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Die Ambivalenz im Aktivismus

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Von: Hadija Haruna-Oelker

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Prägt die Black-Lives-Matter-Bewegung auch nachhaltig unsere Sichtweise - wie hier diese Flagge? afp
Prägt die Black-Lives-Matter-Bewegung auch nachhaltig unsere Sichtweise - wie hier diese Flagge? © afp

Heute beginnen die „Internationalen Wochen gegen Rassismus“: Die Autorin und FR-Kolumnistin Hadija Haruna-Oelker über Frust, Müdigkeit und konstante Erwartungen.

Alle Jahre wieder internationale Wochen gegen Rassismus. Ein Anlass darüber zu schreiben und der Anlässe gibt es viele. Die Schlagwortsuche bei Google News zeigt es in Überschriften: „Vorwurf Rassismus: Diskussion über neue Pflichtlektüre für Baden-Württemberg-Abi.“ „Nach Rassismus-Vorwurf: Stadt will Gespräch mit Sicherheitsfirma.“ „Anti-Schwarzer Rassismus bei Karnevalsumzug.“ „Rechtsextreme in Uniform – Rassismus bei Polizei und Justiz.“ „Zwischen Zensur und Neuauflage: Wenn Kinderbücher aus der Zeit fallen.“ „Rassismus in Kliniken: Studie in Arbeit.“

Und in dieser Woche? Da werden sich die Seiten sicher mit versöhnlicheren Titeln füllen. Welche, die zum Handeln aufrufen. Schließlich sind ja jetzt auch die internationalen Wochen.

Bitte nicht missverstehen. Nichts gegen die Aktionstage. Im Gegenteil. Lange Zeit waren sie die einzige Zeit, um auf Rassismus öffentlich aufmerksam machen zu können. Ihre Geschichte geht auf eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen zurück, mit der die Mitgliedstaaten 1979 dazu aufgefordert wurden, mit einer jährlichen Woche Solidarität mit den Opfern und Gegner:innen von Rassismus zu zeigen. Der sarkastische Ton nur deshalb, weil er Frust und die Müdigkeit ausdrücken soll, weil für Betroffene dieses Thema nicht nur in dieser Woche eines ist.

Erfreulich ist aber, dass ich der Ambivalenz dieser Gefühle hier Platz machen kann. Unvorstellbar wäre das noch vor fünfzehn Jahren gewesen, als in Deutschland Rassismus kein Begriff war, auf den sich einfach bezogen werden konnte, als lieber derjenige der Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit bedient wurde. Was übrigens heute noch geschieht, um abzuschwächen, abzulenken oder die Realität auf Distanz zu halten.

Der Rassismus, der eigentlich aus unterschiedlichen Rassismen besteht, ist komplex. Er ist ein gesellschaftliches Problem, das sich durch seine Permanenz, Vielgestalt und Widersprüche auszeichnet. Deshalb ist es auch einfacher, extremistische Menschen dafür verantwortlich zu machen, obwohl er sich überall finden lässt: in unserem Denken, Handeln, den gesellschaftlichen Strukturen oder in der Sprache. Ja, und eigentlich müsste das alles längst klar sein. Spätestens seit der großen Rassismusdebatte 2020, die nach dem Tod von George Floyd in der Auseinandersetzung mit den Black-Lives-Matter-Protesten in Deutschland begann.

Sie rückte damals insbesondere den Anti-Schwarzen-Rassismus in den Fokus. Viele Wochen wurde er an prominenten Plätzen verhandelt und brachte denen Anerkennung, die sich seit Jahrzehnten dagegen wehren. Positive Bilanz lässt sich deshalb dahingehend ziehen, dass sich etwas im öffentlichen Bewusstsein verändert hat. Aber das genügt nicht, weil die Abwehr und der Widerstand mitwachsen - wie sich in der pünktlich zur Jahreswende entbrannten Integrationsdebatte gezeigt hat.

Eine Debatte, die der Politikwissenschaftler Carlo Masala als „nicht gut für die Zukunft dieses Landes“ befand, weil sie komplett aus dem Ruder gelaufen sei. Weil sie insbesondere junge Menschen verstörte. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani brachte es auf den Punkt: „Das Signal ist, selbst wenn ihr eingebürgert seid, selbst wenn ihr hier geboren seid, am Ende gucken wir uns noch mal euren Vornamen an.“

Was muss ich sein oder machen, damit ich als zugehörig gelte? Das fragen sich viele Heranwachsende mit heterogenen Biografien und all ihren Migrationshintergründen in x-ter Generation in Deutschland Lebende schon lange. Hybride Identitäten nennt sie die Wissenschaft. Verhandelt werden sie öffentlich, aber meist zwischen Framings von fremd oder bereichernd, in Kosten-Nutzen-Analysen.

