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„Dialog braucht Raum ohne Raketendonner“

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Von: Bascha Mika

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Rettungssanitäterinnen und -sanitäter holen in Lwiw einen Schwerverletzten aus einem Lazarettzug von der Front. YURIY DYACHYSHYN/AFP
Rettungssanitäterinnen und -sanitäter holen in Lwiw einen Schwerverletzten aus einem Lazarettzug von der Front. YURIY DYACHYSHYN/AFP © YURIY DYACHYSHYN/AFP

Friedensforscherin Corinna Hauswedell spricht mit Bascha Mika über Putin, ihre Unterschrif bei Wagenknecht und Wege aus dem Krieg.

Frau Hauswedell, wie geht es einer Friedensforscherin in Zeiten des Krieges?

Soll ich es drastisch sagen? Beschissen! Seit Beginn des Angriffskrieges bin ich in einem Zustand, den ich in meinem persönlichen, aber vor allem professionellen Leben bisher nicht kannte. Die Vision einer Friedensordnung, wie ich sie für möglich gehalten habe, ist völlig kaputt. Es fühlt sich manchmal wie ein Höllenritt an. Immerhin hilft es, dass meine Meinung als Friedensforscherin gefragt ist und ich im Diskurs mitwirken kann.

Der Pazifismus ist derzeit „ausgemustert, aber unverzichtbar“, schrieben Sie kürzlich. Pazifismus ist für Sie was?

Als Historikerin, aber auch als Friedensaktivistin der 80er Jahre hat der Pazifismus für mich einen Doppelcharakter aus Ethos und Wissenschaft. Die ethische Seite speist sich aus der historisch gewachsenen moralischen Empörung, dass Krieg das Schlimmste ist, was Menschen Menschen antun können. Die wissenschaftliche Seite untersucht die tieferliegenden Ursachen von Gewaltkonflikten. Und stützt sich auf die Erkenntnis, dass der Einsatz von Waffen und Militär zu Dynamiken führt, die sich zum Teil hinter dem Rücken der Menschen vollziehen und so Kriege und Gewaltkonflikte antreiben.

In der Debatte zum Ukrainekrieg hat der Pazifismus einen schweren Stand. Warum eigentlich?

Einen schweren Stand hat er immer, wenn Frieden in Gesellschaften oder zwischen Staaten zerbricht. Was nicht unbedingt heißt, dass pazifistische Positionen auch denunziert werden. Doch was wir gerade erleben, ist eine Diskreditierung des Pazifismus verbunden mit der Dominanz eines militärisch geprägten Sicherheitsdiskurses ...

... und eine unerträgliche Rechthaberei bei all den kalten Kriegern in Politik und Medien ...

... aber durchaus auch bei den Gegenspielern. Der moralische Anspruch, auf der besseren Seite der Geschichte zu stehen, ist eines der zentralen Probleme im gegenwärtigen Diskurs. Diese Haltung zeigt sich ganz oben im Außenministerium ebenso wie in der Zivilgesellschaft. Wenn es zur Kontroverse kommt, wird die andere Seite stets als die weniger gute abqualifiziert. Würden wir akzeptieren, dass dieser Krieg bei uns allen eine ungeheure Erschütterung ausgelöst hat, wären die öffentlichen Debatten vielleicht weniger vergiftet.

Rund die Hälfte der Bevölkerung steht den Waffenlieferungen an die Ukraine kritisch gegenüber. Warum gibt es dennoch keine breite Friedensbewegung?

In den 80er Jahren, einer Hochzeit der Friedensbewegung, richtete sich der Protest unmittelbar gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen. Zudem war die Bundesrepublik direkt betroffen, denn hier sollte die atomare Aufrüstung stattfinden. Der Krieg in der Ukraine und die geopolitische Gemengelage heute ist sehr viel komplexer. Deshalb glaube ich nicht, dass eine Mobilisierung wie in den 80er Jahren möglich ist.

Wie würden Sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse der pazifistischen Forschung im Blick auf den Ukrainekrieg ausbuchstabieren?

Wie bei vielen anderen Gewaltkonflikten hat auch dieser Angriffskrieg seine Ursachen und eine Vorgeschichte der verpassten Chancen für einen neuen europäischen Frieden nach dem Kalten Krieg. Ich habe lange über den Nordirland-Konflikt gearbeitet. Im Rückblick sieht der klein aus gegenüber dem, was wir gegenwärtig erleben. Aber strukturell ist vieles vergleichbar. Nicht zuletzt, dass wir ein großes, (post-)imperiales Land im Konflikt mit einem kleineren erleben, dem bereits blutige Auseinandersetzungen und bürgerkriegsähnliche Kämpfe vorausgegangen sind.

Und welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Dass aus meinem Mitgefühl für die Opfer nicht folgen kann, militärisch für sie Partei zu ergreifen. Meine Sympathien für die Katholiken in Nordirland bedeuteten nicht, die Bewaffnung der IRA zu befürworten. Als Außenstehende sind wir gut beraten, das Spiel nicht mitzuspielen, das der Konflikt vorgibt ...

