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Der Agent mit Gefühl

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Von: Markus Bickel

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Die Hisbollah kann laut und grell sein – aber auch ein verständiger Gesprächspartner.
Die Hisbollah kann laut und grell sein – aber auch ein verständiger Gesprächspartner. © imago/ZUMA Press

Praktische Unterrichtung im Umgang mit Terroristen: Der Ex-BND-Agent Gerhard Conrad veröffentlicht seine Erinnerungen an Hisbollah & Co.

Die Zeitenwende in Nahost begann auf einer Beerdigung. Es ist der 13. Juni 2000, Qardaha, in den Bergen oberhalb der syrischen Hafenstadt Latakia: Im Heimatort von Hafiz al-Assad findet an diesem Tag die Trauerfeier für den kurz zuvor verstorbenen Diktator statt. Zu den 500 in ein großes Zelt geladenen Gästen zählt neben dem Residenten des Bundesnachrichtendiensts (BND) in Damaskus, Gerhard Conrad, auch ein junger Milizenführer, der nach dem Tod seines Ziehvaters Assad und dem Abzug der israelischen Armee aus dem Libanon einen Monat zuvor Morgenluft wittert: Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der libanesischen Partei Gottes, Hizballah.

„Hier ist tatsächlich eine revolutionäre Kraft am Werk“, schreibt Conrad über dessen Auftritt in „Keine Lizenz zum Töten – 30 Jahre als BND-Mann und Geheimdiplomat“. Auch Baschar al-Assad, der Sohn des verstorbenen Präsidenten, habe „die flammende Rede“ Nasrallahs „nicht ohne persönliche Ergriffenheit aufgenommen“. Aus Sicht Conrads bildete das die Basis für einen „neuartigen Schulterschluss“ zwischen Iran, Syrien und der von Teheran unterstützten libanesischen Schiitenmiliz, der die Entwicklungen in Nahost in den vergangenen zwei Jahrzehnten entscheidend beeinflussen sollte.

Als leitender BND-Angestellter sowie als Vermittler zwischen der israelischen Regierung, Hizballah und Hamas hat der Islamwissenschaftler Conrad diese Umbruchphase intensiv begleitet – und als Akteur bisweilen mitgestaltet. So sorgten ein Jahr nach der Trauerfeier für Assad die Anschläge von 9/11 für einen weltweiten Paradigmenwechsel, der die westliche Außen- und Sicherheitspolitik bis heute prägt. 2002 dann sprach US-Präsident George Bush erstmals von einer „Achse des Bösen“ – fast schon trotzig nannten Assad, Nasrallah und der damalige iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad ihr Bündnis „Achse des Widerstands“.

Die Stärke von Conrads 320 Seiten starkem Buch ist, das er solche Labels analytisch dechiffriert – obwohl er selbst eins verpasst bekommen hat. „Mister Hizballah“ nannten ihn nach einem erfolgreichen Gefangenenaustausch zwischen Nasrallah und der israelischen Führung 2004 viele Medien, eine Bezeichnung, auf die er sichtlich stolz ist: „Mister Hizballah in Gaza“, „Mister Hizballah in London“, „Mister Hizballah in Brüssel“ lauten einige der Kapitel von „Keine Lizenz zum Töten“, eine Mischung aus Spionagethriller, Autobiographie und Ratgeber für jene Kreise, die der Autor schlicht als „Endabnehmer“ bezeichnet, allen voran die Bundesregierung in Berlin. Auf gewisse Weise, so Conrad, verhalte es sich mit dem BND wie „mit dem Wetterbericht: Alle schimpfen auf ihn, aber jeder braucht und nutzt ihn.“

Ob der Titel „Keine Lizenz zum Töten“ tatsächlich stimmt, lässt sich anhand der Lektüre nicht überprüfen: In Fällen wie in Afghanistan, wo die Arbeit des BND nach dem tödlichen Angriff auf einen Tanlaster 2009, befohlen von einem deutschen Offizier, Gegenstand eines Untersuchungsausschusses wurde, verweist Conrad auf dessen Entlastung; das gilt auch für die umstrittene Verschleppung des Deutschen Murat Kundaz nach Guantanamo.

Wahrscheinlich ist es die von ihm selbst anschaulich reklamierte und in langen Jahren vor Ort erworbene „Empathie für die arabische Welt und ihre Menschen“, die Conrad trotz seiner zwielichtigen Rolle als Geheimdienstler in Assads Folterstaat und an anderen Schauplätzen des Krieges gegen den Terror zu einem glaubwürdigen Analytiker jener Zeitenwende in Nahost macht, die deutsche und europäische Sicherheitspolitik noch lange beschäftigen werden.

Dem gerade auch in linken Kreisen verbreiteten Glauben, Gefangenenaustausche oder andere humanitäre Gesten allein bildeten die Vorzeichen einer politischen Lösung in bewaffneten Konflikten, erteilt er eine Absage. Es handele sich dabei meist um eine „temporäre und sachlich limitierte indirekte Zwangspartnerschaft“, so wie er sie bei den Vermittlungen um die Rückgabe der sterblichen Überreste zweier israelischer Soldaten aus den Händen der Hizballah zwischen 2006 und 2008 erlebt habe – seinem größten beruflichen Erfolg.

Conrads Schilderung der Schwierigkeiten, Brücken zu bauen zwischen als Terroristen geächteten, im professionellen Umgang aber sehr verbindlichen Gesprächspartnern wie Nasrallah und dessen israelischen Kontrahenten, macht das Buch zu einer fesselnden Lektüre – und gewinnt Glaubwürdigkeit durch Zweifel an der eigenen Prognosefähigkeit: Nur so ließen sich „schwerwiegende Fehleinschätzungen aufgrund vorgefasster, meist selbstreferenziell generierter Meinungen“ vermeiden. Nur so ließen sich „schwerwiegende Fehleinschätzungen aufgrund vorgefasster, meist selbstreferenziell generierter Meinungen“ vermeiden. Etwa die auch in Berlin weit verbreite Ansicht, dass nach den Arabischen Aufständen 2011 das Ende des Regimes in Syrien eine reale Option war. Conrads Prognose lautet anders: Inseln rivalisierender bewaffneter Milizen würden auch in Zukunft die Geschicke jenes arabischen Schlüsselstaats bestimmen, in dem er von 1998 bis 2002 als BND-Resident stationiert war. Markus Bickel

Keine Lizenz zum Töten, Gerhard Conrad und Martin Specht, Ullstein, 320 Seiten, 25 Euro

(Anm. d. Red.: Üblicherweise schreiben wir „Hisbollah“. In diesem Text wird die Schreibweise der Autoren zitiert)

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