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Der Sonnenstecker für Balkonien

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Von: Joachim Wille

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Geht doch: Balkonkraftwerk an einem Mehrfamilienhaus in Düsseldorf.
Geht doch: Balkonkraftwerk an einem Mehrfamilienhaus in Düsseldorf. © IMAGO/Robert Poorten

Mini-Photovoltaik kann einiges klimatisch verbessern – die Technik dafür steht schon bereit.

Das Interesse an Solarenergie ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs und damit der Energiekrise stark gestiegen. 2022 wurde in Deutschland mit 7,2 Gigawatt fast so viel Photovoltaik-Kapazität hinzugebaut wie in den Rekordjahren 2010 bis 2012. Bei den Privatleuten sind Eigenheimbesitzer:innen im Vorteil, doch auch Mieter:innen können mit den sogenannten Balkon-Solaranlagen selbst aktiv werden. Verbraucherschutz-Organisationen fordern nun, die Installation dieser Geräte deutlich zu vereinfachen, um den Umstieg auf Ökostrom zu erleichtern und Stromkosten zu senken.

Die „Steckersolargeräte“ boomen seit einigen Jahren. Sie bestehen aus ein oder zwei Solarmodulen und einem Wechselrichter, der aus dem Gleichstrom der Module 230-Volt-Wechselstrom macht, der ins Hausnetz eingespeist werden kann. Kleinere Stromverbraucher im Haushalt, wie Kühlschrank, Radio oder Laptop, können damit tagsüber klimafreundlich versorgt werden. Aktuell wird die Zahl der Balkonanlagen von Fachleuten wie dem Betreiber der Online-Plattform „machdeinenstrom.de“, Christian Ofenheusle, auf mindestens 600 000 geschätzt, wobei die Nachfrage seit Frühjahr 2022 durch den Krieg drastisch gestiegen ist. Ofenheusle sagte der FR: „Bis Ende 2023 könnten rund eine Million erreicht werden“.

Steckeranlagen zu installieren, ist einfach – die konkrete Umsetzung bislang durch Vorgaben von Behörden und Netzbetreibern aber oft umständlich. So muss ein neues Gerät nicht nur beim lokalen Netzbetreiber, sondern auch bei der Bundesnetzagentur in deren „Marktstammdatenregister“ eingetragen werden. Da beide Anmeldungen fast gleiche Daten enthalten, solle mindestens eine davon entfallen, fordert jetzt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Beim einzelnen Solarmodul mit nur begrenzter Leistung sei sogar ein vollständiger Verzicht auf Anmeldung oder zumindest eine Vereinfachung dabei sinnvoll. In anderen EU-Ländern, etwa den Niederlanden, können Anlagen bis 800 Watt ganz offiziell ohne Anmeldung betrieben werden.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Verwendung eines normalen Schukosteckers zum Anschluss der Balkonanlage ans Hausnetz. Einige Netzbetreiber fordern noch immer den Einbau einer Spezial-Steckdose für die Einspeisung, bekannt auch als „Wieland-Steckdose“. Ein Großteil der bisher installierten Balkonanlagen wird allerdings per Schukostecker betrieben, ohne dass Probleme in nennenswerter Zahl auftraten.

Die Verbraucherzentrale kritisiert: Die Wieland-Vorschrift sei nicht „nachvollziehbar, denn der Einbau einer speziellen Einspeisesteckdose ist aufwendig, teuer und teils sogar ein Spießrutenlauf, weil viele Elektriker derzeit gar keine Zeit für diese kleinen Aufträge haben“. Das führe zu Frust und dem gefährlichen Gefühl, durch solche Regelungen gegängelt zu werden. Bemerkenswert ist, dass unlängst auch die Bundesnetzagentur und der Vorstand der Technik-Organisation VDE die Freigabe des Schukosteckers zur Einspeisung befürwortet haben.

Der Vorstand der Verbraucherzentrale, Wolfgang Schuldzinski, warnt, es bestehe akuter Handlungsbedarf, damit sich möglichst viele Menschen an der Energiewende beteiligen könnten. „Da werden überflüssige bürokratische Hürden aufgebaut, die einen schnelleren Energieumbau verhindern.“ Der Gesetzgeber solle zeitnah für einheitliche Rahmenbedingungen sorgen – bei den Anmeldeformalitäten genauso wie bei den technischen Voraussetzungen.

DIE TECHNIK & DAS GELD

Balkonsolaranlagen bestehen aus mehreren Komponenten: ein bis zwei Module mit Nennleistung von je 300 bis 400 Watt, ein Wechselrichter mit maximal 600 Watt Anschlussleistung, der entweder ins Solarmodul integriert oder separat befestigt ist, sowie ein Anschlusskabel, das vom Wechselrichter zu einer geeigneten Außensteckdose führt. Die Gesamtpreise bewegen sich derzeit je nach Leistung zwischen 400 Euro und 1000 Euro.

Die Amortisierung einer Balkonanlage hängt von ihrer Ausrichtung zur Sonne, Neigungswinkel, Höhe des Verbrauchs tagsüber und Netzstrom-Preis ab. Eine Anlage für 800 Euro würde sich dann nach etwa fünf Jahren rechnen. Die CO2-Einsparung beträgt rund 0,4 Tonnen pro Jahr. jw

Ähnlich argumentiert die NGO „Klimaschutz im Bundestag“ (KiB), die bei Bundestagsmitgliedern Druck für Maßnahmen zur Einhaltung des 1,5-Grad-Limits der Erderwärmung machen will. Der Verein hält zehn Millionen Balkonanlagen bis 2030 für möglich. Dazu müsse die Politik die bürokratischen Hürden bei der Netzbetreiber-Anmeldung und der Registrierung im „Marktstammdatenregister“ beseitigen.

Diese könnten auch ganz wegfallen, schließlich müssten viel Strom ziehende Wasserkocher oder E-Herde auch nicht gesondert registriert werden, argumentiert KiB. Weitere Forderung: Die maximale Wechselrichter-Leistung solle von bisher 600 auf 800 Watt erhöht werden, wie das per EU-Richtlinie vorgesehen sei und etwa in Österreich auch praktiziert werde.

Die Chancen, dass die Forderungen von der Ampel-Bundesregierung umgesetzt werden, haben sich verbessert. In dem vom Wirtschaftsministerium im März vorgelegten Entwurf für eine neue „Photovoltaik-Strategie“ werden Punkte wie „Meldepflichten vereinfachen oder streichen“ sowie „Schukostecker als ,Energiesteckvorrichtung‘ ebenfalls zulassen“ immerhin als „nächste Schritte“ genannt.

Da finden sich auch eine Anhebung der 600-Watt-Grenze sowie eine Aufnahme der Balkonanlagen als privilegierte Modernisierungen ins Wohnungseigentumsgesetz sowie ins Bürgerlichen Gesetzbuch. Letzteres würde klarstellen, dass Wohnungseigentümer:innen und Mieter:innen die Installation der Steckeranlagen nicht mehr verwehrt werden kann. Zuständig ist hierfür allerdings nicht das Haus von Robert Habeck (Grüne), sondern das von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Und er ist einer entsprechenden Forderung, die auch von den Länder-Justizminister:innen aufgestellt wurde, noch nicht nachgekommen.

Was von den Pro-Balkon-Initiativen tatsächlich umgesetzt werden kann, wird man wohl auf dem zweiten „Solargipfel“ erfahren, zu dem Habeck für den 3. Mai eingeladen hat.

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