Erinnert sei an die Jahre um 2010, als die populistische Frage aufkam, ob Deutschland sich abschafft. Die Debatte entfesselte die konservative Gemütslage mit einer „endlich darf wieder alles gesagt werden“-Mentalität. Das passierte, während marginalisierte Menschen noch darum rangen, Worte für ihre Erfahrungen zu finden, auf Anerkennung hofften.

Und jetzt, in progressiveren Zeiten als damals? Jetzt gibt es da eine jüngere Generation, die mehr über Rassismus weiß, die Begriffe und Erklärungen auch in ihrer englischen Definition kennt, weil der deutschen Sprache die Worte für all die Zusammenhänge fehlen. Die aber nun fassungslos erkennen muss, welcher Strategie die Polemik von Politiker:innen folgt, die rassistische Stereotype für ihren Erfolg nutzen.

Der britische Soziologe Stuart Hall erklärte einmal, dass der Rassismus nicht nur als Ideologie, sondern auch als Praxis staatlicher Politik verstanden werden sollte. Eine Praxis, die heute körperliche, kulturelle oder religiöse Merkmale von Menschen zur Grundlage macht, um sie zu klassifizieren, zu hierarchisieren und abzustufen. Die sie in Kategorien packt, um beispielsweise Schwarze und muslimisch gelesene Menschen, Frauen mit Kopftuch oder sogenannte „Nordafrikaner“ zu bewerten. Und das, obwohl unklar ist, wie sich diese Zugehörigkeit äußerlich eigentlich feststellen lässt, weil Menschen ihre Staatsbürgerschaft nicht angesehen werden kann.

Zu Person und Thema

Die „Wochen gegen Rassismus“ sind eine bundesweite Aktion für Solidarität mit den Gegner:innen sowie den Opfern von Fremdenfeindlichkeit und Hass. Sie finden jährlich rund um den 21. März, dem „Internationalen Tag gegen Rassismus“, statt. In diesem Jahr lautet das Motto „Misch Dich ein!“. Weitere Informationen gibt es online unter: www.stiftung-gegen-rassismus.de

Hadija Haruna-Oelker ist Politikwissenschaftlerin, Autorin, Moderatorin und FR-Kolumnistin. Jüngst erschien ihr Buch „Die Schönheit der Differenz – Miteinander anders denken“ im btb Verlag. osk

Kurz erinnert sei an das Wiederaufleben der alten Stereotype des vermeintlich kriminellen Ausländers in Folge der Debatte um die Silvesternacht von Köln 2015. Sie geschah, während das Land Schutz suchende, geflüchtete Menschen aufnahm, um die sogenannte Willkommenskultur zu diffamieren. Die Vorstellungen über die vermeintlich Anderen leben fort. Und damit bleibt Rassismus ein Werkzeug, um bestimmte Menschen auszuschließen: sozial, politisch und ökonomisch.

Deshalb ist „entgleist“ auch ein zu harmloses Wort für das, was nach der Jahreswende passierte. Es hat sich gezeigt, dass ein Rassismus sich nicht abschaffen lässt, nur weil man seine Existenz inzwischen anerkennt. Dass das nur ein erster Schritt sein kann. Zumal weiterhin Gewalt geschieht. Auch sie hat Kontinuität und ruft dazu auf, die Vergangenheit zu reflektieren. Oder wie es der deutsche Historiker Patrice Ghandi Poutrus kürzlich in der Aufzeichnung des Podcasts „Trauer und Turnschuh“ erklärte, dass es nicht darum gehe, eine neue Geschichte zu schreiben, sondern eine Situation zu schaffen, in der die unterschiedlichen Geschichten, die Menschen über die Vergangenheit erzählen, miteinander in Beziehung gesetzt werden.

