Der Fall Oury Jalloh wechselt auf die europäische Ebene

Das Bundesverfassungsgericht sieht keine Notwendigkeit, die Ermittlungen zu dem Brandtod wieder aufzunehmen. Kritik von der Initiative Oury Jalloh und der Recherchegruppe „Forensic Architecture“
Ermittlungen zum Fall des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh wurden eingestellt und müssen laut Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Donnerstag auch nicht wieder aufgenommen werden: Die zuständigen Strafermittlungsbehörden hätten umfassend ermittelt, insbesondere habe die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg „sämtliche bisher geführten Ermittlungen eingehend auf etwaige Widersprüche oder Lücken untersucht und geprüft“, ob sich über den bisherigen Ermittlungsstand hinaus weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze ergeben könnten.
Mamadou Saliou Diallo, der Bruder von Oury, hatte am 24. November 2019 Beschwerde gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft Halle, der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg und des Oberlandesgerichtes von Sachsen-Anhalt in Karlsruhe eingelegt. In seiner Verfassungsbeschwerde machte er geltend, in seinem Recht auf effektive Strafverfolgung, willkürfreie Entscheidung, effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör verletzt worden zu sein.
Nun will die Familie von Oury Jalloh den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen. „Wir sind nicht überrascht, dass es abgelehnt wurde“, sagt Nadine Saeed von der Initiative „In Gedenken an Oury Jalloh“ der Frankfurter Rundschau. „Was aber sehr ärgerlich für die Familie ist, ist die Dauer dieser Entscheidung. Es hat über drei Jahre gedauert, wir hätten viel früher vor den Europäischen Gerichtshof gehen können.“
Fall Oury Jalloh: Vernichtendes Gutachten
Ausgangspunkt des Rechtsfalls war, dass der 36-jährige Jalloh sich laut den Behörden im Keller des Polizeireviers in Dessau auf einer Matratze selbst angezündet haben sollte, während er an Händen und Füßen gefesselt war. Gutachterinnen, Mediziner und Kriminologinnen erklärten dagegen mehrfach, dass dies nicht möglich ist. Auch die internationale Recherchegruppe „Forensic Architecture“ hatte zuletzt neue Hinweise für den Fall geliefert und sah es als erwiesen an, dass Jalloh von einer anderen Person angezündet worden sein musste.
„Die Familie von Oury Jalloh hat mehr vom deutschen Staat verdient. Es ist klar, dass immer noch nicht die ganze Geschichte darüber erzählt wurde, was an dem Tag, an dem Oury starb, im Polizeirevier Dessau geschah“, sagt Robert Trafford von der „Forensic Architecture“ der FR.
„Wenn irgendjemand immer noch glaubt, dass Selbstentzündung eine mögliche Ursache für Jallohs Tod ist, wie das Gericht festgestellt hat, dann sollte er das auch beweisen können“, so Trafford. Über mehrere Jahre hinweg hätten unabhängige Gutachten nicht nur gezeigt, dass eine „Selbstentzündung“ unter den Bedingungen in der Zelle nicht möglich war, sondern auch, dass die Schilderungen der Beamten nicht durch die verfügbaren Beweise gestützt werden. „Wir müssen hoffen, dass die europäischen Gerichte eher bereit sind, diese vernünftigen und gut belegten Argumente anzuhören, als es die deutschen Gerichte waren.“