Die Gaslobby: Märchen von der „sauberen Energie“

Lobbycontrol erhebt schwere Vorwürfe: Mächtige Netzwerke aus Gaskonzernen und Politik blockieren die Energiewende seit Jahren – auch unter der Ampel / Von David Zauner
Der Einfluss der Erdgaslobby ist auch heute noch stark. Das ergab eine Analyse des Vereins Lobbycontrol. Obwohl der Ukrainekrieg die Abhängigkeit von russischem Erdgas schmerzlich deutlich gemacht hat, pflegt die Gasindustrie nach wie vor enge Kontakte in die Bundesregierung.
Die alten Russland-Netzwerke bröckeln, aber die Erdgaslobby ist so einflussreich wie eh und je. Zwischen dem Antritt der neuen Bundesregierung und September letzten Jahres trafen sich ihre Spitzen im Schnitt jeden Tag mit einem Gaslobbyisten.
Diese alarmierende Bilanz zieht der Verein Lobbycontrol in einer jetzt veröffentlichten Analyse zum Einfluss der Gaslobby. Verantwortlich für deren Macht sind laut den Autor:innen die letzten Bundesregierungen.
„Sie haben den Einfluss der Gaslobby nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert, unter anderem, indem sie der Gasindustrie eigene Lobby-Pipelines in die Politik geöffnet haben“, sagte Christina Deckwirth von Lobbycontrol. Die Ampel-Regierung setze diesen Kurs fort.
Exemplarisch für den privilegierten Zugang der Gasindustrie zu politischen Entscheidungen steht der Dialogprozess „Gas 2030“. Er gilt als Durchbruch für die Gasindustrie. Das Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier (CDU) hatte 2019 mit Vertreter:innen aus Industrie und Gaskonzernen über die Erdgas-Strategie für die nächsten Jahre verhandelt – fast ohne Umweltverbände. Altmaier schloss den Dialog mit dem Zitat: „Gas ist nicht nur wichtig, es ist sexy.“
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Die jahrelange Lobbyarbeit der Gaskonzerne hatte sich also gelohnt. Fortan sah die Politik Erdgas als integralen Bestandteil der Energiewende. Die Netzwerke aus „Gasindustrie, Lobbyist:innen und Politiker:innen, die auch gezielt von den autoritären Regimen wie Russland und Aserbaidschan unterstützt wurden“, wie es in der Studie heißt, wurden Jahr für Jahr enger und verflochtener.
Allein 2021 gaben deutsche Gaskonzerne über 40 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus. Darin sind die Aufwendungen energieintensiver Konzerne wie BASF sowie aus dem Ausland, etwa von Gazprom, noch gar nicht enthalten. Zum Vergleich: Im selben Jahr gaben die drei größten deutschen Umweltorganisationen – Greenpeace, BUND und Deutsche Umwelthilfe (DUH) – 1,55 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus.
Nicht nur die Politik öffnete der Gasindustrie Tür und Tor. Auch umgekehrt suchten die Konzerne nach Möglichkeiten, Politiker:innen stärker einzubinden. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), langjähriger Lobbyist für Gazprom und Rosneft, ist da nur die Spitze des Eisberges.
Ehemalige Ministerpräsidenten wie Edmund Stoiber (CSU), Erwin Sellering (SPD) und Wolfgang Clement (SPD) übernahmen diverse Funktionen in Energieunternehmen und lobbyierten für die Gasindustrie.
Das ist kein Phänomen der Vergangenheit. Klaus Bonhoff, aktuell Abteilungsleiter im Bundesministerium für Verkehr, ist seit 2019 Mitglied im Beirat des Gaslobbyverbands Zukunft Gas.
Rund 30 sogenannte Seitenwechsler:innen listet Lobbycontrol in ihrer Analyse auf. Das sind ehemalige oder auch aktive Politiker:innen, die mittlerweile Lobbyfunktionen für die Gasindustrie ausfüllen. Überdies heißt es wörtlich in der Studie: „Die Gaskonzerne, die noch die letzte Bundesregierung auf ,Gas-Kurs’ gebracht hatten, bestimmen die Gaspolitik weiterhin mit: Deren Vertre ter:innen sind es, die Scholz und Habeck auf ihre Reisen in den Senegal, nach Saudi-Arabien oder Katar begleiten, um neue Gasimporte zu ermöglichen.“
Die Folgen einer solchen Übermacht der Gaslobby sind laut der Energieökonomin Claudia Kemfert eine verschleppte Energiewende und hohe Preissteigerungen. „Wir könnten heute einen 80-Prozent-Anteil erneuerbarer Energien haben, wenn die Milliardeninvestitionen in deren Ausbau statt in Erdgas geflossen wären“, sagte sie.
Eine wesentliche Aufgabe der Gaslobby ist es laut der Untersuchung, Narrative zu entwickeln, die Einzug in die politische Debatte finden. Das ist ihr in Deutschland gelungen. Das Bild von Erdgas als „sauberer Brückentechnologie“ macht sich mittlerweile ein breites politisches Spektrum zu eigen.
Die tatsächliche Klimawirkung von Erdgas rückt dabei in den Hintergrund. Wegen der Methan-Emissionen entlang der Förder- und Lieferketten gehen einige neuere Berechnungen davon aus, dass Erdgas kaum klimafreundlicher ist als Kohle.
Um die Einflussnahme der Gaskonzerne in Zukunft zu beschränken, formuliert Lobbycontrol einige Forderungen. Zum einen brauche es Regelungen, die aktiven und kürzlich gewechselten Politiker:innen die Lobbyarbeit für Energieunternehmen untersagen.
Außerdem sollten in Zukunft ausgewogene Gremien über energiepolitische Strategien beraten. Auch die gegenwärtige Regierung wird diesem Anspruch nicht gerecht. So sitzen im Nationalen Wasserstoffrat 15 Vertreter:innen aus der Wirtschaft, aber nur zwei aus der Zivilgesellschaft.
Die Einflussnahme Russlands auf die deutsche Politik und Wirtschaft müsse zudem gründlich aufgearbeitet werden. Dazu fordern die Autor:innen einen Untersuchungsausschuss auf Bundesebene.
Im Kern geht es um Transparenz. Der Einfluss von Lobbyist:innen soll nachvollziehbar werden, etwa über eine „Lobby-Fußspur“, die den Einfluss auf Gesetze und Verordnungen sichtbar macht. Lobbycontrol hofft dabei auf die neue Regierung. Sie müsse jetzt die richtigen Weichen stellen und für ausreichend Abstand zwischen Wirtschaft und Politik sorgen.
Der Grüne Robert Habeck ist als Wirtschaftsminister mit durchaus ehrgeizigen klima- und energiepolitischen Vorhaben angetreten. Dem muss er nun trotz einer großen Hypothek der Vorgängerregierung gerecht werden. Das sei durchaus möglich, meint Claudia Kemfert. „Wir haben das rettende Ufer der Erneuerbaren schon längst erreicht – es braucht keine Brücken mehr. Das sind alles Brücken ins Nichts.“