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„Die Klimabewegung ist plural“

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Von: Friederike Meier

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Die Demos von „Fridays for Future“ finden weltweit statt, hatten zuletzt aber weniger Zulauf.
Die Demos von „Fridays for Future“ finden weltweit statt, hatten zuletzt aber weniger Zulauf. © dpa

Forscherin Lena Herbers über zivilen Ungehorsam, alte und aktuelle Protestformen der Klima-Aktiven und die Anti-AKW-Bewegung, die ihre Ziele fast erreicht hat.

Frau Herbers, Sie beschäftigen sich mit zivilem Ungehorsam. Was genau erforschen Sie?

Ich beschäftige mich mit den Aushandlungsprozessen rund um zivilen Ungehorsam und der Frage nach seiner Legitimierung bzw. Delegitimierung. Dafür analysiere ich juristische und aktivistische Dokumente aus den letzten 50 Jahren, in denen es um zivilen Ungehorsam geht. Über den Beginn der Friedensbewegung rund um Mutlangen, zu den Anfängen der Anti-AKW-Bewegung, weiter zu den Castor-Transporten bis in die Gegenwart der Klimabewegung.

Was hat sich denn im Laufe der Zeit verändert?

Ähnlich wie heute gab es auch damals Diskussionen um die Legitimität von Protesten und bestimmten Protestformen. Es gab viele Stimmen, die versucht haben, beispielsweise die Anti-AKW-Bewegung als militant, gewaltvoll und radikal zu diskreditieren – auch wenn nur milde Protestformen genutzt wurden. Es war eine sehr breite Bewegung mit unterschiedlichen Gruppen, die Demonstrationen, aber auch Protestcamps gegen geplante Atomanlagen und später Castor-Blockaden durchführte. Es wurden aber auch radikale Protestformen und Sabotageaktionen genutzt, die auch zur damaligen Zeit hoch umstritten waren, wie etwa die Sprengung von Strommasten durch Anti-AKW-Aktivistinnen und Aktivisten oder „Castor Schottern“ – davon ist die heutige Klimabewegung weit entfernt. Wichtig ist, dass die Deutung von Protestbewegungen sich im Laufe der Zeit verändern kann. So wird die Legitimität der Anti-AKW-Bewegung heute kaum noch in Frage gestellt. Sie wird als Teil der Protestgeschichte der Bundesrepublik verstanden, ihre Ziele sind heute fast komplett umgesetzt.

In Umfragen zur „Letzten Generation“ sagen viele, dass sie inhaltlich zustimmen, aber mit den Mitteln des Protests nicht einverstanden sind. Wie viel Zustimmung brauchen Bewegungen, um erfolgreich zu sein?

Die Aktivist:innen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen positiver und negativer Aufmerksamkeit. Viele Gruppen, wie auch die „Letzte Generation“, sehen es als notwendig an, gerade aufgrund der Dringlichkeit des Klimaschutzes das Risiko einzugehen, dass ihnen Ablehnung für die Nutzung bestimmter Protestmittel entgegenschlägt. Dafür bekommen sie aber viel Aufmerksamkeit, um so das Thema Klimakrise im medialen und öffentlichen Bewusstsein zu halten. Ein Großteil der Bevölkerung muss hinter der Klimabewegung stehen, damit sie erfolgreich ist – aber die Bevölkerung muss nicht hinter allen Teilen der Bewegung stehen. Die Klimabewegung ist ja plural – mit Gruppen wie „Fridays for Future“ oder auch mit Protesten an konkreten Orten wie in Lützerath. Letztlich kann man aber erst im Nachhinein einordnen, was eine Bewegung erfolgreich gemacht hat.

Anfang März hat „Fridays for Future“ wieder international demonstriert. Aber es kommen nicht mehr so viele Menschen wie etwa im Jahr 2019, auch die Aufmerksamkeit der Medien scheint abzunehmen. Woran liegt das?

„Fridays for Future“ setzt auf Massendemonstrationen, die sehr anschlussfähig sind. Die „Letzte Generation“ hingegen setzt auf kleine radikale Formen des zivilen Ungehorsams. Gerade haben wir eine Verlagerung hin zu diesen Formen. Weil sie stärker stören, erhalten sie mehr Aufmerksamkeit. Gleichzeitig ist eine öffentliche und politische Debatte darüber entbrannt, inwieweit die Proteste legitim sind. Diese Aktionen provozieren und werden deshalb von den Medien stärker aufgegriffen. Unabhängig davon schafft es „Fridays for Future“ auch immer noch, große Mobilisierungen zu erreichen und so Aufmerksamkeit auf ihr Ziel, Klimagerechtigkeit, zu lenken. In der Anfangszeit von „Fridays for Future“ hatten wir allerdings auch eine große Debatte über das Schulschwänzen.

