Die CDU wagt die Basisdemokratie

Mit großer Mehrheit stimmen die Kreisvorsitzenden dafür, die Mitglieder über den Parteichef abstimmen zu lassen.
Es ist eine Weile her, dass es so eine große Einmütigkeit gegeben hat in der CDU. Aber bei der Konferenz der Kreisvorsitzenden ist es so: „Die Mehrheit in der Stimmung dort im Saal war überwältigend“, sagt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Deutlich haben sich die mehr als 300 Basisvertreter:innen da gerade dafür ausgesprochen, den nächsten Parteivorsitzenden durch eine Mitgliederbefragung zu bestimmen. Einige wenige Gegenstimmen hat es nur gegeben. Es ist ein Votum für ein Novum, gegen das die scheidende Parteispitze einige Vorbehalte hatte. „Wir schlagen mit dem heutigen Tag ein neues Kapitel auf“, bestätigt Ziemiak.
Vorangegangen ist dem Umbruch die Niederlage bei der Bundestagswahl. Über deren Ursachen haben die Kreisvorsitzenden zunächst diskutiert – und die Liste war lang. Fehlende Geschlossenheit der Partei, die ewige Auseinandersetzung mit der CSU, mangelnder Rückhalt für Kanzlerkandidat Armin Laschet, zu wenig inhaltliche Schärfe bei Themen wie der Rentenpolitik, ein zu spät präsentiertes Zukunftsteam, zählt ein Kreisvorsitzender seine Kritikpunkte auf.
Wird Anfang 2022 gewählt?
Das Drängen auf eine Mitgliederbefragung ist ein Ergebnis daraus: „Wir müssen vermitteln, dass die Funktionäre nicht über die Köpfe der Basis hinweg entscheiden“, sagt der Freiburger Kreischef Bernhard Rotzinger.
Einzelne hätten versucht, sich auf der Konferenz dennoch gegen die Mitgliederbefragung zu stemmen, berichteten Teilnehmende. Sie hätten auf die Vorteile eines repräsentativen Systems verwiesen und vor einer Spaltung der Partei gewarnt. Der Landesverband Baden-Württemberg sei hierfür als Beispiel aufgeführt worden. Der hatte 2004 und 2014 den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl per Urwahl bestimmt – im Landesverband blieben über Jahre tiefe Risse. Auch der Aufwand für eine Mitgliederbefragung wurde angeführt: Eine lange Hängepartie könne sich die Partei nicht leisten, die neue Parteiführung müsse deutlich vor der Landtagswahl im Saarland im März stehen. Im Mai wird dann in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gewählt.
An der Parteizentrale ist es nun, diesen Prozess zu organisieren, an dessen Ende die Satzung der CDU auf jeden Fall eine Parteitagsabstimmung vorschreibt. Um den Abstand zu den Wahlen zu halten, müsste der Parteitag spätestens Anfang 2022 stattfinden. Die letzte Parteichefwahl wird dann gerade mal ein Jahr zurückliegen.
Schon vor dieser Entscheidung hatte es damals vor allem von Unterstützer:innen des CDU-Wirtschaftspolitikers Friedrich Merz in der Partei Rufe nach einer Mitgliederentscheidung gegeben. Merz, der sich damals nicht gegen Laschet durchsetzen konnte, gilt auch jetzt wieder als möglicher Kandidat. Er scheint sich darum zu bemühen, andere Interessenten für ein Team zu gewinnen. Der Parteivorstand, der am Dienstag tagt, solle „eine Mitgliederbefragung auf den Weg bringen, wenn es mehr als einen Kandidaten gibt“, sagte Merz der „Welt am Sonntag“. „In der Zwischenzeit sollten wir auch an einer einvernehmlichen Lösung arbeiten.“
Der Außenpolitiker Norbert Röttgen, dem ebenfalls eine erneute Kandidatur zugetraut wird, begrüßte die Entscheidung der Kreisvorsitzenden über Twitter: Er könne das Votum „gut nachvollziehen“. Als denkbare Kandidaten gelten auch der Vorsitzende des Unions-Wirtschaftsflügels, Carsten Linnemann, Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus und Gesundheitsminister Jens Spahn. Alle fünf Männer kommen aus Nordrhein-Westfalen.
Neben dem Bewerbungsverfahren muss die CDU nun sehr schnell klären, in welcher Form gewählt werden muss. Eine rein digitale Abstimmung dürfte ausscheiden. „Nicht alle unsere Mitglieder sind digital erreichbar“, sagt Kreischef Rotzinger.