz nicht kandidieren, fordert aber, dass künftig nur eine Person die Partei führt. Was bezweckt er damit?
Höcke will damit vielleicht den Preis für seine Nicht-Kandidatur nach oben treiben. Dies hätte das Ziel, dass einzelne inhaltliche Punkte, die er vorbringt und die in der Tat zu einer Radikalisierung der Partei beitragen könnten, stärker gewürdigt werden. Und er spielt natürlich auch mit seiner Person wie schon bei früheren Parteitagen. Er hält sich im Gespräch.
Die AfD gilt als intern zerrissen. Trifft das noch die aktuelle Situation oder ist die Partei inzwischen bekennend radikal?
Die Zerrissenheit gibt es noch, das sehen wir auch an den Auseinandersetzungen, die im Vorfeld des Parteitags geführt wurden. Die Partei wird aktuell vom Verfassungsschutz beobachtet. Man muss aber abwarten, ob nun die Mitglieder, zum Beispiel jene im öffentlichen Dienst, auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz reagieren, indem sie sich zurückhalten oder austreten und damit auf der Mitgliederebene und auf der Repräsentationsebene der Partei ein Rechtsruck stattfindet.
So eine Entwicklung wird häufig gedeutet als Beginn des Abstiegs der AfD. Wie sehen Sie das?

Es ist nicht ausgemacht, ob das die Partei schwächen würde. Wir haben gesehen, dass nach den Austritten von Bernd Lucke und Frauke Petri die Partei bei Wahlen nicht geschwächt worden ist. Man muss dabei auch den Osten Deutschlands in den Blick nehmen, wo die Partei inzwischen durchaus eine gewisse Wählerklientel zu binden vermag. Sie war bei der Wahl in Sachsen-Anhalt die erfolgreichste Partei bei den Männern in allen Alterskohorten bis 60 Jahre.
Wie macht sie das?
Die AfD-Wähler ordnen der Partei vor allem in den Bereichen Migration und Inneres Sachkompetenz zu. Sie holt aber auch – wenn auch auf geringem Niveau – in der Sozialpolitik auf. Und sie ist im Osten vor allem auf der kommunalen Ebene relativ stark verankert, auch wenn die Erfolge bei den Landratswahlen in Sachsen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Und: Die AfD greift kulturelle Konfliktlinien auf, indem sie sich als Partei gibt, die dezidiert nicht das großstädtische Milieu bedient, die sich gegen libertäre Milieus positioniert und zum Beispiel bei Themen der Parität und Toleranz oder bei Geschlechtergerechtigkeit sich eindeutig rechts aufstellt und damit auch Wählerschichten bindet.
Im Westen aber verliert die Partei – deutlich. Wie wird sich diese Ost-West-Schere auf die Präsenz bundesweit auswirken?
Das ist nicht abzusehen, weil die AfD früher davon profitiert hat, dass sie sich bei neuen Krisen eindeutig rechts positionierte. Das war bei der Migrationskrise 2015 so und bei Covid auch. Sie hat damit ihr Profil von Krise zu Krise gewandelt und sich immer weiter radikalisiert. Im Augenblick kann sie aus dem Ukraine-Krieg weniger Profit schlagen, aber auch da sind Unterschiede zwischen Ost und West zu beobachten, weil die Ostdeutschen Russland gegenüber weniger kritisch sind. Aus dem Migrationsfaktor kann sie im Moment keinen Gewinn ziehen, weil die Ukraine-Flüchtlinge nicht mit der traditionellen Islamfeindlichkeit der AfD in Verbindung zu bringen sind.
Die AfD hat in Karlsruhe einen Sieg gegen Angela Merkel errungen., die aber nicht mehr Kanzlerin ist – welchen Sinn haben diese Richtersprüche für die AfD?
Das hat den Sinn, sich zu profilieren als Partei, die gegen das Establishment Position bezieht und auch mit dem Segen von Gerichtsurteilen ihrer Klientel verdeutlichen kann, dass man eben die Alternative gegen alle anderen darstellt. Die Ironie liegt darin, dass die AfD ein Demokratiedefizit reklamiert, aber gleichwohl Vorteile der Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz für sich nutzt, um sich gegen die anderen Parteien in Stellung zu bringen.
Wie wird die Parteispitze am Ende in Riesa aussehen?
Schwer zu sagen, weil es bisher wegen der Zerstrittenheit kaum zu flügelübergreifenden Absprachen im Vorfeld eines Parteitags gekommen ist. Die Delegierten aus Ostdeutschland stellen etwa ein Viertel, das bedeutet, dass Verlautbarungen aus Ostdeutschland vor dem Parteitag nicht unbedingt entsprechende Ergebnisse nach sich ziehen müssen. Vielleicht wird es das Duo Tino Chrupalla/Alice Weidel – schwer zu sagen. Bisher war die AfD auf Parteitagen immer für Überraschungen gut.
Interview: Tatjana Coerschulte