Deutsche Politiker werfen Moskau Eskalation vor

Die grüne Europapolitikerin Rebecca Harms fordert eine Nato-Präsenz im Schwarzen Meer, Bundesaußenminister Heiko Maas will im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vermitteln.
Am Sonntag, als sich die Nachrichten von der Blockade in der Meerenge von Kertsch mehren, ist Rebecca Harms in Kiew. Die Grünen-Europapolitikerin hält sich da schon seit vier Tagen in der ukrainischen Hauptstadt auf. Sie nahm an Gedenkveranstaltungen zum 85. Jahrestag der großen, von Stalin übers Land gebrachten Hungersnot teil. Und sie traf Krim-Tataren, um mit ihnen über die Repressionen zu sprechen, die sie unter den neuen Machthabern auf der von Russland annektierten Halbinsel zu erleiden haben. Am Montag holt der Ukraine-Konflikt sie einmal mehr ein: Harms verschickt E-Mails zum neuesten Stand der Ereignisse, sie twittert und schreibt darin die EU-Außenbeauftragte und den deutschen Außenminister direkt an – aus Sorge, der Westen bekomme von der Konfrontation im Osten nichts mit.
„Wir im Westen neigen dazu, Russlands Bereitschaft zur Eskalation zur unterschätzen. Wir sollten es jetzt nicht bloß bei Kritik belassen“, sagt Harms am Telefon. Oberstes Ziel sei Deeskalation, so Harms – dafür aber brauche es jetzt ein entschlossenes Vorgehen. „Der Nato-Russland-Rat muss sofort tagen“, fordert sie. Und: „Die Nato muss eine Präsenz im Schwarzen Meer in Erwägung ziehen, denn die Militarisierung der Schwarzmeer-Region ist ein Sicherheitsrisiko für die gesamte Region und ihre Nato-Staaten.“
Tatsächlich kommt bereits am Montagnachmittag die Nato-Ukraine-Kommission zu einer Sondersitzung zusammen – auf Bitten des ukrainischen Präsidenten, teilte das Militärbündnis mit. Es ging um die aktuelle Situation, heißt es, das Treffen sei vor allem als Symbol der Unterstützung einberufen worden. Dass sich die Nato direkt in den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland einschaltet, gilt als ausgeschlossen, da die Ukraine nicht Mitglied des Verteidigungsbündnisses ist.
Die Grünen-Europaabgeordnete Harms sieht deshalb auch Europa am Zug: „Die EU muss bereit sein zu weiteren Sanktionen.“ Von der Bundesregierung erwartet sie, dass sie den Bau den Ostsee-Gaspipeline Nordstream 2 einstellt. „Nordstream2 darf von Deutschland nicht weiterverfolgt werden. Offensichtlich hat deutsches Business-as-usual keinen guten Einfluss auf Putin.“
Die Bundesregierung ruft am Montag zunächst zu Zurückhaltung und Deeskalation auf. „Die Entwicklungen rund um das Asowsche Meer sind sehr besorgniserregend“, erklärte Außenminister Heiko Maas (SPD), rügt aber vor allem Moskau: „Es ist nicht akzeptabel, dass es dort eine Blockade durch Russland gibt. Wir rufen beide Seiten zur Deeskalation auf.“ Kurze Zeit später schlägt Maas deutsch-französische Vermittlungen vor.
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), beobachtet die jüngste Zuspitzung mit Sorge: „Der Vorfall zeigt, dass weitere Eskalationen im Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine jederzeit möglich sind“, sagt er. „Angesichts der allgemeinen Nervosität in der Welt kann ein lokaler Konflikt wie dieser schnell unbeabsichtigte Folgen haben, außer Kontrolle geraten und weltweit ausstrahlen.“ Röttgen sieht die Verantwortung für die seit Monaten schwelende Konfrontation im Asowschen Meer ebenfalls bei Moskau: „Russland reklamiert entgegen der Rechtslage und unter Verletzung der ukrainischen Souveränität für sich den Zugang zum Asowschen Meer und setzt diesen Anspruch auch faktisch durch. Damit beeinträchtigt Russland eine bedeutsame Lebensader der ukrainischen Wirtschaft: den Hafen von Mariupol“, erläutert Röttgen. Für die jüngste Konfrontation in der Meerenge von Kertsch habe es keinen Grund gegeben: „Viele Hintergründe des Vorfalls sind noch unklar, fest steht aber: Das vorsätzliche Rammen des ukrainischen Schleppers war nicht nötig, und der Beschuss ukrainischer Soldaten war nicht gerechtfertigt.“
Dennoch rief der CDU-Außenpolitiker die Regierung in Kiew zur Zurückhaltung: „Gerade weil die Ukraine im Konflikt um das Asowsche Meer im Recht ist, muss die ukrainische Regierung alles unterlassen, was den Eindruck erweckt, dass sie diesen Konflikt zu innenpolitischen Zwecken ausnutzt. Erst recht sollte sie darauf verzichten, geltendes Recht außer Kraft zu setzen, etwa durch die Ausrufung von Kriegsrecht.“ Doch genau das tat Poroschenko am Montagnachmittag.
Harms hatte schon vor knapp zwei Monaten auf das mögliche Problem der Straße von Kertsch hingewiesen. Die Weltgemeinschaft habe bisher aber zu zaghaft reagiert. Die Blockade im Asowschen Meer stellt für sie eine neue Stufe der Eskalation dar. „Bisher leugnet Russland ja jede direkte Beteiligung an der Aggression im Donbass. In der Meerenge aber schoss die russische Kriegsmarine mit russischer Beflaggung auf Schiffe der Ukraine.“
Die Linke rief beide Seiten auf, die Spannungen beizulegen: „Jede weitere Eskalation ist brandgefährlich“, teilte Fraktionschef Dietmar Bartsch.