Genauso müsste die Geschichte des Rassismus in Deutschland, West wie Ost, fortan erzählt und bearbeitet werden. Es müsste ein Aufarbeiten sein, kein Reagieren auf immer wieder neue und ähnlich schlimme Ereignisse. Ermüdend wirkt die x-te Debatte um Rassismus in der Sprache, um Schulbücher oder Kinderfilme oder die immer wiederkehrende Frage, was man noch darf oder angeblich nicht mehr. Es braucht mehr Hintergrundwissen und ein anderes Erinnern. Ein Handeln, das das Wissen und die Vorschläge derer in den Blick rückt, die sich eine „Einheit der Vielheiten“ wünschen. Es braucht ein differenzierteres Verstehen derjenigen, die Widerstand leisten und sich nicht erlauben, müde zu werden.

Wie zum Beispiel die Angehörigen und Unterstützenden der Opfer des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau, die sich ein Mahnmal an einem zentralen Ort wünschen, damit niemand vergessen oder das Thema in den Abstellraum schieben kann. Die den Fall seit drei Jahren aktiv aufarbeiten und der Frage nachgehen, wie die Ermordeten vor dem Tod hätten bewahrt werden können.

Eines der Opfer, Ferhat Unvar, war 23 Jahre alt, als er aufgrund seiner Schussverletzungen am 19. Februar 2020 starb. „Ich brenne!“, sollen seine letzten Worte gewesen sein. Es ist ein Bild, das sich auf diejenigen übertragen lässt, die weiterleben. Auch ihr Schmerz brennt.

Es sind viele, die die Verhältnisse, die sie töten, nicht hinnehmen wollen, wie es die Autorin Asal Dardan kürzlich in einem Instagram-Post zum dritten Gedenktag der Tat über die Angehörigen schrieb. „Ihr Kampf ist ein gesellschaftlicher Kampf. Ein Kampf für uns alle.“ Ein Kampf, stetig begleitet von Angst und Abwehr. Ein Streiten, in dem Widerständige gerne vereinheitlicht werden - ohne Rücksicht auf die Komplexität ihrer unterschiedlichen Leben.

Das zeigt sich beispielsweise im Sprechen über die sogenannten Opferfamilien, bei denen oft vergessen wird, dass ihre Biografien vor der Kulisse unserer Migrationsgesellschaft verschieden sind. Die geprägt sind von ihren sozialen Hintergründen, den Zeiten und den Orten, an denen sie geboren wurden und aufgewachsen sind. Die schon vor dem Tod ihrer Angehörigen viel erlebt, oft erduldet haben. Die nach dem Anschlag verschiedene Wünsche und Forderungen formulieren und vor ungleichen Herausforderungen stehen. Die ihre Verluste unterschiedlich verarbeiten und dabei unterschiedlich behandelt werden, die bedroht werden und sich keine Fehler leisten dürfen, wenn sie öffentlich sprechen.

Es wird viel von ihnen erwartet, und sie stellen hohe Erwartungen an sich selbst. Der stetige Druck bei wenig äußerer, politischer Veränderung ist nur ein Grund für die Wut, die manchen nicht verständlich ist. Vielleicht auch, weil sie schwer zu ertragen ist. Und ja, es muss irgendwie weitergehen, aber die Frage ist: Wie?

Und so sollte es in diesen Wochen gegen Rassismus um mehr als die Alltagserfahrungen mit Rassismus gehen, die der Historiker Ibram X. Kendi zurecht „rassistische Angriffe“ nennt, weil sie allein schon nicht harmlos sind. Erfahrungen, die sich mit so vielen Formen der Unterdrückung verweben und überlappen – mit der Abwertung jüdischer, queerer oder behinderter Menschen, die oft misogyne Züge trägt. All das zwingt so viele hierzulande, sich ständig erklären zu müssen und Vorannahmen und Vorurteile über sie richtigzustellen.

Was nicht heißt, dass alle Menschen das für sich und andere tun oder die eigenen Erfahrungen aufarbeiten können oder wollen. Nicht alle erkennen, sehen und fühlen die Ausgrenzung, die sie erleben, oder nehmen sie als solche wahr. Auch wollen nicht alle marginalisierten Menschen über ihre Erfahrungen sprechen, Expert:innen sein oder Bücher schreiben.

Aber es gibt diejenigen unter ihnen, die um all das, was ich hier angerissen habe, wissen und immer wieder neue Formen finden, sich auszudrücken und dagegenzuhalten – auch in diesen internationalen Wochen jetzt. Die beharrlich sind, weil Gegenwart und Vergangenheit auszublenden Heilung verhindert und den Hass weiter wachsen lässt. „Das Sichere ist nicht sicher“, schrieb es einst Bertolt Brecht. Und diese Wahrheit gilt weiterhin.

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