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„Der Ausstieg kommt deutlich vor 2038“

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Von: Jörg Staude

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Der Bundestagsabgeordnete Bernhard Herrmann über das Ende der Braunkohle im Osten Deutschlands.

Auch im Osten Deutschlands soll der Kohleausstieg auf 2030 vorgezogen werden, hat Ihre Bundestagsfraktion kürzlich beschlossen. Die Grünen halten das für notwendig, damit Deutschland seine Klimaziele erfüllt. Ist ein früheres Ende der Braunkohleverstromung im Osten aber auch realistisch?

Das Gesetz sieht derzeit ja vor, dass die Kohleverstromung spätestens 2038 endet. Die Braunkohle wird aber deutlich früher unwirtschaftlich werden. Darauf weisen alle Parameter klar hin. Den Ausbau der erneuerbaren Energien auf 80 Prozent Anteil am Strommarkt bis 2030 und die Entwicklung des CO2-Preises im Emissionshandel kann ich nicht mit Aussagen zusammenbringen, 2038 sei das fixe Ausstiegsdatum. Wer das garantieren will, hat nicht verstanden, wie die Energiebranche wirtschaftlich funktioniert. Der Betreiber EnBW hat beschlossen, seinen Braunkohleblock in Lippendorf bei Leipzig schon ab 2028 abzuschalten, also sieben Jahre früher als spätestmöglich gesetzlich vorgesehen. Das ist erst der Anfang. In der Braunkohle ist schon jetzt alles auf Kante genäht.

Ohne die Braunkohle lässt sich keine zuverlässige und stabile Stromversorgung sichern, entgegen hier die Ministerpräsidenten der Ost-Kohleländer.

Keine Frage: Eine sichere Versorgung und ein stabiles Stromnetz müssen wir jederzeit garantieren, das ist klarer gesetzlicher Auftrag. Dazu beschleunigen wir die Genehmigungsverfahren für die Erneuerbaren und den Netzausbau. Im Februar kam die Bundesnetzagentur in einer Analyse auch klar zum Schluss, trotz eines vorgezogenen Kohleausstiegs im Lausitzer Revier und im Revier Halle/Leipzig ist die sichere Stromversorgung gegeben. Das sei zwar ambitioniert, aber möglich und nötig, sagt die Bundesnetzagentur.

Dazu hält die Behörde aber auch den Bau von 17 000 bis 21 000 Megawatt neuer Gaskraftwerke für notwendig. Die sollen einspringen, wenn die Erneuerbaren allein nicht ausreichen, und außerdem auf Wasserstoff umgestellt werden können. Bis die ersten dieser Gaskraftwerke am Netz sind, gehen mindestens noch zwei, drei Jahre ins Land. So lange werden wir auf Braunkohlestrom nicht verzichten können.

Sicher, wir müssen zügig vorankommen, um mit dem marktgetriebenen Ausstieg aus der Braunkohle Schritt zu halten. Ich bin da sehr zuversichtlich. In Sachsen sind derzeit allein 100 Windkraftanlagen in der Genehmigung, ebenso wie neue Gaskraftwerke. Früher kamen in manchen Jahren nur ein oder zwei Windräder ans Netz. Das ist eine deutliche Beschleunigung.

Als sein größtes Pfund sieht der Braunkohlekonzern Leag, dass sie über mehr als 30 000 Hektar Bergbaufolgeflächen verfügt, die genügend Platz für Solar- und Windparks bieten. Damit diese dort errichtet werden können, änderte die Ampel-Koalition extra das Baugesetzbuch. Die Ost-Kohleländer müssen das aber noch per Rechtsverordnung umsetzen. Wie steht es darum?

Der einseitige Zugriff auf Flächen in den Ost-Revieren ist noch immer eine besondere Situation. Wir Bündnisgrüne sind dafür, dass es auch in diesen Kohlerevieren Akteursvielfalt bei Zukunftsenergien gibt, auch mit Bürgerenergie, Unternehmen und Stadtwerken. Es gilt zu vermeiden, dass wir in den Ost-Revieren weiter von einem Großakteur abhängig sind. Zum einen muss sich ein Kohleverstromer wie die Leag entwickeln können, um auch zukünftig gut wirtschaften zu können. Zum anderen müssen aber auch Wege für kleinere Akteure frei werden. Diese stehen schon in den Startlöchern und wollen Wind- und Solaranlagen bauen. Ziel muss es sein, die Energiewende dezentral auszurichten, und nicht, ein Kohlestrom-Oligopol zu einem Grünstrom-Oligopol werden zu lassen.

In ihrem Koalitionsvertrag hielt die Ampel fest, es werde die Errichtung einer Stiftung oder Gesellschaft geprüft, die den Rückbau der Kohleverstromung und die Renaturierung der Tagebaue organisiert. Wie steht es um dieses Vorhaben?

Wir wissen als Abgeordnete sehr gut, dass die Frage des Zugriffs auf die Mittel zur Rekultivierung keineswegs in trockenen Tüchern ist. Ob es möglich ist, das mittels einer Stiftung sicherzustellen, und unter welchen Bedingungen die Einrichtung einer oder mehrerer solcher Stiftungen sinnvoll ist – das prüfen wir gerade und sind in Gesprächen. Zwei getrennte Stiftungen erscheinen dabei sinnvoll, da die Situation in den Ost-Revieren in der Tat eine ganz andere ist als im Rheinland. Jedenfalls muss gesichert sein, dass die Leag ihrer Pflicht zur Rekultivierung nachkommt und die entsprechenden Gelder der Leag bereitstehen.

Die Regierungschefs der drei Ost-Kohleländern beharren bisher auf dem Endjahr 2038 und erklären unisono: Wenn die Bundesregierung einen früheren Ausstieg will, kann sie doch einfach das Gesetz ändern und zum Beispiel 2032 oder 2033 hineinschreiben. Für diese Jahreszahlen gibt es in den Ost-Ländern hie und da Sympathien. Warum ändert die Ampel nicht einfach das Gesetz?

Zunächst hält ja das geltende Gesetz fest, dass 2038 das späteste Ausstiegsdatum ist. Ein spätestes ist kein fixes oder gesichertes Datum. Insofern wird auch ohne neues gesetzliches Ausstiegsdatum der Kohleausstieg deutlich vor 2038 kommen. Es ist unverantwortlich, den Leuten zu suggerieren, 2038 sei in Stein gemeißelt. Wegen der ökonomischen Realität des vorgezogenen Ausstiegs, brauchen wir gute Rahmenbedingungen für die Transformation und für gute Arbeitsplätze. Gerade die Lausitz muss Energie- und Industrieregion bleiben, zukunftsfähig werden. Das ist viel wichtiger, als das Gesetz zu ändern. Der Klimaschutz ist für uns Grüne essenziell, aber immer eingebettet in soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Zudem ist das Kohlebeendigungsgesetz mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Kraftwerksbetreibern verknüpft. Den kann der Staat nicht einseitig aufkündigen. Da braucht es eine Einigung mit den Betreibern. Mit RWE hat das schon geklappt. Und ich bin zuversichtlich, das bekommen wir auch mit der Leag hin. Wir müssen uns ehrlich machen: Wann wird das Ende der Kohle kommen? Und was bedeutet das für alle Prozesse, inklusive der Mittel für die Sanierung des Bergbaus, für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit und nicht zuletzt für die Schaffung gut bezahlter Industriearbeitsplätze.

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