1. Startseite
  2. Politik

Die Angst vorm Führer

Erstellt:

Von: Joachim F. Tornau

Kommentare

Neonazis überschlagen sich mit teils abstrusen Vorwürfen und Verteidigungen im Mordfall Yeboah. 1991 verbrannte der Ghanaer in Saarlouis bei einem Anschlag der Rechten.

Die Strategie ist in der Geschichte der Rechten nicht ohne Vorbild: „Der Führer“, sagte der Angeklagte, habe von nichts gewusst. Habe auch nichts erfahren dürfen, denn sonst wäre er sehr wütend geworden. Peter S., einstiger Aktivposten der neonazistischen Skinheadszene im Saarland, bemühte das aus der Hitler-Verehrung bekannte Narrativ, als er vor zwei Wochen den rassistischen Mord an Samuel Yeboah gestand. Der 27-Jährige aus Ghana war am 19. September 1991 beim Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis gestorben.

Seit einem halben Jahr wird S. der – sehr späte – Prozess vor dem Oberlandesgericht in Koblenz gemacht. Und auch wenn der 52-Jährige in seinem – ebenfalls späten – Geständnis die eigene Rolle herunterspielte und recht überraschend einen anderen, bislang nicht tatverdächtigen Mann zum Haupttäter erklärte, steht zumindest eines nun fest: Der tödliche Anschlag vor fast 32 Jahren war eine neonazistische Tat. Wovon die antifaschistische Zivilgesellschaft seit jeher überzeugt war, davon hatte die Stadt Saarlouis lange nichts hören wollen. Und die rechte Szene?

Die wusste nichts, behauptet S. Denn: Der unumstrittene Anführer der örtlichen Neonazis namens Peter St., der die braune Kameradschaft von Saarlouis „Horst Wessel – Saarlautern“ taufte, sei strikt gegen Brand- und Mordanschläge gewesen. Der angebliche Haupttäter Heiko S. und er hätten deshalb unbedingtes Stillschweigen bewahren müssen.

Was am Dienstag eine Zeugin erzählte, klang freilich ganz anders. Die 38-Jährige, die zu Beginn des Jahrtausends in der Szene aktiv war und zeitweilig mit dem Angeklagten liiert, berichtete von einer „lustigen Runde, feuchtfröhlich“ im Kreise der Kameraden. „Du kleiner Feuerteufel“, habe der Anführer da dem Angeklagten zugerufen. Und als sie nachgefragt habe, was das bedeuten solle, habe S. was von Brandanschlag gesagt. Dazu habe er hämisch gegrinst. „Man hat gemerkt, dass es ein bisschen Stolz erweckt“, sagte die Zeugin. Wie die anderen im Raum darauf reagiert hätten? „Da war Grinsen, da war Lachen.“

Bereits am Montag hatte Peter St. als Zeuge erscheinen müssen. Doch der 54-Jährige, anwaltlich unterstützt von Wolfgang Stahl, einst Verteidiger der NSU-Terroristin Beate Zschäpe, verweigerte die Aussage – weil sich niemand vor Gericht selbst belasten muss. Gegen den langjährigen Neonazi-Führer wird zwar nicht ermittelt. Die Bundesanwaltschaft zitiert ihn in ihrer Anklage gegen S. jedoch mit einem Satz, der von Anstiftung zum Mord nicht allzu weit entfernt scheint: Am Abend vor der Tat soll er mit Peter S. und Heiko S. in einer Kneipe über Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte geredet und verkündet haben, auch in Saarlouis müsste „mal so was brennen“.

Was Peter St. wohl gesagt hätte, wenn er es nicht vorgezogen hätte zu schweigen, war dann allerdings doch noch zu hören. Der Staatsschutzsenat spielte ein abgehörtes Telefonat ab, in dem St. in einem schier endlosen Monolog seine Unschuld und seine Ahnungslosigkeit beteuerte. „Ich war offener, bekennender Nationalsozialist, da mache ich gar kein Hehl draus“, sagte er. Jetzt aber habe er Angst, unschuldig eingesperrt zu werden. „Das ist Psychoterror!“ Am liebsten, behauptete er, würde er einfach zu seinem Freund Peter S. gehen, ihn packen und schütteln: „Wenn du es tatsächlich warst, ohne mein Wissen, dann wäre es jetzt Zeit, das zu sagen.“

Gerichtet war dieses Plädoyer in eigener Sache indes offenbar weniger an seinen Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung. Als Peter St. zum Verteidigungstelefonat ansetzte, ging er bereits davon aus, dass er abgehört wurde.

Wie er hätte auch der vom Angeklagten beschuldigte Heiko S. schweigen dürfen. Doch er redete. „Das ist gelogen“, konterte er die Vorwürfe von Peter S., als er in der vergangenen Woche in den Zeugenstand trat. Er sei – anders als seine beiden damaligen Gesinnungsgenossen – bereits Mitte der 90er Jahre ausgestiegen und habe deswegen als „Verräter“ und „linke Zecke“ gegolten. Weswegen ihm nun wohl der Mord in die Schuhe geschoben werden solle. Insbesondere vor Peter St. will er Angst gehabt haben, nicht nur nach seinem Ausstieg, sondern auch schon vorher, als der noch sein Anführer war. Niemals, widersprach er dem Angeklagten, hätte er es darum gewagt, irgendetwas gegen den Willen von Peter St. zu unternehmen.

Der Prozess läuft noch mindestens bis Ende August.

Auch interessant

Kommentare