... was wir mit Waffenlieferungen an die Ukraine tun? Obwohl das Land Opfer der russischen Aggression ist?

Dass Putin der brutale Aggressor und die Ukraine das Opfer ist, steht zweifellos fest. Dennoch bedeutet die Lieferung von Panzern und erst recht die von Kampfflugzeugen eine weitere Eskalation des Krieges. Deshalb sollten wir das nicht tun. Als Kennerin von Dynamiken, die durch Waffen ausgelöst werden, kann ich nur sagen: Kampfjets markieren eine neue Qualität. Sie überfliegen sozusagen die ohnehin problematische Grauzone zwischen Defensive und Offensive.

Dennoch wollen Polen und die Slowakei Kampfflugzeuge an die Ukraine liefern ...

... während die Rand Corporation – ein einflussreicher US-Thinktank – jetzt für Waffenstillstand und Verhandlungen plädiert. Für mich überschreitet es auch eine Grenze, dass Rheinmetall plant, ein Panzerwerk in der Ukraine zu bauen, damit die deutsche Rüstungsindustrie dort Waffen produzieren kann. Dieter Senghaas, einer der Urväter der deutschen Friedensforschung, hat bereits in den 1970er Jahren beschrieben, wie Rüstungsgüter und -exporte eine Art „Autismus“ entwickeln, der auf ihren Einsatz drängt.

Heißt das, wir sollten Kiew überhaupt keine Waffen mehr geben? Dann wäre das Land der russischen Soldateska ausgeliefert.

Meine Kritik richtet sich vor allem gegen weitere Waffen, die wir auf Wunsch der Ukraine noch liefern sollen. Mir geht es um die Gefahr der Eskalation, aber auch um die den Waffen inhärente Eigendynamik. Die betrifft nicht nur das Schlachtfeld, sondern auch den Diskurs in den beteiligten Gesellschaften. Denn der fokussiert sich dann fast nur noch auf die militärischen Optionen, anstatt Verhandlungswege auszuloten.

Offenbar sind Sie voll auf Linie mit dem Wagenknecht/Schwarzer-Papier, das einen sofortigen Stopp aller Lieferungen fordert.

Zu Person & Thema

Corinna Hauswedell ist Historikerin und war von 2000 bis 2017 Mitherausgeberin des Friedensgutachtens, dem Jahrbuch der vier führenden deutschen Institute für Friedens- und Konfliktforschung. Als Vorsitzende der Blätter-Gesellschaft gibt sie seit 2010 die monatlichen „Blätter für deutsche und internationale Politik“ mit heraus. Dort erschien von ihr im Februar „Ausgemustert, aber unverzichtbar: Pazifismus in Zeiten des Krieges“.

Polen und die Slowakei liefern der Ukraine 16 Kampfjets vom russischen Typ MiG-29. Weitere MiG würden derzeit gewartet und für den Transfer vorbereitet, verlautbarte Präsident Andrzej Duda. Für Hauswedell markiert das eine gefährliche „neue Qualität“. mik/dpa imago images

Ich habe das Manifest, trotz vieler inhaltlicher Schwächen, unterzeichnet. Vor allem, um ein Zeichen gegen die Militärlastigkeit der öffentlichen Debatte zu setzen. Und ich finde es unsäglich, wenn dann mir und anderen unterstellt wird, wir wären nicht solidarisch mit der Ukraine. Solidarität muss keine Waffenlieferungen einschließen. Hilfe für Geflüchtete, Unterstützung ziviler Dienste in der Ukraine, Wiederaufbauhilfe – ist das alles nichts?

Sie haben als Friedensforscherin tatsächlich ein Papier unterschrieben, das den Aggressor nicht klar benennt?

Sagen Sie! Für mich war wichtig, dass der Diskurs auf eine andere Ebene gebracht wird. Man kann sich auch in eine Solidarität hineinreden, die den Heroismus des Kämpfens feiert. Für die ukrainische Führung ist das verständlich, aber sicher keine gute Voraussetzung, um den Krieg irgendwann zu beenden. Doch genau das muss das Ziel sein. Nicht gewinnen oder verlieren, sondern die Beendigung dieses Krieges! Das steht im Zentrum des Aufrufs, deshalb habe ich ihn unterstützt.

Glauben Sie wirklich, dass dieses Manifest den friedenspolitischen Anliegen hilft?

Das Papier repräsentiert nicht alle, die es potenziell repräsentieren könnte. Deshalb habe ich auch meine Zweifel, ob wir hier den Beginn einer neuen Bewegung sehen. Allerdings glaube ich auch nicht, dass das Manifest der Friedenspolitik einen schlechten Dienst erweist. Es ist eine relevante Stimme. Und wir müssen aufpassen, nicht jeden zu diskreditieren, der einen anderen Blick auf diesen Krieg hat.

Heißt „den Krieg beenden“, dass er unter allen Umständen beendet werden sollte? Selbst wenn Putin auf der Krim und dem Donbass als Kriegsbeute besteht?