Das wurde anfangs auch als Grenzüberschreitung wahrgenommen.

Genau. Viele Politiker haben sich sehr echauffiert, dass die Kinder und Jugendlichen nicht in die Schule gehen und stattdessen demonstrieren. Diese Form des zivilen Ungehorsams war wichtig für die Protestbewegung. Jetzt hat „Fridays for Future“ die Chance, in diesem Nebeneinander aus unterschiedlichen Bewegungen als kompromissbereites Angebot für eine Vielzahl von Menschen dazustehen. Dadurch kann die ganze Klimabewegung gewinnen.

Zur Person

Lena Herbers ist Juristin, Soziologin und Doktorandin am Institut für Soziologie an der Uni Freiburg. Sie forscht zu politischer Soziologie, Protest und sozialen Bewegungen, Rechtssoziologie und zivilem Ungehorsam. Ihr Promotionsprojekt wird von der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert. fm

Was hat sich Ihrem Eindruck nach durch die Proteste in Lützerath in der Wahrnehmung der Klimabewegung verändert?

Dort konnte der Widerspruch der Politik zwischen dem Abbau von Kohle und dem Einhalten der Klimaziele mitsamt dem Kohleausstieg durch die Bewegung sehr anschaulich thematisiert werden. Dadurch wurde Lützerath zu einem Symbol und hat bewirkt, dass die Klimabewegung weiter zusammenwächst. Außerdem haben die Proteste dort große weltweite Aufmerksamkeit erhalten.

Proteste, die sich an einem konkreten Ort festmachen, gibt es schon länger, für die Klimabewegung war zum Beispiel der Hambacher Forst wichtig. Welche Rolle spielen diese Proteste?

An diesen konkreten Orten werden die Klimakrise, ihre Auswirkungen und auch die Entscheidungen der Politik greifbar. Das abstrakte Thema wird konkret und politische Entscheidungen lassen sich anprangern. So werden die Orte symbolisch aufgeladen, denn sie stehen für das große Thema und auch große, gewissermaßen utopische Lösungen können hier aufscheinen. Gleichzeitig gibt es ein begrenztes Ziel, zum Beispiel die Rettung des Hambacher Forstes, und dadurch auch die Möglichkeit, Erfolge zu erzielen. Die Aktionen sind begrenzt und klar verständlich. Dadurch können sie auch besonders wirkungsvoll sein. In der Klimakrise ist es sonst schwer, in absehbarer Zeit einen Erfolg zu erreichen – die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze ist ein sehr großes Ziel.

Im Fall von Lützerath hat das nicht funktioniert. Befürchten Sie, dass die Klimabewegung extremer wird, je unwahrscheinlicher es wird, dass die Klimakrise ausreichend eingegrenzt wird?

Ich sehe, dass die Klimabewegung sich stark selbst beschränkt, und zwar darauf, dass sie gewaltfrei bleibt. Die Aktivist:innen übertreten mit zivilem Ungehorsam Gesetze, aber gleichzeitig bleiben sie in diesem ganz klar geregelten Bereich. Aktuell sehe ich keinen Anlass, weshalb die Aktivistinnen und Aktivisten ihren Verzicht auf Gewalt aufgeben sollten.

Und was ist, wenn die Proteste jahrelang nichts oder zu wenig bringen – welche Möglichkeit zur Steigerung gibt es denn überhaupt noch?

In der Klimabewegung ging es lange um die Klimagipfel zum Beispiel in Kopenhagen oder in Paris, wo man versucht hat, mit guten Argumenten auf die Politiker:innen einzuwirken. Das hat wenig gebracht, und so haben sich die Protestformen auch verändert. Es ist schwierig, wenn der Handlungsdruck weiter steigt, aber gleichzeitig wenig passiert. Die „Letzte Generation“ hat zum Beispiel angekündigt, dass sie ihre Proteste verstärken und ausweiten wird, weg von großen Städten hin zu kleineren Orten. Möglicherweise werden sie auch andere Protestformen ausprobieren – es gibt ja immer wieder neue Formen, wie etwa Tomatensuppe oder Kartoffelbrei auf ausgewählte Kunstwerke zu werfen. Davon, eine terroristische Gruppe zu werden, ist die „Letzte Generation“ aber weit entfernt.

Lena Herbers.
Lena Herbers. © privat

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