Die Chance des Diktatorensohns

Wenn Marcos junior die Wahl gewinnt, steht die Demokratie der Philippinen vor ihrer nächsten existenziellen Herausforderung
Ende April schien es nochmal spannend zu werden. Beeindruckende neun Prozentpunkte hatte Leni Robredo laut Umfragen zugelegt. Würde sich ihre Beliebtheit mit weiteren Zuwachsraten entwickeln, hätte die liberale Politikerin, die sich landesweit für Menschenrechte, Bildung und Aufbau ärmerer Regionen einsetzt, noch eine echte Chance. Dann wäre das Rennen um das Präsidentenamt doch noch offen.
Aber als am vergangenen Dienstag die jüngsten Umfragezahlen herauskamen, war das Aufbäumen wieder dahin: Robredo hat mit nun 23 Prozent wieder leicht verloren, der Favorit Ferdinand Marcos Junior dagegen hielt sich bei 56. Der frühere Boxweltmeister Manny Pacquiao liegt mit sieben Prozent abgeschlagen auf Platz drei. So ist schon vor dem Urnengang an diesem Montag beinahe entschieden: Der Präsident der Philippinen dürfte den Nachnamen Marcos tragen.
In dem südostasiatischen 110-Millionen-Land polarisiert dieser Name wie kein anderer. Die einen verbinden mit der Familie Marcos eine Ära des phasenweisen ökonomischen Aufstiegs, andere den Sturz in Chaos und Diktatur. Ferdinand Marcos Senior regierte von 1965 bis 1986, rund die Hälfte davon als Diktator. Ab 1972 galt Kriegsrecht, Zehntausende Oppositionelle, Medienleute und Aktivist:innen wurden verhaftet oder getötet. Das hochkorrupte Regime endete 1986 dank einer Protestwelle.
Nun aber steht der Junior vor der Wahl zum Präsidenten. Und von Reue ist wenig zu vernehmen: „Mein Vater ist der Staatsmann, er ist das politische Genie“, sagte der Sohn jüngst in einem Interview. Seine Mutter Imelda, die für ihre riesige Schuhsammlung bekannt war und später für die Entwendung von Milliarden US-Dollar aus der Staatskasse, nannte Marcos Junior die „oberste Politikerin der Familie“.
International mag das erschrecken, aber in den Philippinen von heute kommt das gut an. Ein wichtiger Grund hierfür ist der scheidende Präsident Rodrigo Duterte, der ein Freund der Marcos-Familie ist und Freunde künftig dringend brauchen könnte. Vor sechs Jahren reüssierte Duterte als hart Durchgreifender: Er wollte unter anderem Drogenabhängige erschießen lassen. Und tat das auch bald nach seinem Wahlsieg. Das Land machte Duterte insofern sicherer, als dass die Kriminalitätsrate seither deutlich gesunken ist. Allerdings wurden gleich in seinem ersten Amtsjahr fast 25 Prozent mehr Menschen getötet als zuvor. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl seither Getöteter auf rund 30 000. Da Duterte nun aus dem Amt scheidet, werden Klagen gegen den 77-Jährigen vorbereitet.
Aber in Ferdinand Marcos weiß Duterte einen Verbündeten – schließlich hat er dem jetzigen Favoriten den Weg zum Präsidentenamt über Jahre geebnet. Dem einst vertriebenen Marcos Senior bereitete Rodrigo Duterte ein spätes Heldenbegräbnis in Manila. Und Dutertes Tochter Sara, die dem Vater zuvor schon als Bürgermeisterin der südlichen Stadt Davao nachfolgte, kandidiert nun als Vizepräsidentin an der Seite von Ferdinand Marcos Junior.

Von Duterte hat Marcos Junior auch gelernt in den sozialen Medien zu punkten. Wie Duterte sticht Marcos unter allen Politiker:innen des Landes durch hohe Aktivität auf in den Philippinen sehr einflussreichen Plattformen wie Facebook und Twitter hervor. Trolle und Influencer werden engagiert, um schlecht über politische Gegner:innen zu reden und gut über ihn. Laut der Online-Analysefirma Sparktoro sind fast die Hälfte seiner Follower auf Twitter Fake-Accounts.
Aber die Öffentlichkeit lässt sich immer wieder in die Irre führen. Zuletzt behauptete Marcos, dass sein Vater 1986 nicht etwa durch Proteste und abtrünnige Militärs aus dem Land gejagt worden sei, sondern einfach nicht habe kämpfen wollen. Hätte er gewollt, wäre er im Amt geblieben. Nicht wenige im Land glauben das wie auch andere Falschmeldungen, die über Marcos Junior gestreut werden. So kursiert die Behauptung, er hätte einen Abschluss von der Universität Oxford. Tatsächlich hat er nie einen Abschluss erlangt, vielmehr fiel er bei den Prüfungen durch.
Beim Wahlvolk scheint das alles und noch mehr nicht anzukommen. Die unabhängige Factchecking-Plattform Tsek.ph schlussfolgert, dass Marcos in den letzten Monaten der größte Gewinner von Desinformationskampagnen ist, während Konkurrentin Leni Robredo am deutlichsten verlor. Von mehr als 200 wahlbezogenen Posts in sozialen Medien sahen es 94 Prozent auf Robredo ab, nur zehn Prozent auf Marcos.
Für die laut Verfassung auf sechs Jahre begrenzte Amtszeit hat Marcos Junior „Preise und Jobs“ als seine Priorität angegeben. Tatsächlich ist die Inflation von zuletzt rund vier Prozent und die hohe Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung ein großes Problem. Wie er sich diesen Herausforderungen konkret stellen will, steht aber nicht im Fokus seiner Kampagne. Das Wichtigste scheint zu sein, dass wieder ein Marcos regiert. Und dann wird man sehen, ob die Verfassung nicht wieder ausgehebelt wird.