Was Putin sagen wird und worauf sich Selenskyj einlassen würde, kann im Moment niemand voraussehen. Wie in Zukunft mit den besetzten Landesteilen umzugehen ist, wird Gegenstand von Verhandlungen sein. Was dabei herauskommt – keine Ahnung. Als Vorbedingung für Verhandlungen braucht es allerdings einen temporären Gewaltverzicht und einige Offenheit. Die schwierige Aufgabe besteht dann darin, am Verhandlungstisch eine gewisse „Opfer-Täter-Symmetrie“ herzustellen, wie mein Kollege Günther Baechler sagt. Das hört sich angesichts des Ukrainekriegs zwar unvorstellbar an ...

... allerdings ...

... wird aber dennoch nötig sein. Die andere Alternative ist nur, auf einen Sieg auf dem Schlachtfeld zu hoffen. Und das ist keine Alternative! Denn bis zu diesem Punkt wird der Krieg unglaublich viele Opfer kosten und die ganze Welt ein Pulverfass sein. Die Kämpfe der letzten Wochen erinnern an die Schützengräben des Ersten Weltkriegs ...

... wie in Verdun ...

Ja natürlich! Das Wort Abnutzungskrieg ist semantisch eine scheußliche Verharmlosung des massenhaften Tötens von Menschen, es ist aber auch die Beschreibung einer zunehmenden militärischen Pattsituation mit Chancen für einen Verhandlungsbeginn. Gerade weil der Westen die Ukraine unterstützt hat – was ich auch irgendwie richtig fand –, muss er sich doch zum jetzigen Zeitpunkt fragen: Wie weiter von hier? Werden die Schützengräben noch fünf oder zehn Jahre bleiben? Wollen wir uns das wirklich vorstellen? Oder wollen wir da raus? Ich bestehe als Friedensforscherin darauf, dass wir von einem möglichen Ende her denken.

Und was würde zur Deeskalation beitragen?

Wie Herfried Münkler glaube ich, dass wir den Charakter dieses Krieges verstehen müssen, wenn wir das Ziel haben, ihn zu beenden. Hier hängt ja nicht nur die bitter, bitter verletzte Ukraine drin, sondern auch die gesamte Welt-(Friedens)Ordnung. Der Absturz einer US-Drohne über dem Schwarzen Meer jüngst und die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Russland und den USA illustrieren das Ausmaß der Risiken weiterer Eskalation: Es ist ein hybrider, zwischenstaatlicher Krieg mit einer sehr starken geopolitischen Komponente. Diese Komponente macht es wahnsinnig kompliziert, den Kriegsverlauf objektiv zu beurteilen, erst recht, Friedensstrategien und -akteure zu identifizieren. Aber umso dringlicher ist es ...

... die Frage zu beantworten, wie die Gewalt beendet werden kann.

Ja, aus pazifistischer Sicht müssen wir einen Konflikt immer von einer möglichen Friedenslösung aus betrachten und nicht nur auf den Kriegsverlauf schauen. Und das heißt auch, dass ab einem bestimmten Punkt alle an den Tisch müssen, die vermeintlich „Guten“ sowie die „Bösen“ – auch das eine Lehre aus anderen Konflikten.

Wer Verhandlungen fordert, dem wird gern das Münchner Abkommen von 1938 entgegengehalten. Tenor: Putin ist gleich Hitler, Verhandlungen würde er nur zur weiteren Aufrüstung nutzen.

Der Vergleich hinkt, denn das Münchner Abkommen wurde vor dem Überfall Hitlers auf Polen geschlossen. Aber klar kann es passieren, dass Russland in einer fragilen, waffenstillstandsähnlichen Situation wieder aufrüstet. Das ist bei Waffenstillständen fast immer so. Dennoch darf man deshalb nicht darauf verzichten, auf eine Waffenruhe zu drängen; Dialog braucht Raum ohne Raketendonner.

Wer sollte denn drängen?

Putin geht es gegenwärtig nicht um die Beendigung des Krieges, Selenskyj aber auch nicht. Wenn das so ist, müssen andere dafür sorgen. Die UN sollten Räume bereitstellen, in denen das globale Interesse an gemeinsamer Sicherheit signalisiert werden kann. Die Initiativen von China, Indien, Brasilien müssen ernster geprüft werden. Zunächst muss es um die Vorstufe zu Verhandlungen gehen, um „Talks about Talks“, in denen Gesprächsinhalte abgesteckt werden. Es gibt ja bereits Gespräche der beiden schwer verfeindeten Parteien – über Getreideabkommen zum Beispiel oder Gefangenenaustausch, also Themen von internationalem und gegenseitigem Interesse.

Man muss den Frieden „herbeiarbeiten“, haben Sie einmal geschrieben ...

Genau! Wir reden ja nicht von einem Wolkenkuckucksheim. Ein Frieden zwischen der Ukraine und Russland wird über Jahrzehnte instabil bleiben. Frieden ist ein Prozess und ganz, ganz viel Arbeit.

Corinna Hauswedell.
Corinna Hauswedell. © Metodi Popow/Imago

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