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Die „Mexikanisierung“ Argentiniens

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Die Polizei am vergangenen Mittwoch auf Patrouille im Armenviertel „Los Pumitas“. AFP
Die Polizei am vergangenen Mittwoch auf Patrouille im Armenviertel „Los Pumitas“. AFP © afp

Die argentinische Großstadt Rosario ist zur Drehscheibe für den Kokainhandel in Südamerika geworden.

Am vergangenen Montag konnte ganz Argentinien live vor dem Fernseher verfolgen, wie die Bewohnerinnen und Bewohner eines Armenviertels von Rosario das Recht in die eigenen Hände nahmen. Nach der Beerdigung eines Zwölfjährigen, der von Pistoleros einer Drogenbande am Vortag erschossen worden war, marschierte die aufgebrachte Menge von Los Pumitas zum Haus des mutmaßlichen lokalen Bandenchefs. Sie verwüsteten es, plünderten es und fackelten es ab. Der Polizei gelang es gerade noch, den Drogenboss durch Festnahme vor dem Tod durch Lynchen zu retten. Die Sicherheitskräfte mussten die aufgebrachten Menschen mit Gummigeschossen auseinandertreiben. All das übertrug der Nachrichtensender TN in Echtzeit in die Wohnzimmer des südamerikanischen Krisenlandes.

Nur einen Tag später reagierte Präsident Alberto Fernández überraschend schnell und drastisch. „Rosario braucht uns, und die Sicherheitskräfte dort reichen nicht aus, um das Problem zu bewältigen“, sagte er und setzte 400 Bundespolizist:innen und ein Ingenieurkorps der Streitkräfte in Marsch. Zudem will er in der drittgrößten Stadt des Landes ein Büro der Finanzaufsichtsbehörde UIF eröffnen, das den Strom illegaler Gelder untersuchen soll.

Während die paramilitärische Bundespolizei die lokale Polizei im Kampf gegen die „Narcos“ unterstützen werde, solle die Armee bei der „Urbanisierung“ der Armenviertel helfen, sagte der Präsident, ohne ihre Aufgabe zu präzisieren.

Das kann zum einen bedeuten, würdige Wohngelegenheiten und vernünftige sanitäre Einrichtungen aufzubauen, aber auch den Drogenhandel und die Präsenz von kriminellen Banden in den „Villas miseria“ einzudämmen. „Wir werden die Ordnung in Rosario wiederherstellen und so ein soziales Leben in Freiheit und Sicherheit garantieren. Aber vor allem werden wir für Gerechtigkeit sorgen. Das sind wir den Opfern der Mafia und den Kindern der Stadt schuldig“, versprach der linksliberale Präsident.

Bisher war Argentinien berühmt für Fußball und berüchtigt für Wirtschafts- und Finanzkrisen. Beides erreichte am Jahresende seinen Höhepunkt. Leo Messi führte das Land zum Weltmeistertitel, und die Jahresinflation erreichte wenig später 100 Prozent. Die Armut explodiert in Argentinien und in ihrem Schatten steigt die Gewalt massiv an.

Weitgehend unbekannt war bisher aber, dass sich gerade Rosario, die Geburtsstadt Messis, in den vergangenen Jahren zum Umschlagplatz der Drogenkartelle und zu einem Paradies für Geldwäscher entwickelt hat. Mehrere Drogenbanden ringen um die Kontrolle in der 300 Kilometer nördlich von Buenos Aires gelegenen Hafenstadt. Im vergangenen Jahr kamen bei den Auseinandersetzungen 288 Menschen ums Leben. In diesem Jahr ist die Gewalt völlig außer Kontrolle. Bisher wurden 63 Morde verübt, fast einer pro Tag. Immer wieder attackieren die Banden auch Polizeiwachen, andere öffentliche Gebäude oder bedrohen direkt den Bürgermeister Pablo Javkin.

Erst vor wenigen Tagen ging die Nachricht vom Anschlag auf einen Supermarkt um die Welt, der im Eigentum der Familie von Messis Ehefrau Antonela Roccuzzo ist. Unbekannte feuerten im Morgengrauen auf die Rollläden des Geschäfts und hinterließen eine handgeschriebene Drohung gegen den Weltfußballer: „Messi, wir warten auf dich“.

Argentinien hatte bisher nicht den Ruf, ein „Narco-Staat“ zu sein, es entwickelt sich aber in die Richtung. Das Land ist zunehmend Umschlags- und Transitland für Kokain, und Rosario mit seiner strategischen Lage am Rio Paraná und an der „Ruta 34“ der Schaltplatz. Insight Crime, ein auf die Organisierte Kriminalität spezialisiertes US-Nachrichtenportal, warnte schon vor mehr als zehn Jahren davor, dass sich die 1500 Kilometer lange Fernstraße zur „weißen Route“, also dem Haupttransportweg für Kokain in Südamerika, entwickeln werde. Die Straße beginnt an der nördlichen Grenze zu Bolivien und endet in Rosario. Die Behörden gehen davon aus, dass die Fernstraße genutzt wird, um Kokain in die drei größten Städte des Landes zu bringen: Rosario, Córdoba und Buenos Aires.

Der Pro-Kopf-Konsum des weißen Pulvers und seiner Nebenprodukte in Argentinien gehört zu den höchsten der Region. Zudem warnen Fachleute, dass vor allem das mexikanische „Sinaloa-Kartell“ starke Präsenz in der Stadt hat. In Argentinien sprechen schon manche von einer „Mexikanisierung“ des Landes. Als Erster hatte das Papst Franziskus vor acht Jahren getan, als er genau mit diesem Terminus vor dem Anstieg der Drogengewalt in seiner Heimat warnte. Er sollte Recht behalten.

Das Gewalt- und Drogenthema dürfte den beginnenden Wahlkampf in Argentinien vorerst dominieren. Die regierenden Peronisten um den Staatschef haben bei der Abstimmung im Herbst schon wegen der Wirtschaftslage kaum Chancen auf Wiederwahl. Die Gewalt in Rosario dürfte die Mission noch um einiges schwieriger machen.

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