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„Den Leuten Besseres bieten“

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Von: Sebastian Borger

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Eher trüber Wahlkampf in Belfast.
Eher trüber Wahlkampf in Belfast. © dpa

In Nordirland wird am Donnerstag ein neues Parlament bestimmt. Die nicht konfessionell gebundene Alliance Party profitiert vom Streit der alten Parteien und könnte massiv gewinnen.

Gelingt Naomi Long der lang erhoffte Durchbruch? Bei der Regionalwahl in Nordirland richtet sich das Augenmerk vieler auf die nicht konfessionelle Allianzpartei der Belfaster Justizministerin. Den Umfragen zufolge könnte die Alliance an diesem Donnerstag ihren bisherigen Stimmenanteil verdoppeln und damit den dritten Platz im heftig umstrittenen britischen Nordosten der Grünen Insel belegen. Die 50-jährige Ingenieurin gibt sich zurückhaltend: „Ich will die Partei darauf vorbereiten, dass wir nach der Wahl stärker sind und den Leuten Besseres bieten können.“

Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998, mit dem drei Jahrzehnte Bürgerkrieg beendet wurden, wurden bei Wahlen in der Provinz mit ihrer Bevölkerung von rund 1,8 Millionen immer wieder die Extreme gestärkt und damit die Stagnation gefördert. Beim jüngsten Urnengang 2017 trennten die Partei der London-treuen Protestanten (DUP) und die republikanisch gesinnten Katholiken (Sinn Féin, SF) nur noch 0,2 Prozent der Stimmen – ein Mandat! Diesmal werden den beiden Parteien Verluste vorausgesagt. Von denen würde in erster Linie die Allianz profitieren.

Zu deren wichtigsten Programmpunkten zählt eine Modernisierung der politischen Institutionen in Belfast. Weil das Abkommen von 1998 eine Konkordanz nach Schweizer Vorbild vorschreibt, konnten DUP und Sinn Féin das Vorankommen der Regierung immer wieder jahrelang behindern oder Parlament und Administration sogar ganz lahmlegen. Und der Brexit lastet auf Nordirland besonders schwer.

Im Februar trat First Minister Paul Givan (DUP) aus Protest gegen das Nordirland-Protokoll des EU-Austrittsvertrages zurück, wodurch gemäß den Statuten der Allparteien-Regierung automatisch auch die Vizeregierungschefin Michelle O’Neill (SF) ihr Amt verlor. Das Protokoll soll die Landgrenze zur Republik im Süden offenhalten und so die Integrität des EU-Binnenmarktes auf der Irischen Insel gewährleisten. Deshalb wurden zu der britischen Hauptinsel hin Zoll- und Einfuhrkontrollen fällig, was die Unionisten verärgert. Boris Johnsons Regierung behauptet entgegen aller Fakten, man habe die Vereinbarung in einem Moment der Schwäche getroffen. Hingegen pocht Brüssel auf die Einhaltung geltenden Völkerrechts.

Wie wichtig die Frage der Bevölkerung wirklich ist? Bei einem Treffen junger Leute in Derry, organisiert von Youth Action Northern Ireland, spielten weder das Protokoll noch die Wiedervereinigung der Insel eine gewichtige Rolle. Stattdessen nannten die Teilnehmenden Themen wie Wohnungsbau, Armutsbekämpfung und Bildung, dazu die psychischen Probleme, mit denen viele Menschen seit der Pandemie kämpfen. „All das Zeug über Protestanten oder Katholiken, das kümmert die kein bisschen“, bilanzierte die Jugendarbeiterin Róisín Mc-Laughlin für die „Irish Times“.

Umwälzung im Westen?

Nicht umsonst schnitt bei einer Probeabstimmung der Youth Action die Allianz-Vertreterin hervorragend ab. Die liberale Partei ging vor einem halben Jahrhundert aus der unionistisch-protestantischen Mittelschicht hervor. Sie stützte sich zunächst vor allem auf jene, denen schon damals Themen wie Arbeitsmarkt, Gesundheit und Schulen wichtiger waren als die historischen Gegensätze zwischen den beiden Konfessionen. Damit fristete sie lange Jahrzehnte ein Dasein als politisches Mauerblümchen, irgendwie auch dazugehörend, aber nie wirklich von Bedeutung.

Inzwischen hat sich die nordirische Gesellschaft stark verändert. Erstmals 2019 mochte eine knappe Mehrheit sich weder der unionistischen noch der nationalistischen Strömung zuordnen. Gefragt ist lösungsorientierter Pragmatismus. Das kommt der Alliance entgegen. Schon in dem Jahr schnitt sie bei Wahlen hervorragend ab: Als das Königreich sich widerwillig bei der Europawahl beteiligte, holte Naomi Long sensationell eines der drei Nordirland zustehenden Straßburger Mandate. Bei der Unterhauswahl verpasste sie nur ganz knapp die Rückkehr ins Parlament, wo sie von 2010 bis 2015 den Osten Belfasts vertreten hatte. Longs Vize Stephen Farry vertritt als einziger Alliance-Vertreter die wohlhabenden Vorstädte der nordirischen Hauptstadt im Unterhaus.

Zwei Dinge wollen Long und Farry an diesem Donnerstag erreichen: Erstmals will die Partei auch im katholisch dominierten Westen der Provinz ein Mandat erringen. Und der Zugewinn soll groß genug ausfallen, um die zweitgrößte Unionistenpartei UUP zu überholen. Eine Revolution sieht zwar anders aus. Aber in Nordirland käme schon so ein Erfolg wenigstens einer bemerkenswerten Umwälzung gleich.

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