Die empathische Hardlinerin

Den Haags Justizministerin Dilan Yesilgöz kämpft für die Freiheit des Einzelnen. Der Mord am Journalisten Peter de Vries ist nun ihr Fall - ein Porträt.
Von „einem schwarzen Tag“, sprach Dilan Yesilgöz. Das war am 15. Juli vorigen Jahres, dem Tag, an dem der holländische Investigativjournalist Peter R. de Vries an den Folgen eines Anschlags starb. Der Reporter, der auch zur organisierten Kriminalität recherchierte, war in Amsterdam auf offener Straße erschossen worden. Die Niederlande waren entsetzt. Yesilgöz war damals Klimastaatssekretärin, seit Januar ist die 44-Jährige Justizministerin der Niederlande. Der Mord an De Vries ist nun ihr Fall. Am Dienstag hat das Verfahren gegen die beiden Angeklagten begonnen.
De Vries war mehr als die holländische Variante des TV-Ermittlers Eduard Zimmermann. Er fahndete selbst und überführte Kriminelle. Das erweckte Argwohn im Milieu. Polizeischutz lehnte De Vries kategorisch ab. Dennoch war seine Ermordung auch eine Niederlage für den niederländischen Rechtsstaat.
Prozess zum Anschlag auf Peter de Vries: Der Fall ist eine Bewährungsprobe
Viel steht in dem Mordprozess also auf dem Spiel. Yesilgöz weiß das. „Ich glaube an die Kraft des Individuums“, umschreibt die liberale Politikerin ihr Credo. Die individuelle Freiheit als Kern der liberalen Rechtsidee stößt in Holland allerdings gerade an Grenzen. Die beiden Verdächtigen im Fall De Vries, Delano G. und Kamil E., haben Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Sie sind Randfiguren im blutigen Spiel eines Drogenkartells. Dessen mutmaßlicher Boss, Ridouan Taghi, sollte gar per Hubschrauber aus dem Knast befreit werden. Vom „Narco-State“ – Drogenstaat – sprechen internationale Medien. Das entspricht so gar nicht dem Selbstbild des Landes.
Kriminelle „betreiben Missbrauch mit dem Rechtsstaat“, sagt Yesilgöz. Sie weiß: Der Fall ist eine Bewährungsprobe – für die neue Ministerin und für Hollands Justiz. Aus Furcht vor Nachstellungen sind die Namen vieler Zeug:innen anonymisiert, die Angaben zu Ermittler:innen geschwärzt. Selbst der Verdächtige Kamil E., der mit der Anklage kooperiert und nur Kurierfahren erledigt haben will, sollte nicht vor Gericht erscheinen. Vor einem „Geister-Prozess“ warnte der Anwalt des mutmaßlichen Schützen Danilo G. So wird der Fall De Vries zu einem Musterprozess. Der Rechtsstaat muss sich beweisen.
Es geht um viel im Fall De Vries
Yesilgöz geht auf ihre Weise vor. Die Liberale setzt auf eine harte Linie. Strafen, etwa auf Mord, wurden drastisch erhöht. Zudem mobilisierte die neue Ministerin 40 Millionen Euro für den Kampf gegen Drogenclans. „Pitbull mit Empathie“ nennt die Zeitung „Volkskrant“ die Politikerin.
„Ich komme von ganz links“, sagte Dilan Yesilgöz in einem Interview. Im Jahr 1984 kam sie mit Schwester und Mutter, einer Literaturwissenschaftlerin, nach Holland. Ihr Vater, ein kurdischer Menschenrechtsaktivist, hatte die Türkei da schon längst Richtung Amsterdam verlassen. „Freiheit, Menschenrechte und der tiefe Glaube an die Möglichkeiten des Individuums“, umschreibt Yesilgöz die Motive ihrer links-aktivistischen Eltern. Als liberale Justizpolitikerin sieht sie sich heute durchaus in deren Tradition: Die Freiheit des Einzelnen verteidigen. Es geht um viel im Fall De Vries.